Faksimile

Text

128
Großmit verzeiht,
Leichtsinn vergißt.
Eiligeres zu tun, trotz des ausdrücklichen Wunsches der Verstorbenen,
stedt bot als Karl Rademacher eine ganz ausgezeichnete sein abgekönte
daß ihr Sohn niemals von dem Opfer erfahren soll, es dem jungen
Leistung. Namentlich die Wandlung seiner Gefühle verstand er sehr
Mann bei seiner Rückkehr in's Gesicht zu sagen: „Du bist eigentlich
glaubwürdig zu gestalten, sodaß ihm wohl in erster Reihe der Erfolg
ihr Mörder.“ Der Sohn Heinrich von Herrn Mox Brückner, ohne
des Stückes anzurechnen ist. Herr Lothar Mehnert als Alxander Weih¬
die rechte Stimmung, wenn auch mit einiger Herzenswarme gegeben,
gast fand den vornehm überlegenen Ton, dem ein gemachte Herzlich¬
war glücklicherweise so vernünftig, nachdem er den eisten Schmerz über
keit gut stand, und Herr Frosch als schwindsüchtiger hauspieler Jackwerth
die grausame Eröffnung überwunden, zu der Einsicht zu kommen, daß
war ein hoffnung=froh dem Leben entgegen gender Todeskandidat.
er doch weiter leben müßte, so gut wie Herr Hausdorfer, der Haus¬
Die übrigen Mitwirkenden waren gut disponiert, sodaß „die letzten
freund, den Herr Bornstedt darstellte, auch weiter leben würde.
Masken“ die lebhafteste und freundlichste Aufnahme fanden.
Der wehmütige, resignierte Ton, den Herr Bornsiedt anschlug,
Den vierten Einakter „Literatur“ haben wir schon anläßlich einer
spaßte schlecht zu seinen Eröffnungen und war zu wenig lebenswahr.!
Matinee im Karolatheater besprochen. Es ist ein geradezu entzückendes
Die Auffassung, daß der alte Freund der Mutter, nicht nur verwunden,
Stück Feinmalerei. Leicht und prickelnd wie Champagnerschaum. Sie,
sondern auch heilen will, fehlte gänzlich und nur der Egoismus be¬
Margarete, schreibt einen Roman, in dem sie die Briefe eines ab¬
hauptete, trotz der angenommenen Wehmut Hausdorfers, das Feld.
getanen Liebhabers abdruckt. Dieser Liebhaber erscheint gerade in dem
Als Lektüre bietet der Einakter gewiß ein ganz anregendes Stimmungs¬
Moment, als Margarete im Begriff ist, einen andern zu heiraten. Der Ab¬
bild, auf der Bühne wirkt er langweilig.
getane aber hat auch einen Roman geschrieben, den er ihr jetzt zu
In dem zweiten Stück „Die Frau mit dem Dolche“ tritt
Füßen legt. Er hat ihre Briefe darin wiedergegeben, so daß jeder, der
das Visionaire in Kraft. Eine junge Frau trifft in einer Gemälde¬
den Roman liest, genau weiß, in welchem Verhältnis sie zu einander
Gallerie mit ihrem Liebhaber zusammen. Abschied will sie von ihm
gestanden haben. Der neue Liebhaber und künftige Gemahl, der gegen
nehmen, da sie am nächsten Tage mit ihrem Gatten verreisen will.
