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Kassian gelten muß. Immerhin eine geistvolle
— wenn“
Spielerei auch dieses „Große Würstel“ und —
wir nicht irren, zum erstenmal außerhalb Oester¬
(reichs, jedenfalls zum erstenmal seit langen Jahren
auf die Bretter gebracht. Und eine Blüte von sehr
wienerischem Duft an die Elbe gebracht. Daß sie
nicht gepreßt war und nichr eingettoaknel, vielmehr
ziemlich in ihren Säften erhalten, war beinahe über¬
raschend.
Man entsinnt sich vielleicht vom Buche her des
Spieles. Der Wiener Würstelprater mit den Hans¬
wursten (jenen, „die sich prügeln und dann beide vom
Teufel geholt werden“
— ach, wer seufzte dabei nicht
heutzutag und hätte seinen Gedanken, so wie wenn
zwei Augure lächeln. Und dazu das heite; anzie¬
hende Sonntagsleben des Wien von Anno Dammal.
Vor 1914. Eh der Tapfere Kassian kam und der
Großmutter den Großvater und den Enkel nahm.
In dieser Welt — sie litt immer an dem allgemeinen
Weltschmerz, dem Tod — aber es ging diesmal dem
Arzt Artur Schnitzler nicht zu tief — unter diesen
Siebensachen hat der Dichter ein wirkliches Mario¬
nettentheater aufgerichtet (kein wirkliches natürlich
auf der realen Buhne) also ein romantisches Doppel¬
spiel wie seit Tieck als Bühnenscherz üblich. Zum
Schluß aber bringt der Autor noch einige seiner
Schauspieler in dem wirklichen Zuschauerraum unter,
von wo sie den gewaltsamen Schluß des Ganzen her¬
beiführen. Der „Wohlwollende“ der Bissige“ der
„Naive“, der Bürger mit seinen beiden Töchtern
und eine ganze Flora von wohlgesinnten oder skan¬
dalsüchtigen Zuschauern (die in Dresden nur sehr
wenig verschnitten war), begleitet den Großen
Würstel“ die Marionettenkomodie vom Leben mit
seinen amüsanten Spiegelungen, bis sehr bald und
mitten in die Szene, ehe die sich aufgeklärt hat, zuerst
der Große Würstel, keine Aktualität, bitte, auch kein
Symbol etwa des Volkes gab, sondern der leibhaftige
Tod den Marionetten allen und danach der „Mann
im blauen Mantel“, nochmals der Tod, auch all den
Zuschauern auf der Bühne ein unerwartetes Ende
bereitet. Man kann nicht sagen, daß all diese Mario¬
netten: der Held farblos, der grotesk=frivole Herzog
(von Lawine), die Herzogin (eine vornehme Prosti¬
tuierte), die Liesel (ein Mädchen, „deren Natur es
ist“), auch nur inhaltlich, ihr Marionettendasein er¬
schöpfen, da es ihnen ja zeitlich von dem „Großen
Würstel“ nicht verstattet wird. Sie führen einige
zumeist reizvolle und anmutige oder scharfe Reden,
bemühen sich aber geradezu darum, keinesfalls über
die bloße Skizze den bloßen galanten Schnitt ihres
Charakterkostüms hinauszugehn. Am besten war
der sozusagen hispanische, aber seinen Ernst nicht
selbst ernstnehmende Herzog, wenigstens in Alexander
Wierths Darstellung (von einer Verkörperung
kann in dieser Rolle weniger die Rede sein als viel
eher von einer Art Vergeistigung). Der seinen man¬
gelnden Ernst ernstnehmende „Held“ aber bot seinem
Darsteller Herrn Iltz lange nicht solche Vorteile.
Frau Bleibtren, eine der besten Kräfte
Dresdens, war trotzdem keine „dämonische“ Herzogin,
sie konnte nach der ganzen Art ihrer Begabung nur
eine bewußte Karikatur dort vortragen, wo nur das
Unbewußte das Böse und also die Tragik birgt.
