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16.1. Lebendige Stunden zyklus
sporadisch aufgetaucht waren, vereinten sich in diesem dreiactigen
Aus Perlin. Dr###
Bild aus dem Leben Jung =Wiens und der Welt zu einem
*
GE
(Nachbruck verboten.)
träumerischen Moll=Accord von ergreifendem Klangreiz. Ein
durch Thränen lächelnder Humor glänzte über dem Drama.
* Vor einigen Jahren konnte man fast von einer Einacter¬
Er milderte das Tieftraurige des Vorgangs, den Gegensatz
Manie sprechen. Die dramatischen Einfälle schienen sich nur
zwischen dem jungen anatolähnlichen Helden, der nur liebelt,
noch in der Form der Gedankensplitter einzustellen. Am brolligsten
und dem einfachen schlichten Mädchen aus dem Volke, vieser
wirkte die Idee, das abgelaufene Jahrhundert in dem Spiegel
Christine, welche in der resoluten und doch weichen, hingebungs¬
des Einacters aufzufangen. Das Berliner Theater brachte den
vollen Art, ihr Herz in Liebe auszuströmen, an Klärchen und
welthistorischen Cyclus am Sylvester des Jahrhunderts. Aber
Gretchen erinnerte. Schnitzler war in der „Liebelei“ eine un¬
die Theater=Geschichte scheint dieses kühne Wagniß auch als
endlich ergreifende Variation auf die unendliche Melodie ge¬
Sylvesterscherz aufzufassen. Die Einacter mit der Ewigkeits¬
lungen, in welcher die Dichter aller Zeiten die Liebe zwischen
Perspective sind verdorben, gestorben.
dem Prinzen und der Hirtin besungen haben. Sociale Klüfte
Arthur Schnitzler, der Dichter Neu=Wiens, ist ins Bühnen¬
thun sich auf; aber die Liebe überbrückt sie. Doch die zarte
leben mit dem Anatol=Cyclus, einer fast unendlichen Kette von
Blume der Liebe muß welken am Gegensatz der Lebenssphären
Einactern, getreten. Anatol ist der Held einer Reihe von
der verschiedenen Lebensauffassung, der trennenden Schicksale.
Liebesscenen jener frivolen Art, deren Schilderung in der
Was in diesem von Schnitzler unübertroffenen Werse den
dramatischen Milieu=Literatur vor etwa zehn Jahren zu den
Norddeutschen, den Berliner besonders anmuthete, war das
unbedingten Erfordernissen jugendlichen Dichterruhms gehörte.
wienerische Colorit. Es ist bekannt, daß der Berliner nichts
Unsere Dichter wurden ungemüthlich, wenn man sie nicht auch
lieber hört, als das Plauschen eines echten Weaners. Gerade
als unsere Don Juans ästimirte. Der Inhalt des cyclischen
weil seinem eigenen Naturell dieses Weiche, Einschmeichelnde,
Bühnenbildes, welches Schnitzler entrollte, bestand in einem
Liebenswürdige so fern liegt, bewundert er es bei dem Collegen
ziemlich faden Frage= und Antwortspiel zwischen Anatol, dem
von der Donau. Die Berliner Bühnen sind von Oesterreichern
Dämchen seines Herzens und einem gleichgesinnten Genossen
überschwemmt und die Wiener Walzer finden nirgends eine
Anatols. Die Atmosphäre war erfüllt von Patschouli, Iris und
ledhaftere Begeisterung, als an der Spree. Schnitzler hatte
Dlang=Blang. Nur von Zeit zu Zeit, wie ein lichter Streifen
aber nicht nur das Liebenswürdige und Gewinnende des
blauen Himmels an einem wolkendunklen schwülen Sommertag,
brach ein Hauch von Natur, Anmuth, Grazie durch und machte
Wiener Temperaments. Seinem Wesen wohnte auch die
Aeußerlichkeit, die Koketterie, die Gefallsucht, welche sich so oft
den Aufenthalt in diesem, von schweren Seidengardinen ver¬
als Danaërgeschenk neben Anmuth und Grazie einstellt, inne.
hängten und mit üppigen Polstermöbeln gefüllten Junggesellen¬
In der Liebelei machte die Tragik des Sujets Vieles in den
Gemach Anatols, wenn auch nur für Augenblicke, erträglich.
Charakteren der weichlichen, nur vom Verhältniß zur Liebelei
Aber Schnitzlers Anatol wurde erst bekannt, nachdem der
tändelnden Männergestalten vergessen. Aber Schnitzler hat
Wiener Dichter seinen stärksten und ehrlichsten Bühnenerfolg
nicht wieder einen Vorwurf gefunden, der seiner Eigenart so
mit „Liebelei“ itrungen hatte. In diesem Drama hatte der
künstler einen erheblichen Fortschritt gemacht. Die feinsinnige
lag, wie dieses stimmungsvolle Stück. Seine Fehler und
Schwächen wurden deutlicher, seine Vorzüge verloren sich in
Unmuth, die wehmuthvolle Stimmungsmalerei, der leise Hang
ur Melancholie, welche in Schnitzlers Frühwerk nur kurz und I Manier.
Nachdem der Künstler mit dem
drama „Freiwild“ eine sanfte, aber
funden hatte, kehrte er zum Einacter
Einactern, welche vor drei Jahren zu
Publikum aber nur einen gekiest: „Der
auch dieses bizarre, groteske und zurech
der Vorzeit der französischen Revoluti
den Schlaf der Ungerechten in den The
im großen Stil: „Der Schleier der
Die kleinen Mittel und der große
vereinbaren Gegensatz zu einander. Sch
Worte: „Schreiben Sie tief!“ Aber
welcher die Menschen erbebt, wenn e
Nicht einmal Sprachkunst bewährte
Alle Figuren des Stückes reden den
wischten Versdialect, so daß man in
und verstiegener Phrasen unrettbar er
In seinem neuesten Einacter=Cyr
welcher in dieser Woche über die Brett
ging, ist Schnitzler zu seiner ersten
On revient toujours. — Er scheint
zum Einacter=Specialisten auszubilden
ewig wiederkehrenden Art, kleine Scei
das Geständniß der Unfähigkeit zu Grö
liegen? „Lebendige Stunden“ heißt
der vier Einacter. Richtiger würde
nennen können. Die Idee ist roh.
anlagten Sohn an der Entfaltung
hindern, tödtet sich die opferfreudige
darniederliegende Mutter durch Gift,
meint, daß der Sohn die Last der
empfindet. Das Opfer dünkt dem
selbstverständlich. Die entgegengesetzte
alter Freund der Mutter. Das soi¬
einer Unterredung, welche die versch
Sohnes und des Freundes in einer ger