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Theater und Musik.
Lebendige Stunden.
Einacter=Cyclus von Arthur Schnitzler.
(Leipziger Schauspielhaus.)
Wieder einmal ein Einacter=Cyclus, bei dem man aber den so¬
genannten rothen Faden, der die vier Stückchen zusammenfassen und ab¬
schließen soll wie der Rahmen das Bild, mit der Laterne suchen muß. Ge¬
wiß ist der bindende Gedanke auch in dem Schnitzlerschen
Werke zu finden, das, um es gleich zu sagen, am 7. ds.
im hiesigen Schauspielhause einen großen Erfolg errang. Allein nur
einmal, und zwar in dem zweiten der vier Stücke („Die Frau mit dem
Dolche“) ist es dem Dichter gelungen, diesen bindenden Gedanken in eine Hand¬
lung umzuietzen, wie es die dramatische Gattung der Poesie verlangt. In
„Lebendige Stunden“, „Die letzten Masken“ und „Litteratur“
wird dagegen von den lebendigen Stunden, denn diese bilden den oben
erwähnten rothen Faden, nur gesprochen, und die „Ruhmlosen Helden“
von Paul Busson, die uns gewiß keine besondere litterarische
Hochachtung abnöthigen konnten, kommen uns, von diesem Stand¬
punkte aus betrachtet, vor, wie das Werk eines Heros. Allerdings
lassen sich in dem Schnitzlerschen Werke noch weitere Beziehungen fest¬
stellen, die auf eine Einheulichkeit abzielen. Es sind die Figuren, die alle
dem weiten Reiche der Kunst angehören, Dichter, Maler, Schauspieler und
Schriftsteller, und schließlich das bei Schnitzler ständige Motiv der Be¬
ziehung eines Mannes oder einer Frau zu einer oder einem zweiten
anderen. Dennoch bleibt das Band, das die vier Einacter zusammen¬
aus den oben angegebenen Gründen ein
halten soll,
Sudermann,
und auch Schnitzler hat
äußerst schwaches,
dem das bitiere Verdienst zufällt, unsere ganze gegenwärtige dramatische
Kleinigkeitskrämerei heraufbeschworen zu haben, nur darin übertroffen, daß er
nicht wie dieser in seinen „Morituri“ nur drei, sondern vier Stücke an einem
Abende uns vorsetzt. Allein die „lebendigen Stunden“ werden trotz ihrer
e
dem Tode seiner Mutter so wenig leißen wie vorher. Und wenn er¬
sich Hausdorfer gegenüber als Titan aufspielen will und etwas
Großes zu ##isten versprickt, zugleich aher die Einschränkung macht,
daß er sich erschießen müsse, wenn es ihm nicht gelänge, so fällt
dieser Character in seiner Unklarheit vollkommen auseinander.
In der „Frau mit dem Dolche“ führt Schnitzler uns in das Reich des
Glaubens an die Seelenwanderung. Pauline und Leonhard treffen sich
in einer Gemäldeausstellung, in der ein Bild „Die Frau mit dem Dolche“
hängt. Die Aehnlichkeit zwischen dem Gemälde und Pauline ist auffallend.
Pauline versinkt in Erinnerungen, und diese Erinnerungen werden zu den
lebendigen Stunden, die in der folgenden Scene theatralisch wirksam dar¬
gestellt sind. Paola, die italienische Pauline aus dem Jahre 1530, hat sich
in der Abwesenheit ihres Gatten, des Malers Remigio,
ohne tiefere Er
dessen Schüler Lionardo hingegeben;
pfindung, rein aus fleischlicher Lust. Deßhalb haßt
und
ersticht
vorüber ist,
der Rausch
Lionardo, als
ihn, als dieser den heimgekehrten Gatten angreift, der den undank¬
baren Schüler nur mit Verachtung zur Thüre hinausweist und es ver¬
schmäht, demselben den erbetenen Todesstos zu geben. Paola steht immer
noch mit hocherhobenem Dolche da und blickt starr auf den am Boden
liedenden Lionardo; sie giebt dem Gatten die letzte Inspiration zu einem
Gemälde, dessen Abschluß ihm seither nicht recht gelingen wollte. Die Scene.
deren Fabel übrigens Hebbels Tagebüchern entnommen ist, giebt die
Emtstehungsgeschichte des Bildes „Die Frau mit dem Dolche“ und gestatten
zugleich einen Ausblick auf das Ende des Liebesverhältnisses der ver¬
heiratheten Parline mit dem jungen Leonhard. — In den „letzten
Masken“ erkennen wir die „lebendigen Stunden“ in der Scene zwischen
dem kranken Journalisten Rademacher und dem. kranken Schauspieler
Jackwerth. Rademacher hat mit seinem großen Talente nichts er¬
reicht. Das Leben führte ihn abwärts, während es seinen Jugend¬
gespielen, den Dichter Weihgast emportrua. Verbissen und mit der
Welt zerfallen, seben wir ihn todtkrank in dem Krankenhause.
