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Lehendige stunden Zyklus
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Telegrammn Adreser
C0L0SCHMIDT. Auguststr.87.
aus
Berliner Börgen-Courier

2b. 1. 02
mit dem Dolche", die ihr ähnlich ist. Wie wunder¬
Vor den Coulissen.
same Erinnerung aus alten Zeiten steigt es in ihr
Hinter einem Schleier
Aus dem „Deutschen Theater“ strön empor. . .. Verwandlung.
soeben, lebhaft angeregt und voll Eifer disputirend,
lebt ein farbenglühendes, leidenschafterfülltes
eine gar bunte Gesellschaft. Aber so verschieden die
Stückchen Renaissance vor uns auf. Die Gattin!
n
Elemente sind, die sich da für einen Abend zu jener
des berühmten Malers Remigio hat sich
wunderlichen Einheit mischten, zu jenem noch immer
Sinnenwirrniß einem Schüler
gleich taumliger
nicht erforschten Fabelwesen, das man Publikum
ihres Mannes hingegeben, dem heimkehrenden
neunt# drei Stunden lang waren sie eben alle einig.] Gatten bekennt sie ihre Schuld, denn „das Geständniß
Sie waren einig in der Reihenfolge mannichfacher
ist der Muth der Schuldigen“. Als der Gatte es
Stimmungen und Empfindungen. Auch in diesem
verschmäht, den verachteten Nebenbuhler zu tödten,
Augenblicke sind sie alle leich erfüllt von einer Summe
erdolcht sie ihn selbst, und er erkennt jetzt, daß die
verschiedenartiger Eindrücke, die noch lange nachwirken,
Größe diesei That für ihn die künstlerische Befreiung
und in denen sie erst nach einiger Zeit 7.h völlig
Schaffen ist und in der Stimmung der Stunde malt
zurechtfinden werden.
Ein vierblätteriges Kleeblatt haben wir auf dem
er seine Frau
die Frau mit dem Dolche.

dürren, in diesem Theaterjahre bisher besonders unfrucht= Verwandlung. Wir sind wieder im Galerie=Saale.l
ge=Wie aus einen Moment der Erstarrung erwachend,
baren Boden unseres Deutschen Theaters“
funden — dabei zeigte es sich wieder einmal, daß vier¬
verspricht Pauline dem Verführer, dessen Züge eben
blätterige Kleeblätter Glück bringen.
der Erdolchte trug, Abends zu ihm zu kommen. Man¬
Mit vier Einactern von Arthur Schnitzler
hat das Gefühl, daß der Traum da zur blutigen
hat das „Deutsche Theater“ gestern einen vierfachen,
Wirklichkeit werden kann
der, sagen wir der Sicherheit wegen einen drei¬
Wie unrecht würde man thun, das kleine Stück für
fachen Erfolg errungen.
ein dramatisches Bekenntniß des Glaubens an die
Die Zeit der Einacter schien vorbei. Die Theater
Seelenwanderung, für eine mystisch=spiritistische
hatten ein Vorurtheil gegen die dramatischen Nippes¬
Tendenz=Dichtung zu halten. Eine Dichtung ist
Sachen. Sie waren allenfalls einmal einzeln zur
sie eben. Sonst nichts. Stark empfunden, in leuchten¬
Ausfüllung eines Theaterabends gut. „Die Einacter
den Farben ausgeführt, eine Schöpfung mehr!
machen nichts,“ sagten unsere Theater=Geschäftsleute,
musikalischen Charakters, eine Träumerei, ein
„die Einacter sind todt!“ Ein anderer Aberglaube
farbeuprangender Einfall ... Fräulein Triesch war
kam da wieder einmal zu seinem Recht: Todtgesagte
in Wesen, Ton, in Haltung und Bewegung ganz die
leben sehr lange.
