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Wien I. Wollzeile
Telephon R—23—0—
box 22/3
16.4. Literatur
GRaTIs
GSERVEN‘
diselle Nr. 3
Nenes Preschunder Tagblatt, Pressburg
2. APB. 1338
Talsfon B. 2 3.0-42
Seite 7
Neue Wreie Piesse, Wien
A bendblatt
ßburger Erlebnisse
*
3 FEB.1933
großer Künstler.
Ein Schnitzler=Abend im Theater
Aus meinen Erinnerungen.
in der Josefstadt.
XV. Burgtheatergäste.
Morgen beginnen im Theater in der Josefstadt unter Paul
Seitdem in Preßburg Theater gespielt[Bleibtreu, die das Publikum als große
und
Kalbecks Regie die Proben zu „Liebelei“
wird, war es immer Sitte, in der Karwoche Tragödin kennt, spielte die Rolle der Frau
„Literatur“ von Arthur Schnitzler. Als Christine tritt
Pastor Arvik, das ist eine resolute Nord¬
berühmte Schauspieler zu Gastspielvorstel¬
Paula Wessely zum erstenmal in dieser Spielzeit an der Josef¬
länderin, die mit ihren drei Töchtern kein
lungen einzuladen. So kam alljährlich
städter Bühne auf.
besonderes Glück hat, da zwei von ihnen
Bernhard Baumeister, der für das
aus ihrer unglücklichen Ehe nach Hause
Evangelische Bürgerspital seine Glanzrollen,
flüchten, und die nun auch die Frühlings¬
den Richter von Zalamea, den Götz, den
triebe ihres Gatten mitmachen muß, so daß
Bancbanus, den Kunz von der Rosen im
sie sich auf offener Bühne zu dem Ausrufe
„Landfrieden“ spielte, so Sonnenthal,
hinreißen läßt: „Die ganze Ehe ist ein
Kainz („Der große Galeotto“ von Eche¬
Drik“. Frau Bleibtreu hatte dies mit
garay), Hartmann usw. Seitdem aber
einer natürlichen Selbstverständlichkeit ins
nur deutsche Stagionen sind, müssen immer
Parkett hinausgeschrieen und damit einen
ganze Ensembles eingeladen werden, wenn
man die Größen des Burgtheaters hier ge=solchen Erfolg hervorgerufen, daß die Vor¬
stellung auf Minuten unterbrochen war.
nießen will.
War es der mit dem Begriffe Burgschau¬
Die erste dieser Ensemblegastspiel=Vor¬
spieler unvereinbar scheinende Naturalis¬
stellungen veranstattete ich am 12. Novem¬
mus, war es das befreiende Komödienwort:
ber 1921 als Nachtoarstellung; es wurde
Tatsache ist, daß sich die Menschen vor La¬
Molnars „Schwan“ in der Original¬
besetzung gegeben mit Auguste Wil=chen wanden und laut jubelten und applau¬
brandt=Baudius, Hedwig Bleib=dierten. Die Künstlerin war selbst von die¬
treu, Vilma Aknay, Georg Reimers, sem spontanen Erfolge ganz verdutzt; erst
nach einigen Minuten nahmen Stück und
Otto Treßler, Werner Schott, Ernst
Aufführung ihren Fortgang.
Arndt u. v. a. Die erste Schwierigkeit bei
„Die fünf Frankfurter“ wur¬
dieser Aufführung entstand dadurch, daß die
den im Redoutensaale aufgeführt. Niemand
Zensurbehörde gewisse Einwände gegen den
kann sich vorstellen, was es bedeutete, auf
höfischen Rahmen dieses Stückes erhob, der
diesem Podium eine Bühne einzurichten.
in d# epublikanische Zeit so gar nicht passe.
