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16.1. Lebendige Stunden— Zyklus
Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
EN Nr. 88
Ferichte u. Personalnachricht“
ist, und von einem jungen Sohne der ein Dichter ist und in seiner
nstrasse 17.
Kunst einen verheißungsvollen Anlauf genommen hat. Die Da¬
noch seine Studien. Der Schauspieler ist jedoch nicht die Haupt¬
Figyels“ —
hingeschiedene hätte aber wohl noch ein paar Jahre leben können; person, sondern ein armer, heruntergekommener, in den letzten
sie hat sich selbst geopfert, um dem Sohne, der neben ihrem qual= Zügen liegender Journalist. Allerdings war es der Schauspieler,
(Newyork, Paris, Rom, Stockho
vollen Siechtum die Schwingen seiner Seele nicht zu entfalten ver= der ihm seinen letzten Wunsch soufflierte. Er hat ihm nämlich
erzählt, wie er sich die schlimmsten Stunden seiner Krankheit damit
mag, den Weg frei zu machen. Der Alte weiß es aus einem fürzte, daß er im Geiste mit allen seinen Feinden abrechnete. Das
hinterlassenen Briefe der Toten. Ihn der mit ihr sein bestes
Stück Leben verloren, wurmt das Opfer der „lebendigen Stunden“ ill der Journalist, der sich immer um des Lebens Notdurft hat
F Hartung'sche Zeitung
die er noch mit ihr hätte genießen können, für die künstlerischelen müssen, auch thun: er will abrechnen, wenigstens mit
Zukunft des Jungen so, er ist so überzengt von dem Recht des
einem. Mit seinem Jugendgenossen, der immer höher auf¬
Pr
Lebens im Gegensatz zum Rechte der Kunst, daß er das ihm auf¬
stieg, während es mit ihm immer weiter abwärts ging,
erlegte Stillschweigen bricht. Er ist eifersüchtig darauf, daß der
und der doch nicht so viel ist wie er. Er will, bevor er stirbt,
junge Mann in seiner Kunst ein Mittel finden kann, über das
ihm ins Ohr schreien, daß er, der Arme und Verachtete, seiner,
Erlebte hinwegzukommen; er will ihn daran hindern dadurch, daß
des Berühmten und Gefeierten, spotten dürfe: daß er jahrelang
er ihn mit der Last des Geheimnisses beschwert. Der junge Mann
der Geliebte der Frau des Freundes gewesen sei, die beide nach
indessen entgegnet, daß er nun erst recht, damit das Opfer der
ihrem wahren Werte zu schätzen wußte. Allein als der große
Mutter nicht umsonst gebracht sei, sich in seine Kunst versenken
Dichter nun erscheint, als er wohlwollend und freundlich in seiner
müsse. Es ist, wie schon angedeutet, Schnitzler nicht gelungen, über
herablassenden Art zu ihm spricht, als er auch davon spricht, wie
das Konstruierte der Sache völlig hinauszukommen.
die Jugend an seinem Kranze reiße, wie er sich verteidigen und
manche Kränkung erfahren müsse, da bringt der Sterbende nichts
Auch an dem zweiten Einalter, „Die Frau mit deu. Bolche“ heraus von dem, was er sich vorgenommen hat; da erkennt er,
ist es mehr der originelle und pikante Einfall, der blendet, als daß auch der andere seine Not und Plage hat; da empfindet er,
daß eine tiefer greifende künstlerische Wirkung erreicht würde. In daß denjenigen, der morgen nicht mehr sein wird, das Leben nichts
einer Gemäldegalerie treffen sich eine schöne Frau und ihr Lieb¬
mehr angeht. Und er stirbt mit seinem Geheimnis.
haber, dem sie noch nichts gewährt hat. Am Abend zuvor ist ein
Drama ihres Gatten aufgeführt worden, in dem er intime Vor¬
Den drei ersten Stücken hat Schnitzler ein Satirspiel nach¬
gänge ihres Ehelebens dem Lichte der Offentlichkeit preisgegeben
gesandt, ähnlich wie Sudermann seine „Morituri“ mit einer
nschaft.
Art Satirspiel beschlossen hat; ein viertes Stück, in dem das
hat. Der Liebhaber bestimmt sie, sich ihm zu schenken, ihr vor¬
den.“
Thema ins Komische und Parodistische gewendet wird. Dieses
haltend, daß sie für ihren Gatten ja nur ein Objekt ihrer Kunst
lustige Satirspiel, „Litteratur“ genannt, funkelt aber so von
i. In dem Saale hängt ein Bild eines alten unbekannten
r. Berlin, 9. Jannar.
