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ler
17.1. Der Puppensbie—
# Berliner Erstaufführungen.
Dr. Z. Berlin, 72. Sevtember. Das Deutsche
TTheater hatte mit seinen hemigen ersten Premi##bend
nur wenig Glück. Ein neuer Einalter von Arthur Schnitzler,
Der Puppenspieler, der den Abend einleitete, ward wohl
ziemlich freundlich aufgenommen, aber der Beifall galt mehr dem
Darsteller Basserminn als dem Dichter. Das Hauptstück des
Abends aber, Rodenbachs vieraktiges Schauspiel Trug¬
bild — in den Hauptrollen von Herrn Sauer und Fräulein
[Triesch glänzend dargestellt —, wurde alatt abgelehnt. Schnitz¬
lers Charakterstudie und Rodenbachs aus einer Novelle um¬
gearbeitetes Stück gleichen sich darin, daß sie beide nicht den Be¬
dingungen der Bühne angepaßt sind. Leider ist es ja Sitte ge¬
worden, daß die Dichter für alles, was sie sagen wollen, die Form
des Bühnenstückes wählen, ganz gleich, ob sich der Stoff für diese
Form eignet. In unseren beiden Fällen ist diese Form sicherlich
ein Mißgriff. Schnitzler würde seinen Puppenspieler uns viel
deutlicher darstellen können, wenn er die epische Form gewählt
hätte, und bei Rodenbach sind wir sogar unmittelbar im stande,
die ungleich stärkere Wirkung dieser Form zu beweisen, denn er
hat ja, wie angedeutet, denselben Stoff vorher novellistisch
bearbeitet, nämlich in seiner Novelle Bruges, la morte (Das
tote Brügge). Auf alle die reichen Wirkungen, die er in jener
Novelle dem Motiv der „toten Stadt“ verdankt, muß das Drama
verzichten. Nur hier und da wird angedeutet, welche bedeutsame
Rolle für die Hauptgestalt des Stückes das Schweigen und der
rückwärts gerichtete Blick dieser Stadt spielt. Aber wir sehen sie
nicht vor uns, wir spüren den starken Zauber dieser starren
Ruhe nicht. Dadurch geht ein wichtiges Mittel des unmittelbaren
Verständnisses für den selisamen Charatter verloren, der im
Mittelpunkte des Stückes steht, so daß uns dieser mehr ein
pathologisches als ein allgemein=menschliches Interesse einflößt.
Für diesen Stoff aber bedeutet es alles, daß man sich dem Dichter
widerstandslos gefangen gibt und gar nicht erst fritisch fragt,
ob seine Menschen glaubhaft dargestellt sind. Wenn Rodenbachs
Poesie wirken soll, muß es für uns ganz fraglos sein, daß dieser
trauernde Witwer Hugo, der Held des Stückes, in der leiden¬
schaftlichen Trauer um die gestorbene Gattin sich bis zu völliger
Selbstvergessenheit in ein weibliches Wesen verlieben kann, das
der Toten bis ins kleinste Detail äußerlich vollkommen gleicht,
und daß dieser Suggestion gegenüber auch die klarste Erkenntnis
von dem inneren Unwert jener Frau machtlos ist. Wohl ist es
denkbar, daß die Phantasie des Lesers dem Dichter dieses Ent¬
gegenkommen beweist und ein Wesen von so bezwingendem Zauber
der Erscheinung erdichtet, die Wirklichkeit der Bühne aber kann
diese Illusion nicht leisten. So stehen wir dem Leiden Hugos,
der sich seiner Leidenschaft bald als unwürdig bewußt wird, ohne
sich aber von ihr befreien zu können, mit nicht größerer Teilnahme
gegenüber als etwa den Erzählungen eines geistig Kranken, und
damit verliert das Stück unser künstlerisches Interesse. Die
Katastrophe wirkt daher auch nicht tragisch, sondern nur abstoßend,
in gewissem Sinne wirkt sie sogar lächerlich. Hugo erwürgt näm¬
lich zum Schlusse seine Geliebte Jane mit einer Haarflechte seiner
toten Gattin, die er als heiligste Reliquie, gewissermaßen als ein
fortlebendes Stück der Toren, in seinem Zimmer aufbewahrt, in
diesem Zimmer, das voll von Erinnerungen an die Tote ist und
dessen Reliquien Jane mit ihrem eifersüchtigen Spott verhöhnt.
