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16. 1. Lebendige Stunden ZykIus
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war er zurückgekehrt, sie gestand und wählte zwischen dem
Leben ihres Geliebten und dem ihres Mannes durch den
Dolch. Und die junge, sensible, moderne Frau, die tief
versonnen vor jenem Bilde steht, kündigt plötzlich dem Ge¬
liebten die verhängnisvolle Schäferstunde an, — die mutige
Entschlossenheit der „Frau mit dem Dolche“ ist über sie ge¬
kommen ... Sie wird sich dem Geliebten ergeben, heute
Nacht, sie kann nicht anders, sie handelt unter einem un¬
widerstehlichen Drange, — aber sie weiß: nach dieser Schä¬
ferstunde korimt das Schicksal, die Sintflut, der Dolch .
Und doch geht sie zu ihm. Sie muß. Es ist ihr beschieden,
wie jener dort in dem goldenen Bilderrahmen des Mu¬
seums.
„Die letzten Masken“ hat Arthur Schnitzler in
Teplitz=Schönau vor dem Publikum des „Teplitz=Schönauer
Leseklubs“ selbst vorgelesen. Erinnern wir uns noch ein¬
mal an diese tief ergreifende Szene, in der uns der ideale
Realist in ein Gemach des Wiener allgemeinen Kranken¬
hauses führt. Ein Journalistenleben will dort gerade zu
Ende gehen. Der Journalist Rademacher hat viele Jahre
anderen Leuten gedient, den Ruhm anderer Leute verkün¬
digt, die Ueberzeugung anderer Leute verfochten. Journali¬
stenlos. Nun liegt er sterbend im Spitale, wie — Christus
am Kreuze, dem die schadenfrohe Menge cynisch zurief:
„Anderen hat er geholfen, sich selber kann er nicht hel¬
fen . . .“ Da packt ihn der durch Jahre niedergehaltene
Grimm, der Eckel vor einem Berufe, der ihn zwang, Dinge
zu vertreten, an die er selbst nicht glaubte. Kümmerlich
und seines ganzen Wesens unwürdig war sein ganzes Le¬
ben gewesen. Andere stiegen auf, — Glückskinder, Stre¬
ber, Glaubens= und Ueberzeugungslose. Er wanderte im¬
mer in den Niederungen des Lebens. Die ganze Verbit¬
terung der Jahre bäumt sich in ihm auf, morgen ist er
tot, er weiß es, heute will er sich rächen wegen seines ver¬
lorenen Lebens. Morgen ist er tot,
— es graut keine
Stunde mehr, in der er sich dieses Racheaktes zu schämen
brauchte. Dem Schriftsteller Weihgast, seinem Freunde,
will er den Vorwurf eines mühseligen, zeriretenen Lebens
ins Gesicht schleudern. Er will ihm sagen, wie nichtig der
Ruhm ist, den sich jener erstrebt und erschlichen hat, —