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16. 1. Lebendige Stunden Zykjus
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Zorn und seine Verachtung ins Gesicht zu schleudern. Beide
in diesem Einacter klingt gemacht; es ist
sind Literaten; der Sterbende verkannt und ohne Erfolg, der
amatik schlimmster Sorte. Keine Spur
Lebende, odwohl ein fader Geselle, von rauschendem Triumph
,liebevoller Vertiefung in die Charaktere,
verwöhnt. Ein Geheimniß ruht in der Brust des Sterbenden.
mühsam herausgeschnitzelt und mit un¬
Die eigene Frau des unverdient Berühmten hat dessen Werth¬
alt.
losigleit erkannt und dem bescheidenen, aber bedeutenderen
Ervollen Männergestalten folgt die „Frau
Freunde zwei Jahre lang angehört. Das soll nun der in Glanz
sie ist der uralte Typus der Ehebrecherin
und Wonne Schwelgende jetzt erfahren, damit ein tiefer und
uster. In einem Museum, das sie als
unzerstörbarer Schatten auf sein Leben falle, und er den
hiutzt, macht sie der Liebhaber auf die
Sterbenden beneide. Aber der Edelmuth und die Größe siegen.
ihr selbst und einem alten Renaissance¬
Als der arme Todescandidat den sogenannten großen Mann
dem Dolch“ aufmerksam. Sofort schlägt
in seiner Erbärmlichkeit vor sich sieht, bleidt er stumm. Er, der
as und sofort träumt die Dame einen
vom Leben Besiegte, fühlt sich Sieger. Auch in diesem Drama,
welchem sie dem Gatten zu Liebe am
welches in der Gestalt des „großen Schriftstellers“ die psycho¬
bten erdolcht. Während es noch immer
logisch wahrste Figur der vier Einacter enthält, stören Incon¬
acht sie im Museum wieder auf und ver¬
sequenzen. Wird der Edelmüthige, innerlich so Großdenkende
#und Mord im Traume zu Florenz dem
jemals, besonders in der Stunde, da alles Vergängliche zum
gan der Donau ein Stelldichein. Es wäre
Gleichniß wird, ein so aufbäumendes Rachegefühl empfinden?
auch nur im Entferntesten mit den tief¬
Theatralisch und unwahr berührt auch ein Auftritt, in welchem
der Seelenwanderung in Zusammenhang
Schnitzler den Sterbenden, damit das Publikum das Geheimniß
tück, welches mit einem, übrigens schon
des alten Herrn erfahre, die ganze Rachescene, um sie nachher
hweizerischen Dichter Widmann verwendeten
ordentlich erecutiren zu können, einem Spitalgenossen vorspielt.
gel zwischen Moderne und Renaissance
Wie kann der feinsinnige Mensch, der so lange geschwiegen und
einen Requisitenerfolg erzielt, ist vollständig
die Ehre der von ihm geliebten Frau des Anderen gehütet hat,
Die Figuren sind so unlebendig und
einem beliebigen Schwätzer diese Ehre preisgeben? Das wirkt
itel, der ans Panoptikum erinnert. Nicht,
direct widerwärtig, und bei dem vornehm geschilderten Naturell
t und gesündigt hat, ist interessant. Wie
des Redenden unglaublich. So wandelt sich selbst in diesem
pnt, das allein ist für den Dichter und
Miniaturdrama, das ergreifend wirken konnte, die innere Wahr¬
rtb.
haftigkeit zum äußerlichen Effect, der Seelenvorgang zur Schau¬
waren an dem Publikum des Deutschen
spielerei.
vorübergegangen. Im dritten Einacter
Kraß und grell ist das Satyrspiel, welches den drei Todes¬
wirkt Freund Hain auf natürliche Weise
dramen angeklebt ist, der Schwank: „Literatur“. Verspottet
rkeren Erfolg. Die Scene spielt im Spital,
werden die Literaten, welche schreiben, wenn sie lieben, welche
Her Arzt von Beruf ist, genau studirt hat.
aus allen ihren feinsten und intimsten Erlebnissen nur Stoff
en zerbrochener Kerl hat in der Todesstunde
Todfeind und ehemaligen Freund seinen für Lyrik, Epos und Drama zu gewinnen trachten. Das Thema
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Im Gewinnrade verblieven: 1 Gewinn à 500, 7 à 300 Mk.
der mißbrauchten Liebesbriefe in der berühmten Gottfried Keller¬
schen Novelle, in der der schriftstellernde Ehemann auch Liebesbriefe
an seine Frau zu Novellenzwecken fabricirt, kingt an. Aber bei Keller
sind es Menschen, die geschildert werden. Schnitzler bringt
Karrikaturen, die anwidern. Einige gute Bemerkungen und
geistvolle Bonmots über die modernen Kaffeehaus=Bohémiens
können den als Ganzes unwahren und abstoßenden Charakter
der Posse nicht erträglicher machen. Man kann sich schließlich
über diese herz= und birnlosen Figuren nicht einmal mehr
amüsiren. Von dem befreienden Lachen, welches die Wirkung
jedes rechten Lustspiels sein soll, ist nicht die Rede.
Schnitzlers Grazie, sein wienerischer Humor scheint wie
fortgeweht. Man muß annehmen, daß der Dichter in „Liebelei“.
sein Höchstes und Bestes gegeben hat. Er wirkt gezwungen und
verzerrt im Ernst, clownartig im Scherz. Und dann noch diese
Sphinx des gemeinsamen Titels „Lebendige Stunden!“ Mit
demselben Recht könnte ein Schmierendirector die drei Einaeter:
„Als Verlobte empfehlen sich“.
„Das erste Mittagessen“.
und „Papa hat's erlaudt“.
unter der Gesammtflagge
„Ueberselige Stunden“
vereinigen.
Die beiden letztgespielten Einacter scheinen dem Premisren¬
publikum gefallen zu haben. Es applaudirte lebhaft und sah
den aus Wien herbeigekommenen Dichter mit Vergnügen vor
der Rampe erscheinen. Ob der halbe Erfolg des Einartere
Cyclus anhält, muß abgewartet werden. Von den Schausvielern
sind Bassermann, Reinhardt und Rittner rühmend bervorzuheben.
Irene Triesch, die aus Frankfurt am Main in dieser Saison
ans Deutsche Theater gekommene Künstlerin, war hervorragend
in der Doppelrolle der Pauline=Paola oder der Frau mit dem
Dolche. Dagegen karrikirte sie das Literatur=Weibchen des
letzten Einacters so stark, diß sie noch schnitzlerischer wirkte, als
Dr. M. S.
Schnitzler.