Als sie mit ihrem Spott auch diese Flechte entweiht, läuft das
Maß von Zorn und Verachtung über, das Hugo in sich gehäuft
hat, und, schon halb ein Opfer des Wahnsinns, erdrosselt er Jane
mit eben dieser Haärflechte. Aber mag manchem, wenn er diese
Szene liest, ein Gruseln überkommen, in der Wirklichkeit der
Bühne vertreibt der hochgeschwungene Zopf in Janes Hand
jeden Schauer ...
Was soll uns überhaupt diese Romantik, dieses schwächliche
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Spiel mit kranken, überhitzten Empfindungen? Denn es ist nur
ein Spiel, und bis zu den dunklen Pforten, die das Reich der
wahren Mysterien erschließen, führt uns der belgische Romantiler
nicht..
Schnitzlers Puppenspieler ist ein eigentümlicher
Geselle, dessen Denken gleichfalls nicht mehr auf normalem Pfade¬
wandelt. Ein künstlerisch veranlagter, aber disziplinloser Mensch
sucht er sich über die Zwecklosigkeit seines erfolglosen Daseins damit
zu trösten, daß so erhabenen Geistern wie ihm es nicht genügen
könne, dichterisch zu schaffen: der wahre Schöpfergeist bedürfe
lebendiger Menschen, statt der Phantasiegeschöpfe, und so bildet
er sich denn ein, es sei seine Aufgabe, das Schicksal lebendiger
Menschen zu gestalten, die Menschen an den Drähten tanzen zu
lassen, die er in der Hand hält, wie der Puppenspieler seine!
Puppen. Dieser Psychologie haftet für mein Gefühl, wie stets
bei Schnitzler etwas Gekünsteltes an. Man kann sich denken, daß
ein Mann sich in einem einzelnen Falle mit dieser Philosophie
über irgend einen Mißerfolg tröstet, als Maxime aber eines¬
ganzen völlig verpfuschten Daseins erscheint sie als eine fixe
Idee, und dadurch rückt auch diese Gestalt aus der künstlerischen
Sphäre hinaus. Den Inhalt des Einakters bildet die Begegnung
des Puppenspielers mit einem Freunde aus der Zeit seiner
eigenen hoffenden Jugend, und im Rückblick auf die entschwundene
Zeit, die den Freund in den Hafen eines ruhigen Glücks und ihn
selbst nur ständig bergab geführt hat, entwickelt er seine Philo¬
sophie des Puppenspielertums. Er läßt sich nicht am gedeckten
Tische halten, sondern geht wieder ins Leben hinaus: nur eine
Illusion nimmt er mit, daß er es einst gewesen ist, der den Grund¬
stein zu Eduards Glück gelegt hat. Er sieht nicht, was alle
anderen sehen, daß ihm das Leben auch hier wie stets die Drähte
aus der Hand genommen hat. Er sieht es nicht oder er will es
nicht sehen, denn nur diese Illusion hält ihn aufrecht. Das kleine
Stück enthält eine Rolle, die jeden Charakterdarsteller von Eigen¬
art reizen muß, und deshalb wird es von hier aus seinen Weg:
machen. Am Deutschen Theater bot Herr Bassermann
eine Meisterleistung.
Der gleiche Abend brachte noch zwei Premieren im
Schauspiel, die aber beide ohne Bedeutung waren: im Resi¬
denz=Theater einen französischen Schwank von Bissonz
Das beste Mittel, der nicht sonderlich gefiel, und imt
Lessing=Theater Batailles Dramatisierung von Tol¬
stois Auferstehung, eine Versündigung, die man nicht erst
noch hätte ins Deutsche übertragen sollen, die aber einen starken
äußeren Erfolg hatte.