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17.2. Der tapfere Gassian box 22/7
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um Anige Grad tränenduseliger ein: wippte nur so in verlogener Mlusik¬
Resignation und machte auf diese Weise selber einen Harlekin zum suffisanten
Jammerlappen, der halb in Elegie und halb in borniertem Egoismus plät¬
schert. Airgends charaktervolle Tongebung — alles zerschwimmt in ohren¬
gefällig=billiger Instrumentation, die sowohl im heuchlerischen Pianissimo
wie im unmotivierten, im gequälten Forte nur einen Endzweck kennt: den
Zuhörer zu verblüffen, ihm eine Lüge zum brünstigen Evangelium werden
zu lassen. Es gehört wirklich nicht viel Musikverständnis dazu, um diese
Irreführung sofort herauszufühlen. Das große Publikum freilich ... Ja,
das Publikum!
Um den „Tapfern Kassian“ steht's nicht viel besser. Hier heuchelt der
Komponist zum Teil schlichte Alltagsnaivität, zum Teil will er (mit selbst¬
verständlich=simplen) Mitteln ein ungezügeltes Kraftmeiertum, musikalisch
illustrieren. Wohl gemerkt: er will es. Mit einem Pianoforte im Orchester
aber läßt sich eine solche Naivität nicht erzwingen. Auch nicht mit etwas
Flöten#delei. Nein: um Schlichtheit in Musik umzusetzen, muß Empfin¬
dung beim Kompanisten vorhanden sein: Seele, nicht Klügelei; Herz, nicht
Kontrapunkt=Weihrauch. Bei Oskar Straus dominiert auch hier die Be¬
rechnung. Er lüßt den Wert „4“ nicht etwa höchst selbstverständlich aus
2+ 2 oder 222 entstehen; nein, er gestikuliert dorfschulmeisterlich pathetisch:
1+ ¼+ ½2- 1/3- 2/3+ 1/6+ 5/+ 1/8+ 3/16 + 1/16 + 9/16+ 1/16 . . .: das alles
zusammen, Kinder, ja das alles gibt ganze 4!! Und: Kinderchen, mit was
für einfachen, mit was für schlichten Mittelchen habe ich das alles, habe ich
meine „vier“ erreicht!
Der reine schollenduftige Volksliedersänger — sagen dumme Leute.
Lieber, bester Herr Oskar Straus, alles das ist Mache bei Ihnen. Sie
sind nämlich ein lüsterner Geselle durch und durch, und wenn Sie Volks¬
weisen simulieren, dann kenne ich Ihre eigene Empfindung: Perversion,
bester Herr — wie der Junker, der sich schließlich auch nach simplen Mägden
sehnt, nach Poussaden, die (unter anderm) auch den Reiz des Heudufts von
sich ausgehen lassen mögen. Es ist das die schlüpfrigste Musik ohn¬
mächtigen Dekadententums. Ich danke dafür. Danke trotz Cimbalo.
Danke trotz Flöte. Mir ist das wirklich ein wenig zu viel an Flunkerei.
Käme zum Schluß: Venus im Grünen. Das Ding mag gehen; denn
hier ist dieser Herr Straus beim Walzer als seiner eigentlichen Domäne an
gekommen. Und hieser Walzer (zwar zeigt er allenthalben bekannte Motive)
klingt, fördert Rhythmus zutage und gibt sich als echtes Kind seines Schöpfers:
er verzapft nackten Dreivierteltakt und läßt die Violine und die Lippen der
Choristen sinnlich bis zum Exzeß summen und wispern. Da ist also Freund¬
chen Oskar Straus echt: Schlüpfrigkeit mit Haselnußbäumen und etwas
Ringelringel=Rosenkranz im Hintergrund — Sentiment und Sexualapplomb
zu einem Brei vermischt. Igitur: das Publikum girrte und fing unter so¬
tanen Weisen an auf den Sitzen zu rutschen. Die Politik Strausens siegte:
ein System für ein System! Und das ist am Ende in unseren nervösen Zeiten
auch etwas wert.
Regisseur für das Ganze: Herr Dr. Löwenfeld.
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