Faksimile

Text

box 21/4
16.1. Lebendige Stunden zvkIus
Bühnen wehr es als Premierenluft. Da haspelie
mau aufregungslos die „Schlager“ der Winter¬
saison herunter. Im Burgtheater „Monna Vanna“
im Volkstheater „Duharry“ und „Die beiden Schu¬
len“, und in der Oper, wo man keine Schlager
hafte, erging nan sich in allerlei Neu=Inszenie¬
rungen. Der erste Herr Direktor, der erwachte
und sich den Schlaf aus den Augen rieb, war Di¬
retior Bukovies vom Volkstheater. Er fühlte sich
mit einem Male als Literaturförderer und führte
Arthur Schnitzlers Einakter=Zyklus „Lebendige
Stunden“ auf. Allerdings in Anbetracht des Um¬
stundes, daß Schnitzler ein Wiener, und noch dazu
unser bester Wiener Anior ist, ziemlich spät. Schon
im Vorjahre hatten ja die „Lebendigen Stunden“
dem Berliner Publikum viele angenehme Stunden
bereitet. Aber wir in Wien haben uns nun schon
einmal in die Rolle des Nachtretens gefunden.
Auf unseren Bühnen werden keine Talente mehr
en'deckts Höchstens eines, das eine neue Glanz¬
role für die Odilon oder die Hohenfels schreibt.
Smnst wird bei uns nur aufgeführt, was draußen
im Reiche die Feuerprobe des Kassenerfolges be¬
standen hat. Die „Lebendigen Stunden“ haben es,
folglich wurden sie auch der Ehre würdig erachtet,
inem hochwolllöblichen Wiener Publikum vorge¬
ührt zu werden. Nun, es war ein hübscher Er¬
folg, sogar ein literarisch wertvoller.
Das Volkstheater hatte seine Frühjahrs¬
Première, folglich mußte auch das Burgtheater eine
solche haben. Direktor Schleutyer richtete sich von
den Lorbeeren, die ihm die Kunst der Hohenfels als
„Monna Vanna“ eingetragen, energisch in die
Höbe und tat einen Griff mitten hinein in die hei¬
mische Literatur. Aber er war augenscheinlich noch
nicht recht ausgeschlafen und griff mit gewohnter
Wiener Brief.
Schnitzlers „Lebendige Stunden“ viel zu spät auf¬
0
geführt, Schleuthers Errungenschaft, der Einakter¬
4 Wien, End. März.
zuklus „Zu spät“ von der Wienerin Marie della
Wir sind schon mitten im Frühling. Das so
Grazie, lam mit Rücksicht auf seine Minderwertig¬
oft besungene „Frühlingslüsteel“ weht durch die
keit noch viel zu früh. Mit diesem Einakterzyklus
Straßen und bringt aus dem nahen Wiener Walde
war es — nischt. Die Marlitt und ihr Geist
die ganze würzige Frische mit, die da draußen da¬
feiern darin eine selige Auferstehung. Und über
heim ist. Da wird der Wiener zum Wandervogel.
die sind wir in Wien denn doch schon hinaus. Der
Am Sonntag nachmittag stehen die Kaffeehäuser
süße Backsisch, der zerstreute Herr Professor, der
deer, und die, die sonst in zeiner dunstigen, ver¬
entsagende Hauslehrer mit Osterglockenbegleitung
räucherten Atmosphäre mit bewunderungswürdiger
haben für uns doch keine Reize mehr.
„In dem
Ausdauer vier, fünf Stunden gesessen, die fliegen
einen Stücke, „Donanwellen“, ist zwar so etwas
jetzt aus. Sie haben's ja auch so bequem! Man
wie „Wiener Stimmung“ vorhanden. Da steht
tritt aus dem Haustor heraus, steigt in die Elek¬
ein regelrechtes Pontenwirtshaus auf der Bühne,
trische und fährt für zehn Kreuzer — fortgeschrittene
eine Damenkapelle geigt da herum, ein prähistori¬
Staatsbürger sagen mit Emphase zwanzig Heller
scher Fiaker redet da wienerische Töne, aber die
— hinaus nach Neuwaldegg, Potzlainsdorf, Grin¬
Heldin des Stückes, eines der beliebten verführten
zing. Und wessen Sinn schon ins Weitere gerichtet
und sitzengelassenen süßen Mädeln, verwässert durch
ist, der setzt sich auf die Stadtbahn und „reist“ nach
ihre Tränen die ganze Wiener Stimmung und ver¬
Preßbaum, nach Greifenstein, und wie sie alle,
wandelt sie in eine höchst trübe und fade. Ein Ein¬
die Perlen an der Donan und im Wiener Walde,
akter nach dem anderen wurde mit sanfter Galan¬
heißen. Allerdings darf man sich nicht vorstellen,
terie abgelehnt. Nur der vierte, „Die Mutter“
daß bei solchem „Fliegen in das Weite“ die Frie¬
nicht. Weil er überhaupt nicht aufgeführt wurde.
gerei an sich die Hauptsache ist. Die Hauptsache
Die Sage geht, daß dem Herrn Direktor — aller¬
ist, daß man nachher im Gasthaus einen guten
dings „zu späts:— so was wie eine richtige Er¬
Platz und ein frisches Vier oder einen guten Wein
kenntnis überkam, und er das Stück ganz absetzte,
bekommt. Der Wiener steigt nicht auf seine rei¬
weil — weil Frau Mitterwurzer plötzlich unpä߬
zenden Berge, um von ihrer Höhe aus den alien¬
lich geworden Sagte der Theaterzettel.
Steffel zu bewvündern. Das kommt nur in den
Liedern idealistisch veranlagter Koltsdichter vor.
Der Wiener der Wirtlichkeit ist Sybarit durch und
durch. Er schwelgt allerdings nicht Stimmung
und Nalur; seine Schwelgerei, so bescheiden sie auch
sein mag, beschränkt sich auf einen guten Wein und
ein bischen Musit. Aber die beiden Dinge sind un¬
erläßlich. damit er in Stimmung komme. Bildet
dann auf der Heimfahrt die Drängerei und Schie¬
berei in den bis obenan vollgepfropsten Wagen
als „Grand=Hetz“ einen würdigen Abschluß, so ist
das Vergnügen vollkommen.
Natürlich ist so ein Sonntagsnachmittags=Aus¬
flug nur das Vergnügen von den sogenannten
gunteren Volksschichten", — der literarisch gebildete
Kommis sagt „Gevatter Schuster und Schneider“.
Das, was besser ist, oder sich besser dünkt, hat
andere Frühlingsamusements. Abbazia ist leicht
zu erreichen, der Sommering noch leichter. Man
fühlt sich unter dem Wohen des Frühlingslüfterls
erholungsbedürftig von den Gesellschaftsstrapazen,
des Winters und geht südwärts. Das tun die, die
besser sind. als die Sonntagsausflügler. Die,
die sich besser dünken, gehen — zum Trabfahren.
Da ist jetzt großes Frühlingsmeeting und dement¬
sprechende Aufregung. In den Bureaus, Sport¬