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Lebenden in ihren Nöten aufgezwungen, fallen, wenn
wir uns daran machen, aus ihren Reihen zu scheiden.
Karl Ridemacher, der Journalist, der nach langer auf¬
reibender und erfolgloser Arbeit im Krankenhaus seiner
letzten Stunde entgegensieht, will Abrechnung halten
mit seinem vom Glück begünstigtern Freunde, dem
Dutzenddichter Weihgast. Was er früher nicht gekonnt,
jetzt will er ihm sagen, daß er ihn stets geringgeschätzt,
daß er ihn verachtet und mit dessen eigener Frau be¬
trogen habe. Er will Rache nehmen an der Flachheit,
die ihn bemitleidet und sich für gottähnlich gehalten
hat. In aller Bitternis will Rademacher noch die einzige
Süßigkeit verkosten, die glückliche Mittelmäßigkeit zu
demütigen und sie ihres Glaubens zu berauben. Als
Weihgast jedoch in später Nachtstunde zu ihm kommt
schweigt der Sterbende. Eine Wandlung ist in ihm in¬
zwischen vorgegangen, eine letzte Erkenntnis ihm zu
Teil geworden, und wenn er spricht, so klingen seine
Worte wie von einem andern Ufer her, Worte eines
aus der Gemeinschaft der Lebenden Geschiedenen. „Was
hätte ich ihm sagen sollen? Was ist dem, der heute
stirbt, einer, der morgen noch leben wird? Haß, Liebe,
Rache und Nachruhm, das sind Sachen für Lebende..“
Schnitzler hat hier einen tragischen Endpunkt aufge¬
griffen und ist mit tiefem Begreifen letzten Lebens¬
ergebnissen nachgegangen. In einer Nußschale, welch
ein Goldgehalt an Weisheit und Psychologie... In den
„Litzten Masken“ ist eine bittere, im „Dieb“ von
Mirbeau eine spielerische und heitere Ironie. Mit einer
eleganten Klinge berührt hier der Dichter die verschleierte
und aufgeschmückte Korruption der modernen Gesellschaft.
Lachende Wahrheiten in einem scherzhaften Einfall.
Ein Dieb aus Lebensphilosophie, ein Apostel eines noch
verfehmten Handwerks, dem er in der Reihe der Berufe
soziale Anerkennung und Berechtigung verschaffen will.
Der Bestohlene, ein feiner Lebemann und Kunstsammler,
wird von all den Paradoxons überredet, von den er¬
zählten Liebesabenteuern berauscht. Zwei Menschen, die
eine Welt trannt, finden sich in dem Moment, da sie
sonst verhaßten Wahrheiten ins Gesicht sehen. Das sind
Wahrheiten ohne Pathos ausgesprochen, mit der Ele¬
ganz und Selbstverständlichkeit, mit denen die Fran¬
zosen auch das Gewagteste sagen können. „Der g
mütliche Kommissär“ rührt von Courteline her,
dem Verfasser der köstlichen „Bouboroche“. Courteline
liebt es mit einem bösen Lächeln die Rückseite der Me¬
daille zu zeigen die mitten im Ernst verborgenen Lacher¬
lichkeiten und er hab es auf die kleinen Leute und kleinen
Existenzen abgesehen, auf die geringern Repräsentanten
der staatlichen Macht. Er treibt gern unversehen di
Menschen und Situationen ins Groteske, und weil er ein
tiefer Menschenkenner ist geht auch seine Satire so tie
Der aufgeblähte Despot der Amtsstube, der hilflo
bleibt allen Anforderungen, ein gewaltiger Herr in
seiner papiernen und Paragraphenwelt, so lang
der Büttel hinter
seinem Rücken steht und de
ohnmächtig zusammenknickt, wenn er von seinen Helfer:
abgeschnitten und auf sich selbst gestellt ist. Das sind Szenei
von großer Drolerie und voll boshaften Spottes. Ir
ersten und letzten Stück hatte Heir Stärk die Haupt
rollen inne. Als Rademacher bemühte er sich das Pato
logische in treuer Weise wiederzugeben, was ihm i
einer unheimlichen Weise auch gelang. Darunter litt jedoc
die Wirkung des psychologischen Akzents, der allzu
gedämpft wurde, litt die Betonung geistiger Ueber
legenheit, die Rademacher eigen ist. Man erwartete nac
all der tiefen Wandlung, die mit ihm vorgeht, ein
stärkere Verdeutlichung und Steigerung, aber die wurd
erstickt von den pathologischen Details. Man sah eine
Sterbenden, nicht einen Lebensphilosophen. Weni
erfaßt von seiner Rolle und mit zu geringen Mittel
Istellte Herr Minnich den Schauspieler dar. Hei¬
Pindo hatte als Weihgast viel, vielleicht allzuvie
Noblesse für den eitlen Kleingeist. Als Dieb in den
Stück von Mirbeau spielte Herr Kammauf mi
Ueberlegenheit und Liebenswürdigkeit. Als Bestohlene
sowohl wie als Kommissär in der letzten Piece wal
Herr Stärk, trotz einiger Uebertreibung, von köstliche
Drolligkeit. Die Herren Reißner, Stengel, Hold
und die Damen Kühnau und Duino sind als son¬
stige Mitwirkende an dieser literaschen Veranstaltung
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mit Anerkennung zu nennen. —
cenuneessee