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Carltheater. Artur Schnitzler hat gestern
hier im Vereine mit den besten Schauspielern des
„Deukschen Theaters“ aus Berlin einen großen, erfreu¬
lichen Erfolg errungen, erfreulich im Hinblick auf die
fortschreitende Entwicklung des hochbegabten Schrift¬
stellers, wie auf die vollendete Darstellungskunst des von
Direktor Dr. Brahm so vorzüglich geschulten Perso¬
nals. „Lebendige Stunden“ ohne tote Punkte, die mögen
in der Wirklichkeit gezählt sein. Die „Lebendigen
Stunden“ bilden einen Zyklus von vier Einaktern, drei
Schauspielen und einem Schwanke. Die Wirkung der
Für
vier Stücke war nicht gleichmäßig, was übrigens mit
vollster Eraktheit zu berechnen auch nicht gut möglich
200
erscheint, aber auch das Gute kann gesteigert werden:
500
Zull
gut, besser, am besten. In ihrer Gesamtheit sollen die
„ 1000
dramatisierten psychologischen Studien zu dem Endergebnis
Im (führen, daß der Lebende immer Recht behält, auch wenn er den ## is
Abonnemem. Tod seine geistigen und sittlichen Zwecken dienstbar macht. ######
Abonnenten Im ersten Stücke, das den Gesamttitel trägt, ver¬tern.
jiftet sich eine seit Jahren qualvoll leidende Frau, weil
Der sie ihrem Sohne, einem poetisch schaffenden jungen shnlter
Jubaltsanga Mann, der an sich glaubt, wie auch die Mutter an ihn 91or
Zeit
blätter glaubte, die Stimmung wiedergeben will, um die ihns#h
wodurch
die trostlose Situation gebracht. Einige Wochen nach
Leben
Diest
dem Ableben der Mutter erfährt er, daß sie ihren Tod
theilung
aus dem erwähnten Grunde beschleunigt hat und findet
sich mit dem Gedanken, daß sich die Mutter seiner Ge¬
mütsruhe geopfert hobe, recht bals ab. Mar Rein¬
shardt und Rudolf Bittner führten
glänzenden Worten zum Ausdruck gebrachte Ge¬
danken mit virtuoser Technik aus. Die Stimmung im
Publikum schlug jedoch trotzdu nicht durch, was aber
nur das etwas unerquickliche Verhöltnis zwischen dem
jungen Poeten und dem „Freunde“ der verstorbenen
Mutter verschuldet haben mag. Unvergleichbar größer
war die Wirkung des zweiten Schauspiels „Die
Frau mit dem Dolche“, in welchem phan¬
tastisch angelegten Stücke Schnitzler eine seiner
schönsten Dichtungen verwertet. Es handelt sich um
einen Maler, der in dem Augenblick, da seine Gattin
vor seinen Augen ihren Liebhaber ersticht, die richtige
Pose für sein Bild: „Die Frau mit dem Dolche“ erfaßt. Das
Ganze ist als Delirium einer Dame dargestellt, die sich
mit ihrem Geliebten in einer Bildergalerie ein Stell¬
dichein gegeben. Irene Triesch hat zusammen mit
dem ausgezeichneten, wenn auch zum „Liebhaber“ jnt
nicht geschaffenen Kayßler dem Dichter zu einem
Erfolge verholfen, wie er stürmischer sich kaum mehr
zu äußern vermag. Es war ein Beifallsorkan, der sich
erhob, und den Verfasser mit den genannten Künstlern
minutenlangem Applaus aussetzte. Irene Triesch ist
zu einer imposanten Kunstgröße herangewachsen; was
in einem Weiderherzen schlummer, vermag sie
durch Alzente zu wecken, die rührend oder erschütternd
wirken. Wir freuen uns, daß aus der kleinen Wiener
Konservatoristin eine so große Künstlerin geworden,
bedauern nur, daß Irene Triesch erst in die Fremde
ziehen mußte, um sich geltend zu machen. Das dritte
Schauspiel „Die letzten Masken“ ist ein
Werk von erschütternder Tragik; wir halten es für das
beste von allem, was Schnitzler bisher für die
Bühne geschrieben. Hier gipselt die angedeutete Tendenz
darin, daß ein dem Tode verfallener Komödiant im Kranken¬
hause an den Sterbenden Studien fürs Theater macht.
Mar Reinhardt, Hans Fischer, Alexander
Bassermann, Oskar Hofmann — vor Jahren
Mitglied des Burgtheaters — und Agnes Müller
boten darin Proben ihrer grandiosen Leistungsfähigkeit.