Die Erfolge Weihgasts lassen ihm keine Ruhe, er möchte diesen vernichten,
er möchte ihm sagen, daß er schon vor ihm sein Weib besessen. Alles was
er auf dem Herzen hat, erfahren wir in der Scene zwischen ihm und
Jackwerth; als Weihgast aber kommt und ihm freundlich entgegentritt,
schweigt Rademacher und nimmt sein Geheimniß mit ins Grab.
der
die Figur des Rademacher ist verzeichnet. Ein Mensch,
hat
und einen anderen Grund
nur aus niederem Neid
seinen Mitmenschen vernichten will,
nicht
Rademacher
ist nicht würdig, auf der Bühne dargestellt zu wer¬
den. Rademackers Vorhaben hätte tiefer motivirt werden müssen.
Denn auch der Umstand, daß er schließlich sein Vorhaben nicht ausführt,
kann ihn nicht rehabiluiren. Die lebendigen Stunden in dem heiteren
und sehr amüsanten Stück „Litteratur“, das ja für Leipzig nicht mehr
neu war, besehen in den Erinnerungen, die der Schrifisteller Gilbert in
dem Blaustrumpf Margareihe wachruft. Sie sprechen von ihrer Münchener
Zeit, sagen sich Malicen, compromuuren sich, kurz sie entpuppen sich nach
und nach als Lit eraturlumpen allerersten Ranges, die ihre angemaßte
Größe und ihre Ueberzeugungen an den Nagel hängen, so oft nur
die äußeren Verhältnisse es als angebracht erscheinen lassen. Die Probleme
gehen in diesem Stück nicht in die Tiefe und geben Schnitzler keinen Anlaß
zu straucheln. Die Charaktere sind scharf gesehen und friich und flott hin¬
geworfen. Die Art, in der der Dichter die beiden Haupifiguren, Marga¬
rethe und Gilbert, nach und nach sich selbst emtlarven läßt, ist äußerst ge¬
schickt. „Luteratur“ ist das werthvollste unter den vier Stücken, und be¬
siegelte den Erfolg des Abends.
Unter den Darstellern verdient Herr Ernst Bornstedt an erster Stelle
genannt zu werden. Ergab in den „Lebendigen Stunden“ als Anton Hausdorfer
jenen sympathischen Menschen, den der Dichter nötvig hat, um es glaubhaft er¬
scheinen zu lassen, daß Heinrich sich über Hausdorfers Verhältniß zu seiner
Muner nicht empört. Und schließlich konnten „die letzten Masken“ nur
durch die vortreffliche Leistung des Herrn Bornstedt als Karl Rademacher!
über Wasser gehalten werden. Mit einem feinen Gefühl für das
was der Dichter an dieser Figur versehen, wußte er alles Falsche
und Niedrige zu dämpfen und zu verdecken durch die starke
Betonung des edlen Sirebens Rademachers, sowie durch eine
an das Große reichende Resignation, mu der dieser Unglückliche, der sein
Leben lang gestrebt und nichts erreicht hat, schließlich doch noch sein
Schickal trägt. — In dem gleichen Streben sehen wir Herrn Lothar;
Mehnert. Er kam Herrn Bornstedt dadurch entgegen, daß er seinem
Dichter Weihgast etwas von der Glätte und der berechnenden Liebens¬
würdigkeit eines Strebers im üblen Sinne des Wortes gab, um so
den unbegründeten Haß und Neid Rademachers begreiflicher zu machen.
Wenn dadurch auch die Figur des Weihgast etwas verlor, so hal das Stück
als solches umso mehr dadurch gewonnen, und die schauspielerische Leistung
des Herrn Mehnert verliert nichts an ihrem Werthe. Ganz in seinem
Fahrwasser war der Künstler in der „Luteratur“, wo er als Clemens ein
Meisterstück von einem blasirten Aristokraten auf die Bühne stellte.
Fräulein Margarethe Frey war vortreffuch disponirt. Sie war
ganz Blaustrumpf und ganz voll von jenen Floskeln und
Phrasen, mit denen eine gewisse Sorte weiblicher Geschöpfe sich als
das Weib an sich geriren möchte, und doch über das Weibchen nicht hmnaus¬
kommt. — Herr Arthur Egaeling hatte als Gilbert in der „Litteratur“
all die Derbheit jener Pfeudokünstler, die vor lauter Größe auf Sitie und
Anstand nicht mehr achten zu brauchen glauben. Herr Robert Forsch
führte in den „letzten Masken“ seinen Schauspieler Jackwerth mit Witz
und Geschick durch. Herr Jean Hofmann hatte in der Frau mit dem
Dolch die für den Meister Remigio nöthige Ueberlegenheit und Vornehmheit.
Herr Max Brückner war in seinen Rollen als Heinrich (Lebendige Stunden)
und als Leonhard (Frau mit dem Dolche) weich wie immer, aber auch
nicht ohne das Streben nach einer kraftvolleren Gestaltung. Fräulein
Elisabeth Anders spielte ihre Rolle als Pauline (Frau mit dem Dolche)
zu viel und lebte sie zu wenig. Die Regie war gut un so weit es die
vorhandenen Mittel zuließen, auch stimmungsvoll. Der Erfolg war, wie
schon gesagt, ein großer, und die darstellenden Künstler konnten besonders
nach den beiden letzten Stücken mehrfach vor dem Vorhange erscheinen.
Ludwig Weber.