Faksimile

Text

box 21/3
16.1. Lebendige Stunden zyklus
Telephon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
105
„OBSERYER“
Nr. 8
L. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, IX/1, Türkenstrasse 12iaßg das erste Stück verdientermaßen
emlich spurlos an dem Publikum vorüber, das
Zzweite fand infolge der theatralisch interessanten
— Filiale in Budapest: „Figyeló“ —
Aufmachung und der tüchtigen Darstellung freund¬
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Ron lichen Beifall.
Der dritte Einakter „Die letzten Masken“
ist jedenfalls das dichterischste und tiefste der vier
Ausschnitt aus: Gemmnanzz,4224 Stucke. Schnitzler ist in seinem Berufe Arzi, das
im Wiener Allgemeinen Krankenhaus spielende Milien
ist daher zunächst wie zu erwarten, von vollster
Echtheit. Alles in dem Stücke ist auch echt menschlich
wahr gedacht: der arme durch das Leben von der
drängenden Tagesereignisse
Flut der sich
tägliche Brot
vom: WZ
und der Sorge um das
S
gehetzte Journalist, der seine besten geistigen Schätze
im Schreibtisch vergraben mußte, um sich in der er¬
mi den Kleinarbeit des Tages zu verzetteln, der
seice Vielschreiber, der geschäftsmäßig jedes Fetzchen
seines minimalen Talents „literarisch“ auszumün
versteht und sich dadurch einen Namen und
mögen macht, der Komödiant, der den Schre
noch für seine Kunst dienstbar macht. U
4 kamen anscheinend, vielleicht wegen
die echten sch
genen Car riccios
wabrheiten; des Stückes nicht genüge
sein. Der Beifall entsprach darum dem
Werthe und der Güte der Darstellung wen
Theater, Kunst und Wissenschaft.
das Stück verdient hätte. Die
Hille
Deutsches Theater.
Klein=Rhoden, Müller,
gaben jedoch tüchtige Leistungen,
Zumersten Male: „Lebendige Stunden“.
Brandes
in den Nebenrollen auch Frau Dittrich und Herr
Vier Einalter von Arthur Schnitzler.
Duwe. Auf die freudigste Zustimmung stieß nach
Im Gehalt und in der Wirkung vier recht
den mancherlei quälenden vorangegangenen Themen
ungleiche Gaben. Von der erkältenden blassen Theo¬
der lustige Schluß=Einakter „Litteratur“, un¬
rie über verblüffende Phantastik und ein Stück
streitia einer der besten, den unsere moderne dra¬
lebensvoller, packender Wirklichkeit hinweg zur
Die feine Persiflage
matische Produktion kennt.
Für
Alle
50 Zei Aetherhöhe befreienden, sonnigen Humors.
des litterarischen Kaffeehaussnobismus, in dem
100
vier Einakter sind Künstlerstücke, alle behandeln
Schnitzler ja hinreichende Studien gemacht hat und
sie das Thema, wie der Künstler seinen der lehsen¬
200
wie sie in dem edlen Paare der beiden Münchener
digen und doch im Augenblick verronnenen Wirkllich¬
500
Bohsmiens Margarethe und Gilbert so köstlich ge¬
keit entnommenen Stoff in seinem Werke zum rpah¬
übt wird, fand in ihren ins Allgemeinverständliche
1000
Schriftsteiller,
ren, dauernden Leben gestaltet.
umgesetzten Bedrängnissen die freudigste Zustim¬
Im Ge Maler, Schauspieler (dieser allerdings nur als, Ne¬
mung des Publikums, so daß der ziemlich ungleiche
Abonnement benfigur) und wieder Schriftsteller, alle komiznen
Abend mit einem sehr freundlichen Erfolge quit¬
Abonnenten hi sie nacheinander zu Wort, alle mit dem ihrzem
tiren konnte. Herr Reusch, Fräulein Dühren
Schaffen gemeinsamen Zuge, episodlich sogar im
und Herr Müller konnten sich gleichmäßig in
ersten Stücke der Musiker, der den Schmerz über
den berechtigten Beifall theilen. Die Inszenixung
Der „
den Tod seines „Bubi“ am Klavier in eine Nähnie
der beiden Schlußeinakter war tadellos. G. Br.—
Inhaltsangab ausklingen läßt. In der köstlichen Satire
blätter (I letzten Einakters „Lilteratur“ werden schließlich #.die
Fenareliehe
Kaffeehaus=Handwerker unter den litterarischen Le¬
wodurch eine
Diese Mit¬
Leben des hi bendigmachern aufs lustigste versiftirt. Schnitzler
theilungen we vertheidigt dieses uralte Recht des Dichters, aus
den großen Schmerzen seine kleinen (oder auch
großen) Lieder zu formen, deutlich und ernsthaft
in den ersten beiden Stücken, er vertheidigt es,
auch wenn es bis an die Grenze der Brutalität!
und Grausamkeit herangehen sollte. Im ersten Ein¬
akter „Lebendige Stunden“, der dem Cyclus den
Titel gab, hat sich eine Mutter für ihren Sohn
geopfert, dessen dichterische Schaffenskraft durch
den Anblick ihres langsamen Hinsiechens lahm¬
gelegt war. Im zweiten, „Die rau mit dem
Dolche“, schafft eine ungetreue Gattin durch die
Ermordung ihres Geliebten dem geistig größeren
Gatten die Inspiration zu einem unsterblichen Ge¬
mälde. Man erinnert sich an jene ale Sage daß
einst ein Künstler im grauen Alterthum seinen Schü¬
ler ans Kreuz geschlagen, um durch das Studium
seiner Todesqualen sein Bild um so natürlicher
zu gestalten. Tragikomisch ist das Problem in den
„Letzten Masken“ gestaltet, wo ein armseliger Vor¬
stadtkomiker, der in einer Woche unter der Erde
liegen wird im Krankenhause an den Sterbenden
physiognomische Studien macht. Im vierten Stücke
endlich werden die litterarischen Snobs gegeißelt,
die ihre „lebendigen S##uden“, ihre kleinen Liebes¬
abenteuer zur Scheibemünze für den litterarischen
Massenkonsum des Tages umprägen.
Die Aufeinanderfolge der vier Einakter ist vom
Dichter mit kluger Erkenntniß ihres Werthes und
der Berechnung ihrer Wirkung gewählt. Der erste,
„Lebendige Stunden“, der den Accord für
das Ganze anschlägt, ist unstreitig dramatisch die
schwächste Arbeit. Nackte Theorie in einem sterilen,
unendlich langsam fortschreitenden, quälenden
Zwiegespräch, keine Spur von dramatischem Blut.
Der unbedeutende Sohn der nach ein paar Thrän¬
chen über den Opfertod seiner Mutter diesen in
seiner blasirten Uebermenschaufgeblasenheit als so
ganz selbstverständlich hinnimmt, muthet uns ledia¬
lich wie ein künstlich konstruirtes Paradigma für
den Leitsatz des Verfassers an. So kaltblütig kann
kein Sohn, der seine Mutter geliebt hat, ihren
Tod als Schwungbrett für seine angeblich erhabene