Vor allen anderen Reinhardt. Den Abend beschloß
der Schwank „Literatur“ eine der ergötzlichsten Satiren,
die seit langem geschrieben worden sind. Der Aristokrat,
der es nicht begreift, wie Leute so indiskret sein
mögen, das, was sie empfinden, in Gedichten und
Romanen zu erzählen, die Dilettantin, der Berufsschrift¬
steller, sie sind meisterhaft beobachtet und geistreich, ja
witzig gezeichnet. Ein frohes Lachen ging durch das
Haus und man lernte Irene Triesch, Rudolf
Rittner und Albert Bassermann als liebens¬
würdige Darsteller erkennen, denen auch erfreuender
Humor gegeben ist. Das Stückchen paßt wohl nicht
ganz in den Rahmen der „Lebendigen Stunden“, aber
welche Stunden sind lebendiger als jene, die, sonnige
Heiterkeit ausstrahlend, das Gemüt erhellen?! Wir
danken Artur Schnitzler einen sehr angenehmen
Abend. Auch das Publikum hat mit seinem Danke
nicht gekargt.
A. L.
Telephon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
2
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1
Nr. 7
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
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Filiale in Budapest: „Figyelö“ —
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
Ausschnitt aus:
vom:
1701
Carl=Theater. Otto Brahm und seine Leute
sind beliebte Frühlingsgäste in Wien. Auch diesmal
sagen wir der Gesellschaft des Deutschen Theaters
unseren herzlichsten Willkommgruß. Sie brachte
uns aus Berlin eine Wiener Gabe mit, den
Einactercyklus „Lebendige Stunden“ von
Arthur Schnitzler. Wer weiß, ob wir
sonst, dieses prächtige Stück Wiener Kunst
zu sehen bekommen hätten! Aus dem Burgtheater
ist der Dichte verbannt und das Volkstheater ließ
ihn liegen. So geht es bei uns einem berühmten
Für 50 Zein Schriftsteller! Was soll da erst aus den Kleinen usivo
100
werden? Es war ein grober Fehler des Deutschen rto.
200
#albar
500
Volkstheaters, die Aufführung der „Lebendigen #aus.
Stuuben“ so lange gauszuschieben, bis dem Ver¬
1000

fasser die Geduld ausßing, denn das vierblättrige ist das
Im Ges Kleeblatt hätte gewiß auch der Wiener Bühne##es den
Abonnement d
Glück gebracht. Die
Abonnenten fr
vier Einacter haben!.
den Gesammttitel „Lebendige Stunden“ der
gleichzeitig den Untertitel für das erste Stückchen tend die
Der „C
Inhaltsangab
bildet. In diesem dramatischen Vorwort wird dasorgen¬
blätter (
Leitmotiv angeschlagen, das sich durch dos ganze leitung")
wodurch eine
Quartett schlängelt. Es klingt also:„Lebendige haftliche
Leben des
Stunden? Sie leben doch nicht länger, als der##e Mit¬
theilungen vo Letzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht der
schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu ver¬
leihen über ihre Zeit hinaus.“ So spricht im
ersten Stücke ein Dichter, dessen Mutter einen
Selbstmord beging,
um durch ihren Opfertod
die erstorbene Schaffenslust ihres Sohnes zu
erwecken. Und wir sohen in den folgenden Beispielen,
vie der Künstler aus dem Leid, das ihm oder sein
Lieben widerfährt, seine Gebilde schöpft. Das E
wird ihm zum „Stoff“, Schnitzler trägt den G
ernst und feierlich vor und spielt doch F
damit. Denn auf den blutigen Ernst sol
Satirspiel, in welchem der Dichter sich und
Leitmotiv auslacht. Eine köstliche Selbstparodié.
In diesen Blättern wurde der Inhalt der imeressanten
Vierlinge wiederholt erzählt. Wir dürfen uns daher
erlauben, kurz zu sein. Das erste Schauspiel,
n
welchem die Mutter für ihren Sohn einen ähnlichen
Opfertod starb, wie einst Charlotte Stieglitz für
ihren Gatten, den Dichter Heinrich Stieglitz, ist eine
theoretische Abhandlung ohne dramatischen Nerv.
Lassen wir das Stückchen als Einleitung gelten und
sprechen wir von dem zweiten Schauspiel „Die Frau
mit dem Dolche". An diesem Capriccio ließen
die Berliner kein gutes Haar, aber wir wüßten
dafür ein neues Haarwuchsmittel. Man führe
das Stück besser auf und sorge für raschere
Verwandlungen bei offener Seene. In der Stadt,
wo Raimund zu Hause ist, schüttelt man den Kopf,
daß der Vorhang einen Einacter in drei Theile
zerstückt. Wie würden wir wettern, wenn im „Bauer
als Millionär“ erst der Vorhang fallen müßte, um
den Helden in einen alten Mann zu verwandeln!
Es wäre ja ein Leichtes, die Frau und ihren Lieb¬
haber aus der Bildergalerie in die Zeit der Re¬
naissance bei offener Seene zu versetzen. Hier wird
das Grundthema doppelt ungeschlagen. Ein moderner
Dramatiker bringt die pikanten Erlebnisse mit
seiner Frau auf das Theater und diese Frau träumt
sich in das Florenz von vor vierhundert Jahren zurück,
wo sie als Gattin eines berühmten Malers lebt und
ehebrüchelt. Der Maler findet sie mit ihrem Lieb¬
haber, dem sie den Dolch in den Hals stößt. Der
Maler kümmert sich nicht um den todten Jüngling,
er kennt natürlich das Nestroy'sche Wort nicht „Ramt's