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bringt. Für nichts ist die große Menge empfänglicher als
für einen Brocken Philosophie — eine Speise, die sonst von
ihr nicht allzu häufig gesucht, vielmehr als zu schwer ver¬
daulich gemieden wird, aber in dieser verdünnten Form an¬
genehm auregend wirkt. Diese philosophierende Rethorik ist
unzweifelhaft am Theater das, was man in der Literatur
„Schöngeisterei“ nennt — was die Schwärmerei für einen
inclusive
=Bela“ (Le monde on Pon semni) hervorruft. Philo¬
Porto.
sophie, wo sie zu einer tief begründeten Weltauschanung
Zahlbar
wurde und sich hoch über die kleinlich beengten Gesichts
im Voraus.
punkte der Menschen erhebt, wirkt ganz anders. Ist sie der

Untergrund, der ein Dichtwerk trägt, fühlen wir kein eitles
tte ist das
Vergnügen, daß unser geistiges Empfängnis groß geuug ist,
Abo
ht es den
die bravonröse Spiegellechterei mitzumachen, wir vergessen unser
rn.
Abo
Selbst, und jenes große Ahnen erschüttert unser Wesen, das
mehr im Gefühl als in der detaillierenden, geistigen Auffassung
Itend die
in Erscheinung tritt. Das wollte ich nur vorhersenden, bevor
lorgen¬
Inh:
ich den allgemeinen Lobeschorus über den Einakterzyklus
Zeitung“)
„Lebendige Stunden“ von Schnitzler, der vorigen
schaftliche
wod
T.— 1
Samstag zum ersten Mal im Deutschen Volkstheater
lichen mysteriösen Rückerinnerns der Seele, von dem sonderbaren
sehr erfolgreich in
Eindruck, als hätten wir dasselbe, was uns eben begegnet,
Szene ging, kritisie¬
schon längst einmal erlebt. Derlei Eindrücke haben die meisten
re. Der erste dieser
Menschen schon einmal durchkostet, und hängt das vielleicht
Einakter ist ein ge
damit zusammen, daß uns einen Atemzug lang die
sprochenes Feuille¬
a priori-Begriffe von Zeit und Raum versagen. Wenn die
ton ohne echte Le¬
Seele wandert, so müßte sie jedenfaus ihrer Vollendung zu¬
Man
benstragik.
schreiten; zwischen diesen beiden Leonoren des Leonardo und
muß kein junge
jener in der modernen Kunstgallerie ist aber wenig Gehalts¬
Dichter sein, um i
unterschied. Jene mit dem Dolch steht moralisch höher, denn
egvistischer Kraft
sie tötet den Jüngling, in dessen Arme sie nur die Sinnes¬
über ein zermalm¬
leidenschaft warf, wie sie des edleren geistigen Bandes
tes Menschenschick¬
wieder inne wird, das sie an den Gatten fesselt
sal hinwegzuschrei¬
moderne gibt sich erst hin, nachdem sie vorher klar dargelegt
dazu ge
ten
hat, welche Gefahren in ihrer Leidenschaft liegen, zu deren
nügt es schon einfach
Bändigung sie die Hilfe des Gatten als Reisebegleiter und
jung zu sein. Die
vermutlich auch Reisekassier leider vergeblich angerufen hat.
Jugend wendet sich
Diese Seelenwandlungstragödie ist zu viel Effekthascherei,
naturgemäß der Zu¬
als daß sie einen bleibenden Eindruck hervorbringen könnte.
kunft zu, sie löst die
Fräulein Sandrock und Herr Kramer gaben, was sie
Werdenden von ihren
konnten. Kraftvoll wirkte Herr Eppens — schade, daß
menschlichen Vor¬
wir ihn verlieren. Das philosophisch Tiefste und geistig Be¬
gängern, sonst würde
dentendste sind „die letzten Masken“ Hier weht##
das Bindeglied zwi¬
uns ein größerer Alemzug, ein tieferes Erfassen des all¬
schen den sich immer
gemein Menschlichen entgegen. Der letzte, oft wie Humor
wieder verjüngenden
aufblitzende Ausdruck im Antlitz Sterbender, der vielleicht
Generationen kein
ein endliches Entschleiern der Wahrheit — eine große ironische
haltbares sein. Will
— oder auch nur ein letztes
Schlußbilanz des Lebens
Schnitzler sagen, daß
Zucken der Gesichtsnerven bedeutet — wird dem sinnenden
dieser Sohn, dessen
Denker immer wie eine geheimnisvolle Offenbarung er¬
Mutter freiwillig
scheinen und ist von Schnitzler in machtvoller Wirkung erfaßt.
stirbt, um sein junges
Jedenfalls hat Schnitzler dieses letzte Ausflackern des Lebens sehr
Leben nicht mit Sorge
tief beobachtet und gut gestaltet. Wir sahen darin auch zwei
und Kummer durch
Meisterrollen. Direktor Weiße, dessen Sterbender durch ein¬
ihre unheilbare
fache Mittel packend wirkte, und Herr Brandt, der seine
Krankheit zu zer¬
Rolle mit trefflicher Charakteristik ausstattete. Das letzte
stören, die sein Ta¬
Stück des Einakterzyklus „Literatur“ ist ein seines,
leut zersetzen — ei
geistvolles Lustspiel, welches Schnitzler unbedingt auf
moralisches Monstrum ist — weil er seinen Schmerz in
dieses Gebict weist. Die beiden Hauptpersonen sind witzig
Dichtungen ausleben wird? Sieht er darin ein Fatum der
und treffend gezeichnet und wurden von Frl. Sandrock
Dichte##eele? Von einer moralischen Monstruvsität kann aber
und Herrn Kutschera mit feinem, kaustischem Humor
schon deshalb nicht die Rede sein, weil ja der herzbrechende
meisterhaft gespielt. Weniger traf Herr Kramer die kühle
Kummer des sie pflegenden Sohnes seine Liebesfähigkeit
Eigenart des Aristokraten, seinen Widerwillen mit der Be¬
beweist und gerade das seine Mutter in den Tod trieb —
rührung gewisser Dinge, wenn sie auch Formwesen sind.
das Fatum aber, das darin liegt, deß der dichtende Sohn
wir erinnern nur
Derlei Rollen spielt Herr Thaller —
sein Entsetzen über
an seinen Lord Quex — glaubwürdiger und feiner. Jeden¬
die traurige Enthül¬
falls hatte das Volkstheater einen schönen Abend mit reichen
lung ihres freiwilli¬
Erfolgen.
gen Endes — verme##¬
lich in Werken seines
geistigen Schaffens
ausströmen wird,
schließt die Tragik des
Schuldbewußtseins
wohl aus. Daß der
Schmerz allmählich
in neuen Gefühlen
verarbeitet wird und
in Worten ausströmt,
ob diese nun von je¬
neu, welche die Gabe
dazu besitzen, geschrie¬
ben und gesprochen:
werden oder ewig un¬
gesprochen bleiben —
das ist einfach mensch¬
lich und kein beson¬
deres dichterisches Fa¬
tum. Herr Marti¬
pelli konnte der
Rolle des Stiesvaters.
trotz seines trefflichen Könnens nicht geben, was ihr fehlt, eine
richtige, gesunde Charakterzeichnung. Herr Geisendörfer
blieb uns die warmen Döne eines jungen Dichtergemütes
schuldig. Das zweite Stück „Die Frau mit dem
Dolche“ ist auf einer Art Seelenwanderungstheorie auf¬
gebaut oder sagen wir, es handelt von einem Gefühl plötz¬