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16.1. Lebendige Stunden - Zuklus

gast sprechen wolle. Der Arzt, der den letzteren zufällig beiden Secundarärzte und der gut gelandete Dichter
sind mit wenigen Strichen trefflich charakterisiert. Der
kennt, verspricht dem Sterbenden, sofort zu Weihgast
Dialog ist natürlich und ungekünstelt, die Stimmung
Jeuillekon
zu fahren und ihn zu senden. Vortrefflich ist nun die
des Ganzen einheitlich. Dieses Schauspiel gehört zum
G n
Scene gekennzeichnet, wie der todeswunde Journalist
Besten, was die zeitgenössische Schriftstellerei hervor¬
Theater
sich, die mageren Hände reibend, auf den Besuch freut,
gebracht hat und verdient, von den drei anderen Ein¬
Von den vier „Einactern“ des Herrn Dr. Arthur
die Minute kaum erwarten kann, und dem Schauspie¬
actern losgetrennt, längere Zeit auf dem Repertoire
Schnitzler, die gestern und vorgestern in unserem
ler mittheilt, dass er jenen Dichter aus tiefster Seele
zu bleiben. Gespielt wurde tadellos. Herr Haid bot
anitätswidrigen alten Theater unter dem gemeinsamen
hafst, und dass er ihm in seiner Sterbestunde etwas
als Journalist Rademacher eine ganz hervorragende
Titel: „Lebendige Stunden“ vorgeführt wur¬
sagen wolle, was den Dichter zum unglücklichsten Men¬
Leistung. Maske, Spiel und Sprache waren der Rolle
en, ist die Sterbescene: „Die letzten Masken“.
schen machen, seinen Stolz brechen müsse. Auf den
vollkommen entsprechend. Die letzten Momente des
ddie lebendigste, dramatisch und literarisch wertvollste,
Vorschlag des Schauspielers, eine Art Generalprobe
Sterbenden kennzeichnete er naturalistisch. Neben ihm
das sogenannte Lustspiel: „Literatur“, die
zu halten, eingehend, donnert der Journalist seine ganze
ist Herr Felix als Schauspieler zu nennen. Das war
chwächste, dramatisch unmögliche und literarisch wert¬
Entrüstung gegen den Jugendfreund los, sagt ihm,
eine Gestalt aus dem Leben, ein gutmüthiger, lie¬
ofeste. Die vier Skizzen fanden trotz der gediegenen
dass diejenige, die er angebetet, seine Frau, ihn von
benswürdiger armer Teufel. Den Tod im Herzen und
Darstellung eine nur freundliche Aufnahme. Das Pu¬
allem Anfange an durchschaut hat und dass er, der
den Humor auf der Zunge. Die vorgeschrittene Krank¬
blicum rief die Schauspieler nach jedem Stücke wieder¬
Journalist mit der Frau des Dichters durch zwei
heit charakterisierte Herr Felix unübertrefflich. Als
kholt und entschädigte sie dadurch für die zum großen
Jahre innigste Beziehungen gehabt hat. Das alles
Dichter Weihgast erschien Herr Baxmann, die Aerzte
Theil verlorene Liebesmühe.
will der Sterbende dem erfolgreichen Dichter ins Ge¬
wurden von den Herren Weinmann und de Grach,
„Die letzten Masken“, das dritte Stück in
sicht sagen. Die Beweise, die Briefe, liegen in seinem
die Wärterin von Frl. Palik zutreffend gegeben.
der bunten Reihe führte uns in das Allgemeine Kran¬
Schreibtische. Aber als dieser nun kommt, und von
Den Abend eröffnete die Scene: „Lebendige
kenhaus in Wien. Der 54jährige Journalist Karl Ra¬
dem mühevollen Ringen erzählt, das seinem Ruhm
Stunden“. Ein pensionierter Beamter hat vor kur¬
demacher sieht, in einem Lehnstuhl liegend, seiner
vorausgegangen, von seinen Kindern und Enkeln, von
zem seine Frau begraben, die, wie aus einem von ihr
Auflösung entgegen, während der lungenschwindsüch¬
den Sorgen, die er um seinen Sohn hat, von seiner
hinterlassenen Briefe zu ersehen, Gift genommen, um
tige Schauspieler Florian Jackwerth der an einem
Frau, zu der er in treuer Liebe emporblickt, da versagen
ihren Sohn, der sich für einen Dichter hält, von der
Tische sitzenden Wärterin Juliane Paschanda allerlei
dem armen Sterbenden, der mit der Erfüllung seiner
Sorge zu befreien. Vielleicht wollte sie auch, eine
Allotria vormacht, die Aerzte copiert — Herr Dr.
Rache in die Ewigkeit hinüberschlummern wollte, die
zweite Charlotte Stieglitz, ihn durch ihren Tod zu
Schnitzler ist selbst Arzt und kennt seine Collegen -
Worte und auf die Frage, was er noch zu sagen habe,
einer großen literarischen That anspornen. Der Alte
und trotz des quälenden Hustens, der ihn übrigens im
entgegnete er, dass er nichts zu sagen habe, dass er
durchschaut den modernen Jüngling, der ihm so gar
schlimmsten Falle nur noch acht Tage plagen wird,
den Freund nur noch einmal sehen wollte. Und
nicht imponiert, und theilt ihm den Inhalt des Briefes
bei anscheinend bester Laune ist. Als der arme Jour¬
dann stirbt er ruhig, ein Märtyrer des Lebens, wie
mit, indem er ihm zu verstehen gibt, dass er seine
nalist aus leichtem Schlummer, dem Zwillingsbruder
Hunderttausende andere. — Diese dramatische Scene
Mutter in den Tod getrieben. Der famose Dichter,
des Todes, erwachte und der Arzt zu ihm kommt,
ist mit großer psychologischer Feinheit und physiologi¬
der von der Dame schon in die Ehe mitgebracht
will er von diesem die volle Wahrheit über seinen
schen Kenntnissen entworfen und künstlerisch durchge¬
Zustand erfahren, da er, wenn er heute sterben müsse,
vorher noch einen Jugendfreund, den an grünen undführt. Alle Personen; in erster Linie der Journalist! wurde, fühlt sich durch das Liebesopfer doch gehoben
goldenen Lorbeeren reichen Dichter, Alexander Weih= und der Schauspieler, sind meisterhaft gezeichnet; die und geht mit einem gewissen Bewusstsein an die
gewis