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16.1. Lebendige stunden Zyklug
I

SA
räumerischer Wahn geschildert werden. „Scene
Verhältnisse. Frellich in sehr traurige. Da ist
ine Bildergallerie, in der sich eine junge Frau,
das allgemeine Krankenhaus der Schauplatz.
Pauline genannt, ein Stelldichein mit einem Ver¬
Der Journalist Karl Rademacher ist ein Sterbender,
khrer giebt. Sie ist die Gattin eines Dichters,
er hat ein Leben der Arbeit, Noth und
der immer aus den eigenen Eheconflicten ein
Anfeindung hinter
sich
natürlich des
erfolgreiches Stück macht; sie vergiebt ihm viel,
Mißerfolges. Ein früherer Freund, eine
enn sie liebt ihn trotz aller Stoff-phasen, die er
kleinliche Seele, trug den Erfolg davon,
berbeilockt und bei denen sie als feelisches Modell
Ehre und irdische Güter. Er haßt ihn noch
kgurirt. Der Salonheld in der Bildergallerie
auf seinem Sterbelager und er hat nur ein
esteht ihr seine Liebe und macht sie auf ein Bild
brennendes Verlangen, diesem Alexander Weihgast
ufmerksam, das dreihundert Jahre alt ist, von
gegenüber seine Brust zu erleichtern, ihm seine
inem unbekannten Meister gemalt. Es hat
ganze Verachtung ins Gesicht zu schleudern. Der
ehnlichkeit mit ihr und heißt „Die Frau mit
menschenfreundliche Arzt verspricht ihm, den be¬
em Dolche“. Nun war die Mutter der diese
rühmten ehemaligen Freund an sein Lager zu
ehnlichkeit auch empfindenden Dichtersgattin eine
führen. Inzwischen bewegt ihn sein Nachbar, der
Florentinerin. Und plötzlich meint die Be¬
Schauspieler Jackwerth, nach dem auch der Tod
schauerin, daß sie den todten Mann da im Hinter¬
schon die Hand ausgestreckt hat, eine Art Probe
rund auf der Leinwand auch kennt — „das
mit ihm abzuhalten — er macht Menschenstudien.
nd Sie, das bin ich!“ Die Scene verdunkelt
An den hin schleudert also Rademacher all seine
ch, minutenlanges Glockengeläute ertönt und
Anklagen, seine Verachtung, auch die herbe Wahr¬
ls sich der Vorhang wieder hebt, sind wir in
heit, daß ihm das Herz von Weihgasts Frau ge¬
Florenz im Cinquecento, im Atelier eines damals
hörte, daß der Kleinling und Eitelkeitsheld gar
erühmten Meisters Remigio. Seine sehr im¬
nicht verstand. Die Briefe sollen sogar seine
ulsive röthlichblonde Ehehälfte Paola hat
Erbschaft bilden. Dann kommt der wirkliche
ährend seiner Abwesenheit — ein Medici ist sein
Weihgast. Sprickt von seinem Leben, zeigt
Mäcen — ein Liebesabenteuer mit seinem Schüler
sich in seiner ganzen Richtigkeit, jammert über
keonardo gehabt. Als ihr Gatte zurückkommt, ge¬
Enttäuschungen, dens aun kommen die Jungen
eht sie ihm — den sie doch allein liebt — ihre Schuld
und des Sterbenben Lippen bleiben stumm.
und ersticht Leonardo vor seinen Augen. Auf
Er erkennt, wie unwichtig das alles ist, auch
er Staffelei steht ein Bild von ihr, ihr Gatte
sein Rachegefühl erlischt. Was ist Angesichts des
ollendet es mit ihrer letzten Pose — giebt ihr
Todes Erfolg oder Scheitern, mit dem Glücks¬
en Dolch in die Hand. Seine Künstlerschaft,
rade rollen oder entgleisen? Homo bullo! Und
in Ehrgeiz geht ihm über alles, selbst über die
die Seifenblase zerplatzt — er läßt den hohlen
ugenblickliche Rache. Der Vorhang fällt, das
Gecken gehen und legt sich zurück — zum
aus verdunkelt sich. Ein neues Glockengeläute
Sterben. Der Einacter mit dem traurigen Facit,
nd aus dem Reiche der Medicäer sind wir
dem tiefen philosophischen Gedanken ist eine echte
ieder in die Jetztzeit versetzt. Frau Pauline
dichterische Gabe. Die Darstellung war aus¬
keibt sich die Augen, vielleicht ist das Glocken¬
gezeichnet. Max Reinhardt als Rademacher,
eläut ein Ohrensausen der Betäubung bei ihr
Albert Bassermann als Weihgast, Hanns Fischer
ewesen meint man hie und da im Publikum
als Schauspieler boten prächtige Charakterbilder
nd — sie, als wiedergekehrte Paola, giebt dem
das Grollen mit dem Schicksal, das Ueber¬
keonardo — Leonhard modern, die Zusicherung
wältigtsein von der großen Lüge Dasein. brachte
nes Stelldicheins. Also ist nach Schnitzler
der Erste vortrefflich zum Ausdruck. Ihm
ne Wiederkehr nach hunderten von Jahren
gegenüber malte Bassermann den Contrast, den
öglich mit den Instincten. Reigungen
salbungsreichen Ton, die Aufgeblasenheit, den
on damals
keine Läuterung, keine
erbärmlichen Dünkel ganz meisterlich. Diesen
ufsteigende Phase — die Menschen bleiben
öligen lächelnden Geschöpfen sind wir ja alle
ach erneuter Re-Incarnation dieselben unter
schon begegnet, diesen an sich beneidenswerthen
odernen Bedingungen. Paola, die Florentinerin,
Gestalten, bei denen der Glaube an sich selber
dtete ihren Liebhaber. Pauline, die Moderne,
das Beste ist. Und der Todescandidat, der da
kist mit ihrem betrogenen Gatten nach Italien
fröhlich herumgaukelte, war nicht minder echt
nd er wird aus ihrer Beichte ein erfolgreiches
von Hanns Fischer gestaltet. Ergriffen verdoppelte
tück machen. Und in aber dreihundert Jahren?
