Faksimile

Text

17.2. Der tanfere Gassian
box 22/7
Ausschnitt aus:
18. MRZ. 1912
vom:
Deutsches Volksblatt, Wien
Stite 5
Carl=Theater. In der gester nachmittags von dem Toni mit unnachahmlicher Delikatesse und seinem Sinn für
Journalisten= und Schriftstellerverein „Konkordia“
die duftige Stimmung dieser Szenen. Daneben war Fräulein
lveranstaltelen Vorstellung gelangte als erstes Stück
Gerda Walde vom Johann Strauß=Theater eine ent¬
[„Kameraden“ eine harmlose dramatische Kleinigkeit
zückende, poctische Verkörperung der „Jugend" und Herr
von Peser Nansen zur Uraufführung. In einem klugen,
Fritz Werner vom Wiener Bürfertheater ein würdiger
mit viel Liebenswürdigkeit und leisem Humor geführten
Domkapellmeister, dessen, Herzuber noch jugendlich im
Dialog finden zwei Entlobte ihre Liebe wieder, die
Walzertakte schlägt
beinahe an der Verlobung aestorben wäre. Fräulein
Erica v. Wagner und Herr Leopold Kramer
vom Deutschen Volkstheater trafen mit gewohnter Sicherheit
den diskreten Ton dieser auf intime Wirkungen gestellter
Szene und ernteten dafür reichen Beifall. Darauf folgten
gleichfalls als Erstaufführung, „Der tapfere Kassian“;
ein Singspiel in einem Aufzuge von Artur Schnitzler.
mit Musik von Oskar Strauß, unter mntarischer
Leitung des Hofopernkapellmeisters Franz Schalk
Der tapfere Kassian ist ein verwegener, abeyteuernder
Kriegersmann, der mit bramarbasierender Gebärde
und skrupelloser Draufgängerei
seinem poetischen,
flötespielenden Vetter das Geld, die Geliebte und das Leben
nimmt und dann als dessen Erbe in die weite Welt zieht,
um die Gunst einer Tänzerin zu erringen. Das Verzerrte,
Groteske dieses Stückes erfuhr durch die interessante, stellen¬
weise wirklich melodiöse Vertonung eine erwünschte
Milderung. Wunderbar war die vom Oberregisseur Ritter
v. Wymetal stimmungsvoll inszenierte Aufführung mit
Fräulein Hedw. Francillo=Kanffmann und den
Herren Georg Maikl und Rudolf Hofbauer, die
mit ihrer vielbewunderten gesanglichen Meisterschaft und
mit ihrem großen schauspielerischen Können den Erfolg des
Singspieles entschieden. Stürmischen, nicht endenwollenden
Beifall erntete Alexander Girardi, der „Dasneue
[Fiakerlied" Text von Philipp Pollak, Musik
von Ludwig Engländer“ unter persönlicher Leitung
des Komponisten zum erstenmal vortrug. Es
ist ein anspruchsloses Lied, das ein durch die Automobile
überflüssig gewordener Fiaker singt. Auch die Mufik ist nicht
gerade überwältigend. Aber durch die großartige Kunst
[Girardis, unseres größten österreichischen Schauspielers,
wird das schließlich wenig interessante Schicksal dieses
belanglosen Fiakers zu einer erschütternden menschlichen
Tragödie und über die Singularität des Falles hinausgehend
zu einem wehmütigen, gelegentlich ingrimmigen Proteste
einer uns lieb gewordenen, verschwindenden Zeit gegen das
unaufhaltsam, rücksichtslos heranstürmende Neue mit seinem
maschinellen, unpersönlichen Getriebe. Girardis große
Kunst gibt uns aber noch mehr; sie läßt die furchtbare
Dissonanz, die wir alle fühlen, in einem befreienden Lachen
ausklingen und versöhnt uns durch den Humor mit dem
Leben. Den Schluß machte „Brüderlein fein“, eins
All=Wiener Singspiel in einem Aufzuge von I. Wilhelm¬
mit Musik von Leo Fall. Es bringt uns den vierzig¬
jährigen Hochzeitstag Josef Drechslers, des ehemaligen
Kapellmeisters vom Leopoldstädter Theater, der in jungen
Jahren nebst manchem anderen auch das Zaubermärchen „Der¬
Bauer als Millionär“ von Ferdinand Raimund vertont hatte.
Aus dem lustigen Theaterkomponisten ist ein würdiger
Domkapellmeister geworden, der seine Toni aber noch
immer so zärtlich wie früher liebt. Da erscheint die „Jugend“
deren Lied „Brüderlein fein“ durch Drechsler unsterblich ge¬
worden ist, und läßt ihn und seine Frau aus Dankbarkeit
wieder eine Nacht lang jung sein. Am nächsten Morgen
ist es ihnen dann wie eine wunderselige Traumerinnerung
Vies Grazie und Anmut ist in diesem gefälligen, melodiöser
Singspiele, viel seelenvoller Humor und viel wehmütige
Khnsüchtige Erinnerung an Raimund und an die Krones
fan bauschige Reifröcke und bunte, geblumte Westen, an zier
liche Spieluhren und an verträumte, altväterliche Gemütlich
seit. Frau Mizzi Zwerenz vom Carl=Theater gab di