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17. 1. Der Punpenspicler
Menschliches zu geben trachtete. Dieser Abend: so gewiß er nicht sein einzig
guter war, so gewiß war er sein bester. Ich gehe mit ihm, so oft er diese
Linie fortsetzt. Ich gehe nicht mit ihm, wenn er die seidenen Freuden fort¬
setzt. Es ist nicht das, was ich von diesem begabten und in der Not auf den
Schild gesetzten Mann erwartet hatte: Shakespeare=Schau. Arisiophanes¬
Zweihundertmal die Bühnenbilder zu ,——“... The new Berlin
Schau.
stage. Er wird im Herbst den Lear bringen. Seine Zukunft liegt in der Abkehr.
... Das Lackieren einer shakespearischen Lusi, die vorläufige Verleidung
von „Was Ihr wollt“ bedarf keiner Worte. Jeder Begriff dieses William
aus Stratford entschwindet vor gefälliger Virtuosität. Jahre braucht man
um so ein Stück in der Seele zu restituieren. Ein Meisier aus Holland im
Kaufhaus mit einem pikfeinen Rahmen umkitscht. Und alle Rayonchefs
kommen vorgelaufen und zwinkern vertraulich mit der Hand . . . Jahre, —
Jahre. Woran liegt es, daß auf Reinhardts Breitern alles, aber auch alles
diesen leuchtenden Charakter bekommt? Und warum wirkt er so begeisternd
auf die Schwachen? Das geht, über Theaterkritik hinweg, in die Psychologie
des mangelnden Widerstands . .. Liebe Leute, sogar die räumlich tiefere Bühne
behält schon ihren Vorzug vor den Drehniedlichkeiten. Ich kann die schlechte
Distanz dieser Männchen und Weiberln, dies Entgegenkommen auch im Format,
nicht mehr sehen. Die Schrecken der gebenedeiten Bijouterie mit Leuchtkraft
sind zu groß für mich. Selbsi an einfacheren Abenden (wenn er einfacher
ist, hat Kritik ihren Anteil daran) leben zu stark Erinnerungen ... wie
etwa Bernhard Syaw in diesem Hause zu einem halben L'Arronge gekämmt
worden ist; wie man „Mensch und Übermensch“ mit eingelegten Mätzchen
aus dem Familienlusispiel gab. Oder nette Züge wie, daß der herausstehende
Hosenzipfel eines Kindes beherrschend in Goethes „Geschwisiern“ wird. Fort
(sag' ich) lebt es, wie zum Höhepunkt der „Mitschuldigen“ eine zugefügte
Entkleidung wird. Wie dieses ... ich höre bisweilen: „neuromantische“.
Haus gerade vor dem wundersamen Kirchhofsakt in Frühlings Erwachen
unfähig wird; wie das neuromantische Haus Schillers Jugendwerk um die
Seligkeiten bringt, um alle Seligkeiten, aber nicht um die Manövrierteile.
Das Menschliche wird nicht totgemacht: aber nie so glücklich bearbeitet wie
sein Gewand. Nebenpunkte gern zur Hauptsache verkehrt ...
In der Räuberaufführung Glanz, Disziplin, Gedrängtheit: aber sie gab
nichts, was uns angeht. Man ist zu oft primär in sekundären Punkten.
Alles, was Wildenbruch und Lederstrumpf bedeutet, herausgemeisiert. Kaum
etwas von dem, was Schillers Menschliches ausmacht. Nein. Es giebt
kein anderes Wort: das Turnerische statt des Dichterischen. Es fesselt mich
nicht für zwei Pfennige. Meine Richtung ist anders. Ihr Affchen!
Darnach erfolgte die Vergeisilosung des Aristophanes. Disziplin und Ge¬
Auch die Antike
wand. Aussiattung — für einen attisch Lachenden ..
muß nun erst wieder entfettet werden.
1923