und verdreifachte das Publikum seinen Beifall
bermalige Seelenwanderung, fleischliche Er¬
für Dichter und Darsteller.
ehung? Es giebt für einen dramatischen Ballamy
Dann kam „Literatur“ — eine ganz Schnitzler'sche
fflichen Ausblich.
allerliebste Dialogführung. Eine Schriftstellerin
Das Schauspiel „Die letzten Masken“ bringt! macht aus all ihren Erlebnissen, wie es an der 1
is nach der mystischen Darbietung in reale 1 Tagesordnung, ein Gedicht oder einen Roman —
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und schwindelt den Kristokraten, der sie heirathet,
an, daß das nur Phantasie ist. Eine Episode ihrer
Vergangenheit tritt lebendig in der Gestalt des
Dichters Gilbert auf, der Rudolf Rittner die
Maske von Otto Erich Hartleben zum Ergötzen
des Publikums verliehen. Irene Triesch als
Dichterin erlebter, unverfroren hüllenloser Lieder,
gefiel besser, als wie als „Frau mit dem Dolch“
weil sie hier natürlicher wirkte und das Spiel
mit den allerdings schönen, mächtig großen Augen
weniger aufdringlich war. Albert Bassermann
war als bornirter, vornehmer Sportsmann von
eminent drastischer Wirkung. Das Lustspiel hatte
noch größeren Erfolg, als „Die letzten Masken“.
Schnitzler mußte unzähligen Hervorrufen Folge
leisten.
Im Lessingtheater hatte das Schauspiel „Das
schwarze Schäflein“ von Skowronnek einen
Erfolg des Abends, denn es ist mit großem
theatralischem Geschick aus des Autors Roman
„Die Frau Leutnant“ bühnengerecht gemacht. Es
richtet sich gegen die Duellfrage und bringt viele
Anklänge an jüngste Vorgänge, die vielfach die
Oeffentlichkeit beschaftigt haben. Ein jähzorniger,
seicniger, trinkender Leutnant ist der Held.
das „schwarze Schäflein“, ist seine Frau. Sie
findet nicht die Szmpathien der Regimentsdamen.
weil sie aus einem anderen Milieu stammt, als
dem meist herkömmlichen. Daß aber e Pro¬
fessorstochter, deren Vater eine Leuchte der
Wissenschaft war, von ihnen, von dem Obersten
selber als „Roturière“ bezeichnet wird, ist doch
eben kaum möglich. Wie denn Skowronnekunsnur
eine Reihe geschwärzter Offiziersgestalten vorführt,
seine Heldin aber mit ganz unglaublicher Jurcht
vor ihrem Manne ausstattet, dem sie nicht ein¬
mal rechtzeitig gestehen mag, daß sie den viel¬
besprochenen Gutsnachbar, um den sich der Con¬
flict dreht, die Klatscherei entsteht, schon seit
ihren Kinderjahren kennt. Er, ein Wittwer, hal
sie einst heirathen wollen. Dieser Herr v. Lenski
lehnt dann endlich, als „das schwarze Schäflein“,
u dem seine Beziehungen tadellos waren,
zu ihm flüchtet, sie sich ihre Liebe gestanden,
das Duell ab — weil er für sie zu leben
hat. Im Roman liest sich wohl das eine und
andere glaubwürdiger, im Stück fehlt die
Motivirung. Einzelne Gestalten und Episoden
sind ganz hübsch gezeichnet, die Commandeuse
und die Sportsdame sind darunter, für das
Liebespaar, das sich zum Schluß findet, faßt man
keine Theilnahme. Der Autor wurde sehr viel
gerufen. Aber mit dem „schwarzen Schäflein“
hat er keine Löfung der brennenden Frage
gebracht.