Der Vorhang schloß nicht, die Kulissen
Es geang mir jedoch, die Bedenken da¬
mußten mit besonders raffinierten Vorrich¬
durch zu zerstören, daß ich dem damaligen
tungen zum Stehen gebracht werden, die Be¬
Polizeidirektor Slaviëek den Beweis er¬
leuchtung mußte erst bühnenmäßig aus¬
brachte, daß das Stück auch in Prag an¬
gebaut, die Unakustik des Saales mit un¬
standslos gespielt wurde und daß die künst¬
endlichen Schwierigkeiten überwunden wer¬
lerische Tendenz des Werkes gerade gegen
den. Endlich war dies alles geschehen. Bei
die Hofluft gerichtet war.
dieser Vorstellung wirkten ungefähr 25
Für die Aufführung zeigte sich das größte
Burgtheaterkünstler mit, darunter die
Interesse, doch vergingen noch einige bange
Grandseigneure vornehmsten Stils, wie der
Momente, ehe der Vorhang sich heben
verstorbene Devrient, Karl Zeska u.
konnte. Eine der wichtigsten Szenen des
v. g. Die kannten Preßburg noch von der
Stückes ist die Hoftafel im 2. Akte, bei der
Zeit des „grünen Baumes“ her und
der Haushofmeister Cäsar (Ernst Arndt) das
begannen schon vor der Vorstellung, die wie¬
Servieren zu leiten hat. und wobei jeder
der nach goldiger, hiesiger Sitte erst nach
Schritt vorgeschrieben ist, jede Tasse, jede
9 Uhr beginnen konnte, Leckerbissen und
Speise nach einem genauen Plane auf¬
Spezialitäten herauszusuchen. So führten
getragen werden muß. Es galt daher, vom
sie dem Burgschauspieler Häusser¬
Carlton nicht nur die genaue Speisenfolge
mann die Spezialität des Hauses Wel¬
zu beschaffen, sondern auch die Kellner durch
lisch=Prüger „Makkaroni“ vor. Der kleine
klangwierige Proben für diese Szene vor¬
Häussermann schwelgte vor Entzücken. be¬
zubereiten. Herr Apfel, der volkstümliche
stellte sich eine zweite, eine dritte Portion,
Oberkellner des Carlton=Restaurants, mußte
vergaß ganz. daß er noch vor der Vor¬
sich dazu bequemen, mit seinem Hilfsper¬
stellung war, bei der er die wichtigste Rolle.
sonal die vorbereitenden Proben genau
den Amschel Rothschild, zu spielen hatte. Die
durchzumachen, was für dem Theater Fern¬
Makkaroni=Schüssel mußte ihm, im wahren
stehende keine gerade leichte Sache war.
Sinne des Wortes entrissen werden und
Endlich war dieses Hindernis überwunden.
seitdem gehört Häussermann zu jenen Burg¬
Doch bald nahten andere!
theatermitgliedern, die glücklich sind, wenn
Die tschechische Vorstellung dauerte bis
sie hier gastieren können; vor. während und
knapp ¾10 Uhr, in einer Vierterstunde mu߬
nach der Vorstellung genießt er die Jun¬
#ten die an die exaktesten Hifskräfte gewöhn¬
übertrefflichen Makkaroni“. Nach der Vor¬
ten Burgschauspieler mit Maske und Ko¬
stellung, gegen Mitternacht, saß die Corona
stüm fertig sein! Da meldete man mir plötz¬
wieder beisammen. Während sich aber die
lich, daß Frau Wilbrandt=Bau¬
jungen Darsteller langsam aus dem Staube
dius, die damals schon fast 80 Jahre alt
machten und ihre Zimmer aufsuchten, saß
war, verschiedener — sagen wir — Toilette¬
die alte Garde, Devrient, Zeska. Arndt und
gegenstände bedürfe, die im Theater nicht
mit ihnen die Wilbrandt=Bau¬
vorhanden seien; man könne der alten Dame
dius, seelenruhig und mit der echten Ge¬
nicht zumuten, halbangezogen ihre Gar¬
ruhigkeit der früheren Generationen lange