Phantasiegestalt des Dichters. An einer fremdartigen,
Mit einem Einacter=Cyklus führte sich Arthur
schwierigen Aufgabe hat sich hier ihr echtes, sicher zu¬
Somitzler in die Bühnenliteratur ein, einem Strauß
greifendes Gestaltungstalent erwiesen, ihr nachdichtendes
kieiner Dichtungen, die aus einem Gedanken, einer
Empfinden. Herr Richard Hahn war weniger der
Stimmung geboren schienen. Mitder „Anatol“=Einacter¬
Leonhard und Lionardo der Dichtung, Herr Ottot
sammlung, die aus einem skeptischen, kritischen Ent¬
Sommerstorff gab der Traumgestalt des Malers
der Analyse
wicklungszustand erwuchsen,
charakteristische Züge. Schön ausgestattet und
moderner Conventionen, gesellschaftlicher Einrichtungen
von Emil Lessing mit nachspürendem Ver¬
ihre Aufgabe suchte. In „Paracelsus“ dem „grünen
ständniß inscenirt, fanden die drei kleinen Bilder
Kakadu“, in seinem zweiten Einacter=Bouquet, war
einen starken, dem Eindruck entsprechenden Beifall, der
Schnitzler schon gestaltender Dichter, und nicht mehr
den Verfasser sehr oft vor den Vorhang rief. Friu¬
suchender, grübelnder, zwischen Selbstbespiegelung und
llein Triesch, der dieser Beifall ebenfalls galt, durste
Spott verlegen einhertaumelnder, zwischen Keckheit
natürlich nicht erscheinen.
und Schüchternheit schwankender, innerlich verzagter
Einen seinen und tiefen Gedanken übersetzt das dritte
Anfänger. Die Zusammenstellung durch eine Grundidee
der vier kleineren Stücke in Leben. Das in Noth
und einen gemeinsamen Titel verbundener kleiner
und Elend verkommende starke Talent empört sich
Bühnendichtungen war inzwischen Mode, oder sagenl vor dem Ende gegen die in Glück protzende Hohlheit.
wir besser: Ausdruck einer Zeitströmung geworden.
Der Journalist Rademacher liegt im Sterben. Jetzt
Wir sahen auch Sudermann, Hartleben mit dieser
endlich will er dem Flachkopf Weihgast, der einst
Strömung in der Fluth des Erfolges schwimmen.
sein Freund gewesen, seine ganze Verachtung ins
Gestern brachte uns Arthur Schnitzler die neuesten
Gesicht schleudern, will ihm sagen, wie seine Frau,
Blüthen aus dem üppig wuchernden, an phantastischen
Leere angewidert,
von seiner
selbst
Kunstgewächsen reichen Garten seiner Dichtung. Von
lange des armen Rademacher Geliebte ge¬
der skeptischen Kritik der Gesellschaft ihrer
wesen. Erkspielt diese Befreiungsscene einem Spital¬
Conventionen und Moral=Begriffe ist Schnitzler
genossen auch vor. Da aber endlich Weihgast in aller
jetzt zum Studium und zur Untersuchung der
verlegenen Freundlichkeit, in aller hanalen Wohl¬
ästhetischen Conventionen, der Kunstanschauungen
meinung vor ihm steht, von seinen armseligen Freuden
und Kunstgesetze vorgedrungen.
und Leiden spricht, überkommt den Sterbenden ein
Das Leben in der Kunst behandeln die
aus tiefer Verachtung fließendes
unendliches
„lebendigen Stunden". Zunächst mehr im Mitleid mit allem Leben. Er verzichtet auf das
Stile der Disputation, bald genug aber in poetischen
Strafgericht und stirbt, innerlich befreit wenn
Gestaltungen und Wirklichkeits=Darstellungen. Zuerstlauch anders, als er vordem meinte. Ist auch
herrscht die These vor, der ein beliebiges illustriren¬
der kranke Schauspieler im Stücke eben nur Theater¬
des Lehr=Beispiel zugesellt wird, dann haben wir
behelf, so ist doch im Gauzen einem vornehmen Ge¬
umgekehrt, und im Sinne der Bühnenkunst richtiger,
danken vornehme künstlerischer Ausdruck gegeben.
icht
erise