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Text

Kax Goldsch
Bureau für 3.
O
%
Zeitungsausschnitte und Verlag
der Wissenschaftlichen Revue.
BERLIN N., Auguststr. 87 part.
Telephon Amt III. No. 3051.
Teiegrunn Zehrese.
Ausschnitt
G0LDSCHMID T. Auguststr. 87.
aus
Münchener Heueste Nachrichten
-9 1. J2
Nachdruck
Auler Falching.— vereien.
Berlin, Anfang Januar.
Vergangenen Samstag lud das Deutsche
Theater zur Schnitzler=Premi# re, der Verein Ber¬
ner Presse zu feinen diesjähngen Reichstagsfeste.
hätte Herr Brahm Schnitzlers „Schleier der
Berenice“, dies noch immer im Pulte ruhende
underwerk, aufgeführt, so wäre der Kunstfreund
ihm gepilgert. Er begnüg.e sich aber mit vier
inaktern des Wiener Dichters, deren werthvollere
betrachten hoffentlich noch Gelegenheit sein wird,
eaber keine Premièrenstimmung zu erzeugen
vermochten. So wohnte ich denn der Abendsitzung
des Reichstages bei. Etliche Herren vom Bundes¬
rathe, preußische Minister sogar, stolzirten lächelnd
durch die festlich gekleidete Menge. Das frohe Be¬
wußtsein, vor jeder lebensgefährlichen Inter¬
pellation geschützt zu sein, machte ihre Herzen schwel¬
len, und sie lauschien den entzückenden Geigenkunst¬
stücken Antoniettis mit größerem Behagen, als der
zitatenreichsten Rede Bülows oder gar Bebel'schen
Kernworten. Im großen Saale des Plenums
leuchteten helle Toiletten; auf Graf Ballestrems
Hochsitz hatte sich eine entzückende siebzehnjährige
Blondine niedergelassen und hielt fünf Minuten
lang Cour ab. Andere Jungfräulein wieder
probirten die Weichheit der Sessel, auf denen es sich
— ihrer Meinung nach — im Laufe der Verhand¬
lungen der oder jener berühmte, unter vier Augen
berühmte, Volksvertreter bequem zu machen pflegt.
Ach, wenn die Jungfrauen wüßten, wie selten die
großen Politiker, deren Namen auf den Rücklehnen
zu lesen sind, hier angetroffen werden!... Die
Bibliothek des hohen Hauses war leider geschlossen.
Offenbar wollte man den Uneingeweihten nicht
zeigen, wie wenig abgegriffen die erdrückende Mehr¬
heit der hier versammelten Werke ist. Die
Bibliothek des Reichstages ist ein Ort des tiefen
Friedens, der Zurückgezogenheit und ungestörten
Einsamkeit. Dieser Charakter des Unberührten
muß ihr natürlich auch auf Pressefesten erhalten
bleiben.
Richard Nordhausen.“
Vertretungen in Berlin. Chicago, Genf. London, Newyork, Paris, Rom, Stockhomm
Ausschnitt aus: S
vom
222
Aus der Hauptstadt.
X
Dramatische Aufführungen.
Die Wohlthäter. Lustspiel in fünf Aufzügen von L'Arronge.
(Lessing=Theater.) — Lebendige Stunden. Vier Einacter von Arthur
Schnitzler: Lebendige Stunden. — Die Frau mit dem Dolche. — Die

letzten Masken. — Literatur. (Deutsches Theoter.)
ive
Adolph L'Arronge dichtet noch immer. Bitten und Warnungen 9.
ar
helfen nichts; wenn der Geist über ihn kommt, dann sind alle guten en.
Vorsätze vergessen, und der Poet schustert zielbewußt aus seinen alten
Stücken ein neues zusammen. Zwar ist es schon nicht nett, wenn
das
Jemand rücksichtslos andere Schriftsteller bestiehlt, um mit ihrer Hülse
Abor auf die Bühne zu gelangen; immerhin vermag dieser Jemand einige
Abor Abwechselung zu bieten, da es Gottlob viele andere Autoren giebt und
für den unehrlichen Finder keine Gefahr, sich auszuschreiben, besteht.
Wenigstens so lange seine Scheere schneidet und sein Kleistertopf wohl= d die
Ink; gefüllt ist. Schlimmer ist es bei Adolph L'Arronge. Er schreibt sich gen¬
blä
selbst ab. Jedes nachgeborene Drama dieses Unermüdlichen ist eine ung")
wod
Sammlung von Reminiscenzen aus Mein Leopold und anderen sozu= seben
des
sagen erfolgreichen Jugendwerken des ehrwürdigen Greises. Aber der ungen
wert
Aufguß wird immer dünner und lauer, und die Zahl derer, die ihn
verächtlich aus ihrem Munde ausspeien, immer größer. Daß sich trotz¬
dem regelmäßig wieder ein Theater dazu erniedrigt, die L'Arronge'schen
Wiederkäuereien aufzuführen, ist das Bemerkenswertheste an der Geschichte.
