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16.1. Lebendige Stunden zuklus box 21/5
Schwank irgendwo ein dauerndes Plätzchen im
Repertoire finden.
105
—V
Theater und Musik.
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J. K. Im Lessing=Theater gab es gestern
(Mittwoch) einen Schnitzler=Abend, über den in¬
dessen wenig Neues zu berichten ist. Die vier
Einakter, die unter dem Gesamttitel „Lebendige
Stunden“ an dieser Stätte zum ersten Male
zur Aufführung gelangten, sind bereits von früher
her bekannt und eingehend besprochen worden.
Drei der Werkchen gingen vor einigen Jahren
unter der gleichen Flagge im Deutschen Theater
in Szene; das erste Stück des Zyklus, das damals
völlig versagte, hat man jetzt durch die ebenfalls
schon hier dargestellte Kleinigkeit: „Der Puppen¬
spieler“ ersetzt, die einer „Marionette# betitelten
Einakter=Serie Schnitzlers entnommet ist. Wie
früher, ward auch gestern das Publi m erst bei
dem letzten Stückchen der „Lebendicen Stunden“
so recht lebendig und belachte von Herzen den
ingeworfenen Spaß: „Literatur“ der
ötzlich das München=Wiener Kaffeehaus¬
tentum und im wirksamen Gegensatz dazu
pus eines literaturfeindlichen österreichischen
kraten glossiert. Der leichtwiegende Scherz
hob sich besonders freundlich von dem schweren Ge¬
schütz der beiden vorhergegangenen Einakter ab. Die
wunderliche Geschichte von der Frau mit dem
Dolche“ interessierte das Publikum einiger¬
maßen durch ihre bizarre Mischung von psycholo¬
gischer Rätselspielerei und modernster Realistik, der
schwächliche Beifall am Schluß aber enssprang
wohl hauptsächlich der Freude darüber, daß die
Dame, die vor dem Bilde der Frau mit dem Dolche
einen so düsteren und umständlichen Traum durch¬
lebt, rechtzeitig wieder zum Bewußtsein kommt und
das romantische Abenteuer in der Gemäldegalerie
mit der realen Verheißung der ersten Szene eines
Bei dem Dramolett: „Die
Ehebruchs endet.
letzten Masken“ blieb selbst jener schwäch¬
liche Beifall aus. Die geistvoll konstruierte Idee,
daß der Haß eines Menschen, der sich in dessen
letzter Lebensstunde dem Gehaßten grausam offen¬
baren will, an der geistigen Minderwertigkeit des
Verachteten abprallt, versagte in der breiten,
quälend wirkenden Ausmalung der Skizze,
deren Tragik zudem allerlei nicht eben ge¬
schmackvolle Späße stören... Die kleine Studie:
„Der Puppenspieler“, in der Schnitzler
in seiner feinsinnigen Art zeigt, wie ein vermeini¬
licher Uebermensch mit anderen spielen zu können
glaubt und doch selbst nur eine Puppe ist, die an
den Drähten des Schicksals zappelt, leitete den
Abend jedenfalls glücklicher ein als seinerzeit
das verunglückte Drama, das dem ganzen Zyklus
den Titel gab; zu einer nachhaltigen Wirkung
aber fehlt ihr die dramatische Kraft.
Darstellerisch traten aus der im ganzen nicht
sonderlich unterhaltsamen Vorstellung die Herren
Bassermann, Reicher, Forest, Stieler und Irene
Triesch mit scharf charakteristerten, künstlerisch
abgerundeten Leistungen hervor. Zu einem län¬
geren Leben aber werden sie den „Lebendigen
Stunden“ auch diesmal nicht verhelfen können.
Vielleicht läßt sich für den kleinen Literatur¬