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16. 1. Lebendige Stunden zyklus
Seite 48
Eine unserer Volksbühnen, die „Neue Freie Dolksbühne“,
versuchte sich in litterarischer Schatzgräberei und brachte zum
erstenmal „Dantons Tod“ von Georg Büchner, der als
Jüngling starb, auf die Bühne. Die litterarisch berühmten
Scenen konnten nicht „gereitet“ werden. Wenigstens nicht
mit so unzureichenden Mitteln, mit den dilettierenden Kräften
einer Bühnenvereinigung.
Coki.
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Die Toten der Woche.
Max Adamo, Historienmaler, † in München am
31. Dezember im Alter von 64 Jahren.
Fürstin Ernestine Auersperg, Witwe des Minister¬
präsidenten, Herrenhauspräsidenten und Oberstlandmarschalls
von Böhmen, Fürsten Karlos Auersperg, f auf Schloß Albrechts¬
berg (Niederösterreich) am 50. Dezember im 71. Lebensjahr.
Johann von Bloch, russi¬
9.n
scher Staatsrat, bekannt als
bedeutendster Förderer der inter¬
SN
nationalen Friedensbewegung.
† in Warschau am 6. Januär.
Albert Brockhoff, be¬
2200
kannter Hublizist, Redakteur
2
des „Berliner Lokalanzeigers“,
in Berlin am 1. Januar.
Luise von Eisenhart
(von Kobell), Schriftstellerin,
in München am 30. Dezem¬
ber im 75. Lebensjahr.
Geheimer Instizrat Wil¬
0
helm* Elven, langjähriger
B
= Dorsitzender der Anwalts¬
Johann von Bloch †
kammer der Rheinprovinz,
früheres Mitglied des preußi¬
schen Landtags, F in Köln am 4. Januar im 77. Lebensjahr.
Drofessor Wilhelm von Herz, Direktor an der Münchner
Technischen Hochschule, † in München am 8. Januar.
Geheimer Regierungsrat Professor Eduard Jacobsthal,
Dozent der architektonischen Ornamentik an der Charlotten¬
burger Technischen Hochschule, n Charlottenburg am
1. Januar im 65. Lebensjahr.
Senator A. Clorente, früherer spanischer Finanzminister
und Minister des Aeußern, † in Madrid am 5. Januar.
Anna Löhn=Siegel, Schriftstellerin und Schauspielerin,
† in Dresden am 1. Januar im 72. Lebensjahr.
Professor Hugo Pernice,
bedeutender Opnäkolage an
der Greifswalder Universi¬
tät,
† in Greifswald am
30. Dezember im Alter von
72 Jahren.
Pietri, der berühmte

Polizeipräfekt unter Napo¬
léon III.,† in Sartene auf
Korsika am 5. Januar im
Alter von 84 Jahren.
Baurat Dr. K. v. Schick,
berühmter Palästinaforscher,
† in Jerusalem am 24. De¬
72
zember.
Klaudius von Schran¬
dolph, früherer Direktor der
Prof. Hugo Pernice 1
Kunstschule in Stuttgart, be¬
deutender Genremaler,
in Eppan bei Bozen am
5. Januar im Alter von 58 Jahren.
Landgerichtsrat a. D. Senestrp, ehemaliger Reichstags¬
und Landtagsabgeordneter, Führer der Zentrumsfraktion im
baprischen Landtag, f in Regensburg am 2. Janpar.
box 21/2
Saan.
Die Börienwoche.
Wenn der Chronist Parallelen ziehen will zwischen dem
Anfang des neuen Geschäftsjahrs und dem des abgelaufenen,
so hat er nur auf geringe Ausbeute zu rechnen. Damals
schwamm der wirtschaftliche Horizont in einem grauen Nebel¬
meer der Hoffnungslosigkeit, und das Geschäftspublikum hatte
Tbereits die Flinte ins Korn geworfen, noch ehe über dasselbe
die schlimmsten Prüfungen hereingebrochen waren. Heute
sehen wir bereits in der kurzen Spanne Zeit, die das neue
Jahr zurückgelegt hat, eine Häufung hoffnungsfroher Aspekte
heranziehen, an denen man noch vor wenigen Monaten fast ein
ganzes Semester zu zehren gehabt hätte. Wenn jemals das
oft mißbrauchte Wort „himmelhoch jauchzend, zum Tode be¬
trübt“ eine Geltung hatte, so ist es diesmal der Fall, nur
hat es die Börse in umgekehrter Reihenfolge angewendet.
