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16.1. Lebendige Stunden zuklus
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da für den Dichter. Dieses Motiv klingt in der „Frau mit dem Dolche“ und
in dem Schwanke „Litteratur“ wieder an. Der Künstler verwerthet die „Lebendigen
Stunden“, er muß sie zu verwerthen verstehen, falls er ein Künstler sein will. Wie
gesagt, der Schwank, der litterarisch am niedrigsten steht, den Schnitzler selber viel¬
leicht nur für einen guten Scherz betrachtet, ist das amüsanteste von den vier Pröbchen
einer spirituellen, dialogisierenden Kleinarbeit, wie sie sonst nur die Franzosen
beherrschen.
W. Schöller.
Im königlichen Schauspielhause fanden endlich die F
nisch vollendeter Schauspielkunst ihre Rechnung. Coquelin der Aelter.,
Truppe dort gastierte, ist der Freund der feinen Berliner Gesellschaft geworden.
Auch junge Mädchen vergötterten den Künstler, sie durften ihn ja sehen, den großen
Darsteller der Helden Moliere's. Neben dem Kunstgenuß dann noch Unterricht in
französischer Conversation! Entzückend! Mr. Coquelin wird sich darüber zu trösten
wissen. Er wird hoffentlich das Berliner Publikum nicht allzu ernst genommen haben.
Das wäre schade. Denn er bleibt trotz des Beifalls ein großer Künstler.
Das neue Jahr war also bis jetzt recht sparsam mit Theatergenüssen. Auch
die bildenden Künste vegetieren recht ruhig in den Salons weiter. Die Seression
wird bald ihre Thore schließen. Dann ist es ganz tot und öde geworden. Ein Glück
für Berlin, daß die Siegesallee mit ihren erläuterten Kunstbegriffen als Trost ver¬
bleibt. Diese Denkmalsallee hat sicher ihre Vorzüge. Sie hat sie sogar schon bewiesen.
Sie hat schon lustig lachen gemacht. Und wie heißt es doch ungefähr bei Schiller:
„Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst!“ Also das ist erreicht. Mit Augen rechts
hinaufmarschiert, mit Augen links herunter; dann hat man das erherende Gefühl,
ein General oder gar ein Generalfeldmarschall zu sein, der die Fronten zweier
Truppentheile, auf die genaue Ausrüstung und auf die Tadellosigkeit der einzelnen
Krieger hin besichtigt hat. Dazu noch das stolze Gefühl in der Brust, daß die,
welche in Reih und Glied stehen, keine gewöhnlichen Grenadiere oder Füsiliere sind.
sondern Fürsten aus edlem Geblüt und weißem Marmor. Unwillkürlich steigt auch
die Illusion auf, man befände sich in dem medicäischen Toskana. Nur etwas
Phantasie, bitte! Geht da nicht Michel=Angelo? Wir sehen genauer hin. Da,
plötzlich hinter uns ein befehlendes Wort: „Augen rechts!“ Tritt wird gefaßt, daß
es nur so klappert. Hinter uns geht nämlich ein Offizier, der einer Ablösung von
Gardegrenadieren den Gruß erwiedert. Aber die Illusion von dem goldenen Zeit¬
alter in Florenz ist zerstört. Wir sehen uns den Michel=Angelo noch einmal genauer
an — auch er zerfällt in nichts Statt seiner schreitet ruhig die Straße — Herr
Professor Begas.
Von der Siegesallee bis zu dem Pariserplatz sind nur ein paar Minuten Und
hier an der Ecke der berühmten „unter den Linden“ ist ein Kunsttempel, der den
Berlinern, oder besser gesagt und etwas enger genommen, dem kunstsinnigen Publikum
des Westens eine Erholung von den Strapazen des harten Lebens bedeutet. Kunst¬
salon von Schulte!! Wer kennt ihn nicht! Er gehört doch zum guten Ton. Die
Frau Räthin, die Frau Majorin und wie sie alle betitelt sind, die Gattinnen der
oberen Stützen des Reiches, bei Schulte setzen sie die Unterhaltung ihrer „Jours“
fort. Um die Mittagsstunde, wenn die Schulen die verschiedenen lieben Kleinen
entlassen, dann kommen auch noch die leichtempfänglichen Gemüther französisch
pappelnder Backsischerln in den berühmten Salon. Kurz und gut, bei Schulte trifft
man Bekannte, und sieht ein paar gute Bilder und sehr viele — schlechte. Was
die Firma in den Auslagefenstern untergebracht hat, ist bezeichnend für den Berliner
Geschmack. Daraus möchte ich dem leitenden Theile der Kunsthandlung keinen Vorwurf
machen. Fjorde, Gardasee, küssende Kinder, spanische Tranungen, Schuhplatller....
das liebt nun einmal der Durchschnittsberliner, vorausgesetzt, daß das Bild nicht zu
klein und recht sauber und glatt gemalt ist. In dem ersten Raum von Schulte waren
unzählige Bilder von Willi Stöwer. „Deutscher Segelsport!“ Diese Gonache¬