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sagt, dass es Ibsen'sche Gedankenreihen sind, die Schitzler aufnimmt
und weiterführt und die er, dem großen Nordländer gleich, in offenen
Fragen ausklingen lassen müsste — weil es auf sie keine Antworten

Ausgang der jetzt sich abspielenden neuen anzudeuten. Wie Paola
dem Lionardo sich hingab aus sinnlicher Laune, mit der Liebe zum
Gatten im Herzen, ganz in gleicher Stimmung, verheißt auch
Pauline dem Leonhard ihr „Kommen“; wie Paola den Lionardo
ermordete, wird es auch dem Leonhard durch Paulinen ergehen;
und wie Remigio das alles in einem Bilde gestaltete, mag auch
Paulinens Gatte ein Stück daraus machen. Für die Verbindung
der beiden Geschehnisse hat der Dichter die Form einer Vision ge¬
wählt. Einer Vision Leonhards und Paulinens zunächst, die vor
dem Bild Remigios in der Gemäldegalerie stehend, gleich einem eigenen
Erlebnis aus verflogenen Jahrhunderten an ihrem Geiste vorüber¬
ziehen sehen, wie die Geschichte, die das Bild erzählt, sich zuge¬
tragen haben mag. Und dann natürlich auch einer Vision des
Publicums, die der Dichter ihm zeigt. Dann muss aber alles auch
als eine Vision gespielt werden. Dann muss Stimmung in der
Inscenierung und im Spiele stecken — sonst wird uns die Verbindung¬
rein äußerlich erscheinen und wir werden uns nimmer den „Ge¬
danken vom Dichter suggerieren lassen, dass „über Paulinen ein
Schicksal ist, dem sie nicht entrinnen kann.“ Dieser Anforberung.
entsprach aber die Darstellung in gar keiner Weise. Schon das mit
beleidigend brutaler Absichtlichkeit genau in die Mitte des Hinter¬
grundes gehängte Bild, um das sich alles bewegt, und die Scheu߬
lichkeit der vorgeführten „Werke der italienischen Renaissance“
musste dem Aufkommen jener Wirkung des stillen geheimnisvollen
Grauens, auf welche die Dichtung berechnet ist, hinderlich sein. Die
Verwandlung mit einem „Zwischenvorhang“ und das ganz unzu¬
reichende Spiel Lionardos und Paolas thaten ihr Uebriges und so
konnte von einem tieferen Eindrucke der in mehr als einer Richtung
interessanten Dichtung keine Rede sein.
Der Gedanke der „Lebendigen Stunden“ in dem früher ange¬
deuteten Sinne ist in dem dritten der Stücke, „Die letzten Masken“,
wohl kaum zu finden. Wohl spielt auch dieses Stück in die Lite¬
ratur hinein, es führt uns einen Dichter, einen Journalisten und
einen Schauspieler vor, und unter den Werken, die der im Spitale
mit dem Tode ringende Journalist Karl Rademacher in seiner
Schreibtischlade hat, mag vielleicht auch eines sein, zu dem die
Liebeserfolge, die er dereinst bei der Gattin des gefeierten Dichters
Alexander Weihgast, erzielt hat, Stoff und Anregung gegeben
haben. Aber nicht davon handelt das Stück. Die letzten Stunden
Rademachers sind es, die uns der Dichter vorführt. Die letzten
Stunden seines Lebens, in denen noch einmal lebendig wird, was
sein ganzes Leben bewegt hat, in denen er sich die Befriedigung
verschaffen will, die ihm das Leben versagt hat. Und er will sie sich
dadurch verschaffen, dass er dem einstigen Gefährten, der ihn im
Wettlaufe des Lebens weit überholte und zu Macht, Reichthum
und Ansehen gelangte, während Karl Pademacher im Elend zu¬
grunde geht, die Wahrheit ins Gesicht leudert, ihm nicht nur
sagt, wie nichtig sein Können, wie unbegründet sein Ansehen ist,
sondern auch beweist, dass die eigene Frau ihn betrogen und ver¬
achtet hat, dass sie von Ekel erfüllt aus den Armen Alexander
Weihgasts in die Karl Rademachers geflohen ist. Und Alexander
Weihgast kommt an das Lager des Sterbenden — und Karl Rade¬
macher — schweigt und stirbt, ohne die Rache, nach der er gelechzt, zu
nehmen. „Was habe ich mit ihm zu schaffen? Was geht mich sein
Glück, was gehen mich seine Sorgen an? ... Was hat unsereiner
mit den Leuten zu schaffen, die morgen noch auf der Welt sein
werden?“ Starke Tragik und kräftiger Humor sind in diesem
Schauspiele wunderbar vereinigt. Es ist das bedeutendste des ganzen
Cyclus und gehört zu dem besten, was Schnitzler überhaupt ge¬
schrieben hat. Es machte auch einen mächtigen Eindruck bei seiner
Aufführung.
Den größten Erfolg freilich erzielte das Schlussstück „Literatur“
in dem die literarische Ausschrotung erotischer Erlebnisse durch
männliche und weibliche Dichterlinge und noch mancherlei anderes
zum Gegenstande lustigster und äzendster Satire gemacht wird.
Für derlei zierliche Bosheiten bringt dies Publicum immer mehr
Verständnis mit als für Entwickelung von Humor an Sterbelagern.
Und nur den kleineren Theil der Leute jeht es ja an. Kaum
vierzig Percent von jenen, die der Schnitzler'schen Première bei¬
wohnten, dürften selbst Stücke oder Romane schreiben. Und die
natürlich trifft die Satire erst recht nicht. Das sind ja lauter
wirkliche Dichter und Dichterinnen.
Die Darstellung war recht ungleichmäßig. Den richtigen
Wiener Ton für diese Wiener Stücke kann man natürlich von aus¬
wärtigen Schauspielern nicht verlangen, auch von denen nicht, die
etwa zufällig in Wien ihre Heimat haben. Aber „meeglich“ und
„Meeglichkeit", „Jingling“, „Farbenräuber“ und „was denkst du,
dass ich fierchte“ sagt man schließlich weder in Berlin noch in
Wien — auf der Bühne. Oder man sollte es doch nicht sagen dürfen.
Am besten war Herr Bassermann,*) der in den beiden letzten
Stücken, die überhaupt viel besser gespielt wurden, als die zwei
ersten, in dem Dichter Weihgast und dem jungen Aristokraten
Clemens zwei prächtige Figuren auf die Bühne stellte. Im Satir¬
spiel ließ uns auch Fräulein Triesch als „Mädchen mit dem Roman“
Die Theaterzettel vom 6. und 9. Mai unterscheiden hartnäckig einen Herrn
Albert und einen Herrn Alexander Bassermann. Es scheint aber doch, dass Schauspieler
Albert Bassermann nur dem Dichter Alexander Weihgast zuliebe vorübergehend in einen
Alexander verwandelt wurde.
einigermaßen vergessen, wie schlecht sie als „Frau mit dem Dolche“
gewesen war. Im ganzen hat man den Eindruck, als würde seit