Wenn wir aber fragen, ob die zu Tage tretenden Hoff¬
nungen, die sich bereits in sehr erklecklichen Dreisbesserungen
auf nahezu allen Marktgebieten ausgesprochen, eine innere
Berechtigung besitzen, so wäre es übereilt, darauf kurzweg
mit Ja oder Nein zu antworten. Wer die Börse und
die Stellungnahme kennt, die sie oft genug gegenüber
wirtschaftlichen Bewegungen einnimmt, der wird am liebsten
überhaupt nicht antworten, sondern die Thatsachen in
ihrer folgerichtigen Entwicklung reden lassen.
Ohne Zweifel bildet die zunehmende Geldflüssigkeit den
hauptsächlichsten Zusammenhalt der Haussebewegung. Bei
einem Bankdiskont von 4 Drozent hat sich in der ablaufenden
Woche der Privatdiskontsatz bis auf etwa 2 Prozent ermäßigt.
Die Krediterschwerungen, die die Börse und das ihr nahe¬
stehende Publikum so lange auf Hungerdiät gesetzt haben,
machen wieder einez kulanten Praxis der Geldgeber Platz.
Die so lange zurückgehaltene Kauflust des verdienenden und
sparenden Dublikums erwachte über Nacht, als wäre ein
Mairegen niedergegangen, und merkwürdig genug wendet sich
die Hoffnungsfrendigkeit, nachdem sie wenige Cage lang das
Gebiet der soliden, festverzinslichen Werte aufgesucht, alsbald
dem Feld der industriellen Dividendenpapiere zu, auf dem sie
noch soeben so entsetzliche Erfahrungen sammeln mußte. Und
doch hat sich vorerst noch sehr wenig in den schwierigen
kommerziellen und industriellen Verhältnissen geändert. Man
spricht von einer leichten Besserung in der Eisenindustrie und
wagt noch nicht, von einer günstigeren Wendung am Kohlen¬
markt zu reden.
*
Die Spekulation eilt jedoch bekanntlich den Ereignissen,
deren Kommen sie vielleicht nur ahnt, mit frischem Wagemut
voraus, und ihre Instinkte haben sie ja oft genug richtig ge¬
leitet. Jedenfalls vermag sie in dem Bestreben unserer staat¬
lichen Behörden, der darbenden Industrie durch ausgiebige
neue Arbeitsgelegenheit unter die Arme zu greifen, eine
wertvolle Unterstützung für ihre optimistischer gewordenen
Anschauungen zu erblicken. Immerhin hat die Thronrede
bei Eröffnung des preußischen Landtags die von der
Spekulation in dieser Richtung gehegten weitgehenden Er¬
wartungen wenn auch nicht gerade enttäuscht, so doch
auch nicht voll erfüllt. Auch die Furcht vor der soge¬
nannten amerikanischen Gefahr, die man an dieser Stelle früh¬
zeitig auf ihr richtiges Maß zurückzuführen suchte, hat sich
immer mehr verflüchtigt, nachdem die große transatlantische
Republik ihren eigenen Bedarf an Brennstoffen und Eisen
gegenwärtig nicht zu decken vermag. Dagegen muß der
vorsichtige Beobachter die Frage aufwerfen, wie es mit diesem
Wettbewerb ausschauen wird, wenn dereinst die amerikanische
Hochkonjunktur ernstlich abflaut und die Riesenproduktion des
Landes unter allen Umständen sich Luft machen muß. Die
in der letzten Zeit etwas häufig aufeinanderfolgenden Zu¬
sammenbrüche amerikanischer Trusts und sonstiger Industrie¬
gesellschaften geben zu denken. Unsere Geschäftswelt sollte sich
jedenfalls nicht allzu zuversichtlich einem Haussetaumel hingeben,
aus dem ein schweres Erwachen folgen könnte.
Derus.
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