die Schreiberei ist und der natürlich von der ganzen Briefgeschichte
Der Gatte verlacht, verhöhnt sie, sie aber will genießen! Leonhard, der
nichts ahnt, ist zum Buchhändler gestürzt, um das Einstampfen des
Liebhaber, fleht und butet um eine letzte Zusammenkunft in der
Romans seiner Geliebten zu veranlassen, nur ein Exemplar hat er sich
kommenden Nacht. Sie weigert sich, da aber begegnen ihre Augen dem
für seine eigene Lektüre gerettet, aber Margarete will dieses Opfer von
Gemälde „Die Frau mit dem Dolche“, das von der Wand zu ihr her¬
dem Geliebten nicht annehmen, sie entreißt ihm das sie compromittierende
nieder sieht. Sind das nicht ihre eigenen Züge? Leonhard selbst findet
Werk und wirft es in die Flammen, und Clemens stürzt ihr gerührt
es auch. Ist das nicht ihr eigenes Schicksal? Hat sie sie nicht schon
von so viel Liebe und Opfermut in die Arme. Es ist eine feine Satire,
selbst erlebt, die Geschichte des Bildes, die vor ihr aufsteigt, oder wird
auch die Gewandtheit und Arglist der Frauen und eine kleine Persiflage
sie diese erst erleben? Und sie sieht im Geiste ihr Geschick und die Ge¬
über die Dummheit — die geehrten Leser verzeihen — der Männer,
schichte des Bildes. Die Bühne verwandelt sich, um uns die Vision
deren Eitelkein sie blind und taub dagegen macht. Herr Wehnert als Clemens
Frau Paulinens vorzuführen. Remigio, der Maler des Bildes, über¬
war köstlich in seiner gigerlhaften Naivetät. Er war ganz der Troddel, der
rascht seine ungetreue Gattin mit ihrem Liebhaber Leonhard. Sie selbst
betrogen sein wollte, und Frl. Frey als Margarete verstand so entzückend
sagt es dem Gemahl, daß sie ihn mit Leonhard betrogen. Der Ehe¬
zu betrügen, daß man seine helle Freude daran hatte. Herr Eggeling
mann weist dem Geliebten, der umsonst Genugtuung fordert, die Tür
als Gilbert und abgedankter Liebhaber, war ein Literat, der dem
und als Leonhard sich auf Remigio stürzen will, die Genugtuung zu
modernen Piratenwesen einer bestimmten Schriftstellerklasse sehr nahe
erzwingen, stößt die ungetreue Galtin mit eigener Hand ihrem Lieb¬
stand. Er erregte namentlich durch sein Selbstbewußtsein die nichtenden¬
haber den Dolch in's Herz. Remisio aber greift zu Palette undwollende Heiterkeit des Publikums, welches dem reizenden Scherz
Pinsel, um die letzte Hand an sein schon lange auf Vollendung
jubelnden Beifall spendete. Der eigenartige Einakter=Abend an dem
wartendes Gemälde „Die Frau mit dem Dolche“ zu legen. Wieder
uns eine so verschieden schneckende, geistige Kost volgesept warde, dürfte
Anny Wothe.
verwandelt sich die Bühne, Frau Pauline erwacht aus ihrer Vision und
gewiß noch viele Wiederholungen finden.
Augen, Lippen flüstern dem Lieb aber Gewährung zu. Wer weiß es,
ob sich nicht das Drama, das dem Bilde zu Grunde liegt, diese Nacht
wiederholt? Frau Pauline fürchtet es, sie weiß es fast mit Bestimmt¬
Kleinbürger.
heit, aber sie zögert nicht, damit sich sein und ihr Schicksal erfülle.
Von Maxim Gorki.
Fräulein Elisabeth Anders verstand es durch ihr leidenschaftlich durch¬
dachtes Spiel das Interesse des Publikums zu fesseln, nur muß die
Ein sonderbares, ein herzbeklemmendes Stück, ein Stück, das
Künstlerin sich vor einem „zu viel“ hüten, einem „zu viel“ des
zwischen seinen Zeilen ein Meer von Schwermut fluten läßt, das den
Gemachten, das ihre sonst wirklich außerordentlich guten Leistungen ab¬
Hörer zu ertränken droh'.
schwächt. Herr Brückner als Leonhard war nicht ohne Feuer und
„Zu was lebt ihr eigentlich,“ fragt der verkommene „Kirchen¬
Herr Jean Hofmann als beleidigter Ehegatte nicht ohne Größe.
sänger“ durch den trefflichen Klein meisterhaft interpretiert.
Wenn das ganz eigenartige Stück „Die Frau mit dem Dolche“
„Zu was leb ich eigentlich,“ fragt Tatjana, die sich in ihrer öden
schon ein erhöhtes Interesse erregt hatte, so übte vor allem das
— „Zu
Existenz nach Leben und Liebe und nach dem Manne sehnt.
Milieu des dritten Einakters „Die letzten Masken“ eine ganz
was leb ich denn“ fragt ihr Bruder, im momentanen Jugendrausch,
besonders ascinierende Wirkung auf die Zuhörer aus, die im Banne
bald wieder erstickt im Alltag.
„der Moderne“ stehen.