Hier wie wohl auch noch anderswo war zu viel
bloßer Witz für den doch im Grunde melancho¬
lischen Dichter. Die Figuren im Zuschauerraum
aber waren im allgemeinen trefflich besetzt: „Der
Direktor“, ein spielerischer Schößling des Direktors
im Faustprolog, durch Herrn Meyer der auf dem
Kothurn einiger Verse köstlich großspurig einher¬
steltzte. Den aufgeregten „Dichter“ des Marionetten¬
stücks gab Mehnert natürlich in der Maske des
Orignaldichters Artur Schnitzler. Unter den „Bür¬
gern“ war der Bissige“ Erich Pontos, besonders
vorzüglich; wohlgelungen aber auch seine Gegen¬
spieler, der „Wohlwollende“ und der „Naive“ (die
Herren Dettmer und Balder). Dem „Unbe¬
kannten im blauen Mantel“ verlieh Lindner ein
solches Maß von Feierlichkeit, wie es der Dichter
beabsichtigt. Der Graf von Charolais, die herein¬
brechende Figur aus einem fremden (Beer=Hoffmann¬
schen) Stücke war in Dresden weggeblieben. Aber
der „Zuschauer“ Schnitzlers wirkte, der (aus dem
reellen Zuschauerraum gegen den frechen Schluß des
Ganzen „protestierte, daß dem Dichter nichts mehr
eingefallen sei“. Und das Publikum begleitete diesen
romantischen Purzelbaum mit Beifall — nahm ihn
als wirklichen Einfall des Dichters hin — und ging
also erheitert nach Hause. Ein reeller Protest hatte
auch nicht nur dem Autor — der ja so viel anderes
— Unrecht getan, sondern auch der
geschrieben hat
gesamten wirklich anmutigen und sogar einigermaßen
wienerisch vorgetragenen Aufführung unter der ge¬
schickten Spielleitung Hanns Fischers.
Paul Adler,)
Frankfurter Nachrichten
0.— E. 1218 und Intell½geue Blatt
Frannfurt a. M.
Dresdner Theater. Die letzte Sonntagmittag¬
Kgl. Schauspielhauses
Vorstellung
Arthur
brachte die Erstaufführung
Wrpurlestem Einakter „Zum
##n wurstel“, jenes heiter=nachdent¬
liche Spiel, in leichten Ironien gankelnd zwi¬
schen dem Puppentheater und dem Theater des
Lebens, mit skeptischem Lächeln und bedeu¬
tungsvollen Scherzen zwei, brei Komödien
durcheinanderwirbelnd. Schnitzler hat diese
Hanswurstiade des Lebens, in der selbst der
Tod sich als Kasperle entpuppt, mit einer Gra¬
zie und Selbstironie gemacht, die entzückt:
Eine Marionettenbühne im Wiener Wurstel¬
n Fäden agieren
prater. Die Puppen an
eins der sentimentalen Liebesstücke mit den
typischen Figuren des jungen Herrn, des süßen
Mädels, des unwiderstehlichen Herzogs, de
Selbst¬
sensationsgierigen Herzogin
verfiflage des „Liebelei“=Dichters. Unten sitzen
Bürger beim Bier, kommentieren und kritisie¬
Theaterdirektor
ren das Spiel, Dichter
streiten sich. Noch der Zuschauerraum des
wirklichen Theaters wird ins Spiel
zogen, ein Herr im Parkett springt a
und will den „Schwindel“ da oben entlarven.
Da erscheint der symbolische „Unbekannte“, sein
Schwert durchschneidet die sichtbaren Fäden der
Marionetten, die unsichtbaren der Menschen
auf der Bühne, es bedroht sogar noch das
Publikum des Parketts, Für einen Augenblick!
tut sich die Doppelbödigkeit des Daseins auf.
Anatolweisheiten: „Wir spielen immer. Wer es
weiß, ist klug. Dann braust wieder der Jahr¬
marktslärm des Praters auf. Das Spiel ist
Meisterstück der Regie Hanns!
aus.
Fischers war diese Burleske. Sehr glücklich
traf man den Stil des Marionettengesprächs,
die Figuren hingen wirklich an Fäden, hatten
parodistischem
in
die eckige Gestik, sprachen
Pathos. Unnachahmlich: Wierth, Iltz, Fischer.
Mehmert machte in Schnitzlers Maske den ge¬
peinigten Dichter, Meyer war der Ausrufer¬
und Direktor. Ponto machte, köstlich wie immer,
den bissigen Zuschauer, der schließlich ins Par¬
kett hinuntersteigt. Ein schöner künstlerischer
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Erfolg.