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— Filiale in Budapest: „Figyeló“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
Ausschnitt aus:
vom „
Nmbarger Fremimnde.:
1707—
Liebeswünschen verfolgender junger Mann, die beiden
treffen sich, und zwar schon im Rückfalle, in einem
Feuilleton.
Museumsaale mit Bildern alter italienischer Meister,
und plötzlich überfällt Frau Pauline das Gefühl, daß
ein italienisches Bild aus dem 16. Jahrhundert: „Die
Frau mit dem Dolche“ — wir sehen es in Lebens¬
Berliner Theater.
größe an der Wand hängen — vielleicht ihre Vorfahre
(Eigenbericht.)
ist, ihr wird zu Muth, als lebe sie selbst im 16. Jahr¬
hundert, und ein Traumzustand
— in gebildetem
Berlin, 5. Januar.
Deutsch: eine Hypnose
überfällt sie am hellen
„Lebendige Stunden“ von Arthur Schnitzler.
lichten Tage mitten in dem Bildersaal. Der Vorhang
Für 3 Einacterabend.
kommt ihren rückwärts gewandten Renaissanceträumen
Der Verfasser oder die Leitung des Deutschen
zu Hülfe: als er sich nach einer Pause vor der ver¬
20 Theaters oder Beide haben gewußt, warum sie an
dunkelten Bühne wieder erhob sahen wir die Frau
50
den Schluß dieses aus vier Stückchen bestehenden
mit dem Dolche aus dem 16. Jahrhundert und sahen
" 100 Einacterabends das lustigste und geistreichste gesetzt auch die Begebenheit, in der ihr Dolch eine verhängni߬
haben. Bei umgekehrter Reihenfolge wäre eine arge volle Rolle gespielt hatte; dann senkt sich der Vorhang
In
Mißstimmung entstanden, denn wer ist vergeßlicher als abermals, die Bühne wird noch einmal verdunkelt,
Abonnem
die Zuhörer im Theater? So aber vergaßen sie, daß und als es wieder hell wird, wacht Frau Pauline
Abonnen
sie zuerst zwei quälerische und im Gefühl wie im aus ihrem Renaissanceschlaf auf und verheißt dem
Inhalt gewaltsame Stücke gesehen, vergaßen auch die Anbeter eine Schäferstunde, in der, wie nach dem
etwas allzu dick aufgetragene Herbigkeit des dritten
Vorangegangenen zu fürchten steht, der bewußte Dolch,
Inhaltsa
Stückes und gingen über das vierte Stückchen lachend diesmal aber wahrscheinlich in der Hand ihres Mannes,
blätte nach Hause oder, was sehr Viele thaten, zu den¬
irgend Jemand, man weiß noch nicht recht, wen, ob
wodlurch
glänzenden Musikabend in der Wandelhalle des
die Frau oder den Anbeter, tödten wird. Ich muß
des In¬
Reichstages zum Besten der Wohlthätigkeitscasse des
gestehen, es war uns Allen auch sehr gleichgültig, was
Vereins Berliner Presse.
werden 1
mit dem Dolche vielleicht geschehen würde, denn die
Arthur Schnitzler hat allen vier Stückchen den
Menschen gingen uns Alle nichts an.

Gesammttitel „Lebendige Stunden“ gegeben, obgleich
In dem dritten Stückchen: „Die letzten Masken“
nur das erste diesen Titel als seinen eigenen aufweist.
hat Schnitzler uns mit kühnem Griff eine zwar alte,
Er ist damit verfahren wie Novellensammler, die ja
aber immer noch der jeweiligen Auffrischung bedürfende
auch häufig ihre Sammelbände nach dem Titel der
Wahrheit gepredigt: daß angesichts des Todes aller
ersten oder der nach ihrer Meinung stärksten Novelle
niedrige Menschenkram von uns abfällt, daß selbst der
wählen. Das kleine Schauspiel „Lebendige Stunden“.
während eines langen Leidens genährte Haß wie
spielt sich ab zwischen einem alten Herrn, der durch den Ted
mürber Zunder von uns niedersinkt, wenn wir die
einer geliebten Freundin oder sagen wir seiner Geliebten,
Fittiche des Todes rauschen hören. Im Spital liegt
ganz gebrochen weiterlebt und dem Sohn der Verstorbenen,
auf den Tod krank darnieder ein alter erfolgloser
einem jungen Dichter, der das nicht regelrechte Ver¬
Schriftsteller, der vor dem Sterben nur einen Wunsch
hältniß der Beiden gebilligt hat, da sein wirklicher
noch hat: einem Jugendgefährten, der es weiter gebracht
Vater die Mutter schnöde im Stich gelassen hatte.