Der Gesichtskreis unseres Helden ist nie groß gewesen, seine künst¬
lerischen Fähigkeiten hielten sich immer auf bescheidenem Niveau. Du
lieber Gott, was waren das für Menschen, die er in unwahrscheinliche
Handlungen hineinstellte! Hüben Biederleute, deren Edelmuth geradezu
erschütternd wirkte, während gleichzeitig ein ihnen vom Autor angeheftetes,
komisches Schwänzlein dafür sorgte daß man sie nicht allzu tragisch
nahm, sondern auch ein Bißchen über sie lachen konnte. Denn solche
Mischung liebt sich das zahlende Publicum am meisten. Den Edelingen?
BArronge'scher Factur standen allemal bösartige Schurken oder auf¬
dringliche Dummiöpfe gegenüber, und wenn nicht der bewußte nette
Mann gewesen wäre, der nach dem vierten Act das große Loos gewann,
eine reiche Erbschaft machte ode eine Goldmine entdeckte, dann hätten
die philiströsen Strohköpfe zuversichtlich triumphirt. So aber wurden sie
verhöhnt und zum Teusel gejagt, und das von Rechtswegen. In den
Wohlthätern“ gewinnt der liebe junge Held zwischen dem vierten und
fünften Acte zwar nicht das große Loos, macht auch keine reiche Erb¬
schaft und entdeckt keine Goldmine; dagegen erringt er eine ungeheuer
hoch besoldete Stellung. Und nun kann er den beiden alten Ekeln,
die ihm beständig ihre Wohlthaten vorgeworfen haben, gründlich zeigen,
daß er ihre Protzerei satt hat; nun kann er Poularden mit Spargel,
sein Leibgericht, aus der eigenen Tasche bezahlen und braucht sich von
Niemandem mehr etwas spendiren zu lassen. Das ist Leben! Das ist
Dichtkunst! Und das ist ewig! L'Arronge wird Gerhart Hauptmann
überdauern, vorausgesetzt, daß sich nach seinem Tode Jemand findet, der
die alten Dramen des Poeten mit demselben Eifer wie er selber um¬
wendet, ausbessert, neu aufbügelt und aus vorhandenen Stoffen immer
neue Beinkleider macht.
Ja, Adolph L'Arronge wird Gerhart Hauptmann überdauern, wie
die Lub'iner und Philippi, die man längst todt und begraben wähnte,
die nun aber zu neuem und glänzendem Leben erwacht sind, ihre rea¬
listischen Ablöser überdauern werden. Ihre Namen klingen durch die
Jahrzehnte; wer aber wird anno 1912 beispielsweise noch von Arthur
Schnitzler sprechen? Und doch ist er ein Reicher unter seinen Freunden.
Er streut mit vollen Händen Gut und Gaben aus, und er achtet
nicht darauf, daß ihm der Besitz zwischen den Fingern zerrinnt. Ein
ganzes Bündel von Novellenstoffen wird auf die Bühne geworfen, ein
Gewirr von Problemen gelöst — aber der Stoff gewinnt weder künst¬
##erische Gestalt noch menschliches Leben, und das Problem verharrt in
abstracter Kühle. Ein Dichterjüngling, dessen alte Mutter seinen Genius
dadurch beflügelt, daß sie Selbstmord begeht; eine Frau, die den geliebten;
Mann mit einem guten dummlichen Jungen betrügt, vorher aber das
Schicksal einer Renaissancedame im Traume miterlebt und Zeugin davon
wird, wie der hintergangene Gatte den von der Ehebrecherin ermordeten
Galan abeonterseit; die Vergeltungscene zwischen dem sterbenden Geistes¬
starken und dem armseligen, öden Schächer, der doch zu armselig ist, als daß
man Rache an ihm nehmen könnte — das sind alles seltsam erklügelte, wenn
auch nicht gerade originelle Motive. Schnitzler hat uns seine Figuren
nicht feelisch nahe zu bringen vermocht; die drei Arbeiten wirken wie:
müßige Spiele eines Welifremden. Größeren Beifall sand der mit
Bosheiten und kecken Anspielungen vollgepfropfte Schwank „Literatur“.
Sobald die Modernen sich und ihre innmen Feinde schildern, werden sie
amüsant und genleßbar. Wie schade, daß sie nicht beim Leisten:
bleiben und sich mir Vorwürfen herumquälen, die jenseits ihrer Be¬
obachtungen liegen!
S.