Ein jeder Typus eigentlich neu, ausgenommen das unverstandene
Schnitzler führt uns ins Krankenhaus. Wir sehen den ganzen
Weib, das von der Nichtbetätigung seines Weibtums zu Grunde geht,
Apparat, Kranken=Pflegerin und Aerzte, und wir sind gefesselt durch
und das doch vielleicht die tragischste Figur des Ganzen ist.
die eigenartigen feelischen Konflikte, die wir mit dem Journalisten
Ein schlechtes, ein undramatisches Stück, ohne Pointen und
Rademacher, der todkrank im Hospital darnieder liegt, durchleben. Rade¬
Effekte und eines der tieferschütterndsten für den denkenden und
macher weiß, daß er sterben muß, bevor er aber stirbt, will er noch
fühlenden Hörer.
einmal den einstigen Freund Weihgust wiedersehen. Der Freund ist
Man atmet freilich überall darin den Agitator, der mit dem
hoch, hoch emporgestiegen, der Dichterruhm, um den Rademacher sein
Feuerbrand durch das Leben geht und die blöde Resignation zur Ver¬
ganzes Leben gerungen, der Freund hat ihn mühelos eingeheimst,
zweiflung aufrüttelt.
während des armen Rademachers „unsterbliche Werke“ vergessen in
Man begreift den Siegeszug der Gorkischen Muse, wenn man
seinem Schreibtisch ruhen. Aber der Freund, der ihm sozusagen Ruhm
von den „Kleinbürgern“ sich weder das ganze Elend des Lebens, das in
und Ehre genommen, den hat Rademacher auch einst bestohlen — er
sich selber verkümmert, greifbar wirklich vor Augen hat führen lassen. —
hat des Freundes Weib besessen — und das will er ihm sagen in der
Denn, ob es auch kleinrussische Kleinbürger — es sind echte Menschen,
Sterbestunde. Seinen ganzen Haß will er ihm entgegenschleudern, und
und auch wir Großstädter fühlen, daß es Punkte gibt, Engen, Schranken,
dann will er sterben. Einem gleichfalls dem Sterben nahen Schau¬
denen gegenüber wir alle uns immer und ewig Kleinbürger fühlen werden!
spieler vertraut er sich an, ihm sagt er alles, was er dem einstigen
Gespielt wurde im Lessing=Theater ganz meisterhaft. Else Sauer hat
Freunde sagen wird, wenn er zu ihm kommt in letzter Stunde. Der
ihre Tatjana vielleicht ein wenig karikiert, das Weib, daß für den
Vorgang, daß zwei schon fast Sterbende, diese unglaubliche Komödie
Mann erschaffen und ihm immer und immer ferne steht, nicht weil sie
aufführen, um sich würdig vorzubreiten, den Freund zu empfangen, ist
häßlich, dumm oder alt — sondern weil sie nicht das hat, was den Mann
im Mann aufscheucht. —
recht unwahrscheinlich, aber nicht ohne Wirkung. Endlich kommt der
durch die Aerzte noch in der Nacht herbeigeholte Freund. Seine Ruhe,
Polja, das nüchterne, frische Hausgänschen besitzt dies um so
seine Freundlichkeit, seine, wenn auch angenommene Herzlichkeit machen
mehr — Tatjana aber reibt sich auf in einer täglichen und nächtlichen
Rademacher kleinlaut. Er will alles sagen, alles, aber die Worte
Tragödie hinter den Coulissen, zwischen den Zeilen. Ja, „zu was leben
wollen nicht über die Lippen, obwohl sein ganzes Innere nach Rache
wir“, wenn unsere Lebensbedingungen uns nicht gewährt werden? —
schreit. Und als dann Weihgast ganz hirmlos ein Bild seines Lebens
Zu was leben wir alle, die nach Unerreichbarem streben — und
entrollt, als er einfließen läßt, daß diejenigen, die ihn einst hochgehoben,
im Alltag, in Engen und Banden verkümmern müssen?
ihn jitzt fallen ließen, daß auch Nichterfolge auf seinem Wege liegen,
„Kleinbürger“, dies „schlechte“ Stück, mit den unendlichen Per¬
als er dann weiter von seiner Frau plaudert, von seinen Kindern usw.,
spektiven vor und rückwärts, jeder sehe es sich an, der schwer am Leben
da steigt vor Rademacher die Erkenntnis auf, daß der gefeierte Freund, den
trägt, um die eigene Seelenbitiernis wachsen zu fühlen, und jeder, der,
er im Glücke schwelgend glaubte, wohl schon selbst sein Päckchen zu tragen
wie die lustige Witwe des Gefängnisdirektors, seinen Sonnenschein mit
hätte. Und der zürnende Mund preßt sich zusammen, und der Rache¬
sich selber herumträgt, er mag erproben, ob er auch so schwere Lebens¬
schrei erstickt im Herzen des Sterbenden. Dem Manne braucht er nicht
schatten damit lichten kann. Zu was leben wir eigentlich?
mehr das Letzte zu nehmen, den beneidet er nicht. Herr Ernst Born¬
Hermione von Preuschen.