als er, und der doch nicht so viel werth sei wie er, in
Auch der Sohn ist gramgebeugt und unvernegend,
der letzten Stunde die volle Wahrheit zu sagen, ihm
Etwas zu schaffen. Da erfährt er von dem Freunde
seine ganze Erbärmlichkeit vorzuhalten, ihn in seinem
seiner Mutter, daß diese, an einem unheilbaren Leiden
aufgeblähten Stolz zu demüthigen durch die Ent¬
dahinsiechend, mit eigener Hand ihren Qualen vor der
hüllung, daß nicht einmal sein Weib ihm treu, sondern
Schicksalsstunde ein Ende gesetzt, um ihrem geliebten
die Geliebte des Andern gewesen, und der mitleidige
Sohn, den sie unter ihren Leiden geistig erliegen sah,
Arzt, der die Absicht des Sterbenden nicht kennt,
die Schaffenskraft wiederzugeben. Der Alte, ein
sondern nur dessen flehenden Wunsch nach einer letzten
Egoist des eigenen Schmerzes, glaubt, er werde durch
Unterredung hört, willfahrt ihm und führt den Er¬
diese Mittheilung den jungen Dichter ganz zer¬
sehnten wirklich an das Sterbebett. Als aber der
schmettern und ihn auch in trostloses Nichtsthun
angeblich erfolgreiche Nebenbuhler da ist und dem
herabziehen. Statt dessen sieht er, daß diese furcht¬
Todtkranken erzählt, daß auch er nicht auf Rosen
bare Enthüllung für den Dichter wirklich eine lebendige
gebettet sei, daß er mit literarischen und anderen
Stunde wird daß er sich vornimmt, des Opfers der
Sorgen zu kämpfen habe, da weiß der Kranke kein
Mutter durch große Leistungen würdig zu werden.
Wort von all Dem vorzubringen, was er vorher sich
Der Alte ist entsetzt über diese Kraft der Jugend, sich wie in einer Generalprobe eingeübt hatte, sondern die
aus dem Gram über einen geliebten Menschen durch beiden Menschen scheiden von einander mit freundlichem
Arbeit zu erheben und weiter zu leben, der junge
Händedruck. Wir hörten mit Ergriffenheit zu, und die
Dichter aber ruft ihm das schneidende Wort zu: Im
Stimmung wurde freundlicher.
nächsten Frühling komme ich wieder, und dann wirst
Sie steigerte sich bis zu einem wirklichen Erfolge
auch Du weitergelebt haben!
Das breite und
nach dem vierten Stückchen: „Literatur, worin Arthur
langsame Ausspinnen dieser Betrachtungen über die
Schnitzler mit seiner wohlbekannten feinen Spottsucht
Berechtigung des trostlosen Grams und des Trostes
über männliche Aufgeblasenheit und Dummheit ein
in der Arbeit zerrten an den Nerven der Zuhörer um
schlaues Literaturweibchen anmuthig siegen ließ. Die
so mehr, als man die Ueberflüssigkeit des Hin= und
allerliebste Plauderei mit ihren vielen lustigen An¬
Hergeredes fühlte; denn Jeder weiß, daß man ent¬
spielungen schlug vollkommen durch und gestaltete den
beder an einem schmerzlichen Verlust bald zu Grunde
ganzen Abend zu einem wahrscheinlich nicht nach¬
geht oder sich, der Eine nur durch die Alles heilende
haltigen Erfolg; aber jedenfalls wird uns wieder ein
Zeit, der Andere durch Versenken in gesteigerte Arbeit,
Einakter von Schnitzler zurückbleiben, dem wir zusammen!
der Dritte auf irgend eine andere seinem Charakter
mit längeren Stücken noch oft begegnen werden.
gemäße Weise tröstet, oder sagen wir: eine Neugeburt
Die Darstellung war in allen vier Stücken vor¬
an sich vollzieht. Hier handelt es sich um lauter
züglich. Max Reinhardt, Rudolf Rittner, Hans Fischer,
offene Thüren der Lebensweisheit, die nicht erst durch
Albert Bassermann — alle ganz auf der Höhe, die
ausspruchsvolle dramatische Mittel eingerannt zu
der Dichter von ihnen verlangte. Die beiden wichtigsten
werden brauchen.
Frauenrollen wurden durch Irene Triesch geistvoll und
Der zweite Einacter, „Die Frau mit dem Dolche“,
überzeugend dargestellt,
in dem letzten Stückchen
muthete uns allerlei nachtwandlerische, traumzuständliche
sogar hinreißend. Für die Künstler des Deutschen
Vorstellungen zu, und wir vermochten beim besten
Theaters war der Abend auf alle Fälle ein starker
Willen dieser Zumuthung nicht zu entsprechen. Da ist
Erfolg.
E. E.
eine ganz moderne Frau eines deutschen Schriftstellers
von heute, da ist ein sie anbetender und mit seinen