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„OBSERVER“ Nr. 61
I. österr. behördl. conc. Burean für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien. IX, Türkenstrasse 17.
— Filiale in Budapest: „Figyeló“ —.
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Ausschnitt aus:
vom 72
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Berliner Theaterbrief.
7. Jänner 1902.
Im Königlichen Schauspielhause gab's am Syl¬
vesterabend einen unbändig heiteren Abend. Die Hofbühne hatte
sich für diesen Tag das Werk eines ganz alten Autors, nämlich
Shakespeares, verschrieben. „Die Komödie der Irrungen“ wurde
neu einstudirt und entfesselte Stürme von Heiterkeit. Freilich ist das
nicht das Verdienst Shakespeare allein. Man kann dreist sagen,
man sah diese Komödie eigentlich hier zum erstenmale. Man gab
sie nämlich in einem so flotten Tempo und in einem so echt
modernen burlesken Styl, daß die alten Shakespeare=Freunde wohl
darüber den Kopf schüttelten. That's das Publicum, so geschah es
aber nur zum Vergnügen. Natürlich nur so gespielt, ist das Stück
eigentlich recht genießbar. Man kam gar nicht aus dem Lachen s
heraus. Herr Matkowsky gab den Antipholus von Syrakus, :
Herr Christians den Antipholus aus Ephesus, die Herren
Hertzer und Hartmann die beiden Dromios, die Damen
# v. Hochenburger, Lindner und v. Mayburg Alle mit so ?.
vielem Uebermuth, daß es eine wahre Lust war. Uebermüthiger)—
kann auf dem Ueberbrettl nicht gespielt werden, als in dieser
Shakespeare=Vorstellung.
Im Schiller=Theater brachte man am gleichen Tage
Gogol's „Revisor“ als Erstaufführung heraus, nicht ohne Schwierig¬
keit, denn im letzten Augenblick erkrankte Herr Steinrück, und
nur dadurch, daß die Hoftheater=Leitung in liebenswürdiger Weise
Herrn Molenar gestattete, den Stadtcommandanten zu geben,
welche Rolle der Künstler freilich auch schon im Hoftheater gegeben
hatte, war es möglich, die Aufführung zu Stande zu bringen. Herr
Kuhnert gab mit vielem Humor den Klestakow, die Herren
Rickelt und Köstlin den Bobtschinsky und Dobtschinsky. Frau
Scholt spielte mit köstlicher Komik die Anna Andrewna und in
gleich charakteristischer Weise Herr Schmasow den Ossip.
Im Deutschen Theater fand ein Einacter=Abend von
Arthur Schnitzler lebhaften Beifall. Die vier Einacter führen den
Gesammttitel „Lebendige Stunden“ nach dem ersten, dem schwächsten“
der Stückchen, das eine recht brutale Idee, die wohl in der Novelle
berechtigt sein mag, vor das grelle Bühnenlicht bringt: eine Mutter
tödtet sich, um den Sohn, einen Dichter, frei zu machen. „Die Frau
mit dem Dolche“ betitelt sich das zweite Stück, das literarisch
eigentlich noch schwächer, aber theatralisch ungemein geschickt gemacht
ist, so daß es lebhaften Beifall fand. „Die Frau mit dem Dolche“ ist?
ein Bild im Museum, vor dem sich eine Frau mit ihrem Liebhaber
ein Rendezvons gibt. Träumend sieht sie sich dann selbst in dem
Bilde wieder, als Gattin eines florentiner Malers, der sie nach:
einer mit dem Geliebten verlebten Nacht überrascht und vor dessen?
Augen sie den Geliebten ersticht, worauf der Gatte die Frau mit:
dem Dolche malt. Erwachend sagt sie dem Liebhaber, daß sie zu
dem gewünschten Stelldichein in seiner Wohnung am Abend kommen
werde. Das ist älteste Lampen=Theatralik, modernisirt durch Sym¬
bolismus. „Die letzten Masken“ ist kaum ein Drama zu nennen;
ein philosophirender undramatischer Dialog. Am meisten Erfolg
hatte das vierte Stückchen, „Literatur“ betitelt, ein lustiges Abbild
des wiener Kaffeehaus=Literatur=Lebens, auch kaum ein Stück zu
nennen, aber voll sprudelnden Humors und mit glücklichster
Beobachtung des dem Autor allerdings sehr vertrauten wiener
Lebens. Die Herren Reinhardt, Rittner, Bassermann,
Fischer und Frl. Irene Triesch waren die glänzendest Ver¬
treter der Hauptrollen in diesen recht ungleichen Stücken. D#
ger Goldscho
Se.
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der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN M., Auguststr. 87 part.
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Ausschnitt
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aus
# gelpziger neueste Nachrichten
—8 1. 02
Schnitlers neuer Einactercyclus wurde am Sonnabend im
Deutschen Thenrer
Male zur Aufführung gebracht.
Die „Voss. Ztg.“ schreibt hierüber: Der neue Einactercyclus Arthur
Schnitzlers, unseres feinen Poeten, dem die lustige Melancholie, der weh¬
müthige Uebermuth und noch einige Gaben mehr gegeben sind, endete
gestern Abend im Deutschen Theater nach einem zögernden Einsatz mit
einem kräftigen Erfolge. Das erste Stück „Lebendige Stunden",
gab dem Cyclus, dem es den Namen gegeben hat, mit einem
melancholischen Auftact zugleich den ernsten Sinn, die beiden nächsten
„Die Frau mit dem Dolche" und „Die letzten Masken
ogen mis mit überlegener, wenn auch häufig überlegender Mache
in den tragikomischen Maskenzug, den man Leben heißt, und
das letzte „Literatur“, das sich anspruchslos Schwank nannte,
befreite uns von den wechselvollen, verwirrenden Gesichten durch ein
klärendes herzliches Gelächter über uns, über unsere Narrenwelt, die
eitel ist, sich noch einmal in Dichterträumen zu bespiegeln. War das
Publicum zuerst durch die Vielheit und Verschiedenheit dieser Gaben etwas
benommen, so empfand es am Schlusse die Einheit der künstlerischen An¬
schauung und es nahm die vier Stücke als vier Actt derselben Tragi¬
comödie des Lebens. Damit hatte der Dichter seinen Zweck erreicht. Die
lufführung, in der Fräulein Triesch, die Herren Reinhardt, Rittner, Fischer,
Bassermann, Sommerstoff besonders hervorragten, wird sehr gerühmt.