florentinischen Meisters, eine Frau mit einem Dolche in der Hand,
Witz und Esprit, daß man ihm die Krone zugestehen wird. Eine
#s „Lebendige Stun¬
vagierende, abenteuernde Schriftstellerin, die sich von ihrem banau¬
die mit der lebendigen Frau vor dem Bild eine merkwürdige Ahn¬
Istreiches, ob auch nicht in
lichkeit hat. Und wie eine Vision zuckt es in der lebendigen Frau
sischen Gatten geschieden und dann ein flottes Leben mit dem
Erischer Vollendung gedie¬
auf: sie sieht sich als jene im Bilde geschaute Frau, die vor Jahr¬
Kaffeehaus=Litteratentum geführt hat, ist mit einem aristokratischen
ätschen Theaters, wird,
hunderten gelebt hat, und das Schicksal der Frau im Bilde
Sportsfreund verlobt. Der Teufel mag wissen, wie und wo sie
sich der Dichter, gewisser¬
steigt vor ihr auf. Sie war die Gattin eines gefeierten
den Dummen aufgegabelt hat: geung, daß er im Begriff ist, sie zu
vielmehr der gesamten
Malers, der sie liebt und bewundert. Aber während
heiraten. Nur eine Bedingung hat er gestellt: daß sie das Dichten
ken auseinandersetzt, dem
er fern von ihr weilt, hat sie in einem hübschen Burschen ein
aufgebe. Denn er hat eine Idiosynkrasie gegen die Dichter, die
Stoff seiner Kunst wird.
Spielzeug ihrer Lust gesucht. Als der Meister zurückkehrt, teilt sie
sich sozusagen hüllenlos dem Publikum zur Schau stellen. Allein
zne innere Verwandtschaft ihm sofort mit, was geschehen ist. Er weist dem anderen, als zu
sie hat das Dichten nicht lassen können; sie hat einen Roman geschrieben
aus dramatischem Epilog klein für seine Rache, einfach die Thür. Der schwört dem Meister,
und teilt es ihrem Verlobien mit. Der geht aufgebracht von hinnen.
Pexistiert ein Gebiet, wo hn zu töten, wo er ihn fände. Da zieht die Frau den Dolch und
Die Zurückgebliebene ist nun ganz im Unklaren, was aus ihr und
#en Sinne, feindlich gegen¬
stößt den Mann nieder, mit dem sie nichts mehr gemein hat und
der Heirat werden wird. Ein litterarischer Genosse ihrer stürmi¬
hem Recht an dem Recht
der ihren Gatten bedroht. Wie sie basteht mit dem gezückten Dolch,
schen Zeit, mit dem sie dereinst eine wonnige Zeit der Liebe ver¬
d wenn der Mensch in
packt den Meister seine Kunst: jetzt weiß er, wie er das Bild seiner
lebt, sucht sie auf: ihm verlangt nach einer Neuauflage des ent¬
zu sagen, loie ich leide“,
Frau, das er in Arbeit hat, vollenden soll. Und er geht aus
schwundenen Glücks, während sie noch an der Hoffnung auf die
tder Punkt, an dem der
Werk. Die Seene hatte sich verwandelt, um diesen in der Vor¬
Heirat festhält. Da stellt sich heraus, daß sie beide in ihren neuen
e Sterbliche als zartestes
stellung der lebendigen Frau sich abspielenden Vorgang zu zeigen.
Romanen — er hat nämlich auch einen geschrieben — den Liebes¬
Zein Innerstes verschließt,
Nun verwandelt sie sich wieder: und die aus ihrer Betäubung er¬
briefwechsel, den sie damals gepflogen hatten, eingeflochten haben.
#itterstes Weh nur für
wachte Frau, die im Geiste erlebt hat, was sie werden und was
O Graus! Wenn der Verlobte davon Kenntnis erhält! Schließlich
ingt es, gerade das weil sie für ihren Gatten thun könnte, die aber wieder erlebt hat, daß
bringt die Dichterin ihre Kunst zum Opfer und sichert sich die
lsch zu gestalten. Er er= dem Künstlergatten die Kunst mehr ist als das Leben, verspricht
Heirat: sie wirft das einzige bisher gedruckte Exemplar ihres Ro¬
Busagen das Leben, indem
dem Liebhaber das gewünschte Rendezvons.
mans ins Feuer, während ihr Verlobter dem Verleger Anweisung
erteilt hat, den Rest einzustampfen. Man kann das natürlich nicht
Für den dritten Einakter „Die letzten Masken“ ist die Be¬
Anden“, der dem ganzen
so wiedergeben: aber es ist alles prachtvoll geraten, die drei Figu¬
ziehung zu der leitenden Idee schwer herzustellen. Aber er rage¬
sich auch als ein das
#en, besonders die beiden von der Feder, die Verwicklung und
an sich betrachtet, über seine beiden Vorgänger beträchtlich empor.
darstellt, bringt diese
Entwicklung, die vielen satirischen Einzelheiten.
In diesem mit starkem dichterischen Gefühl durchgearbeiteten Stück
Das Darstellertrio Irene Triesch, Rudolf Ritztner und
meisten theoretisierend, liegt etwas, das uns eigentümlich bewegt und erschüttert. Das
ausgereift zum Aus¬
Albert Bassermann bot in dem Stück eine unübertreffliche
Begebnis trägt sich in einem Krankenhause zu. Auch hier sehen
n ist nach langem, wir einen Künstler diesmal einen Schauspieler, dem selbst das
Leistung. Von den in den übrigen Stücken Mitwirkenden .— zu
denen auch die drei eben Genannten wieder gehören — sei außer¬
rauert von einem alten Trübste zu einem Stoff für seine Kunst wird: an der Stätte des dem noch besonders Max Reinhardts gedacht.
treuer Freund gewesen! Jammers und Elends macht er, der selbst nahem Tode Verfallene.