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16.4. Literatun
Ausschnitt aus: Orbeiler-Zeitung, Wier.
2. 1914
vom:
Burgtheater. Gestern wurden drei Stücke in den
Spielplan des Burgtheateis ausgenommen, die in Wien schon
des österen auf anderen Bühnen aufgeführt worden sind. Die
Rechtsertigung dieser Uebert ahme wäre einzig in einer Auf¬
führung gelegen, die erheblich die früheren Vorstellungen über¬
träse! Das ist nun weder bei Frank Wedetinds Szenen¬
folge „Der Kammersänger“ noch bei der zwei¬
altigen tragischen Posse Georges Courtelines
„Boubouroche“ der Fall. Beide Stücke wurden gut, aber
nicht eben hervorragend dasgestellt. Der „Kammersänger“ ver¬
truge wohl schon einige herzhafte Kürzungen. So trefflich das
Stück ist, das noch in die vorfnobbistische Zeit Wedekinds gehört,
so sehr leidet es doch an einigen langweiligen Längen, in
denen dasselbe immer wieder auf dieselbe Art gesagt wird. Ebenso
ertrüge der erste Akt von „Boubouroche“ einige Striche. Meister¬
haft war das Spiel in Arthur Schnitzlers geist= und witz¬
vollem einaktigen Lustspiel „Lireratür“. So fein kann
dieses Stück nur im Burgtheater gespielt werden. Herr
Treßler und Fräulein Marberg übertrafen einander
fortwährend in intimsten Schattierungen. Bei diesem Stücke war
auch die Zuhörerschaft am lebhaftesten dabei und sie quittierte
jeden Witz mit verständnisvollem Lachen. Das Haus war bis
auf den letzten Platz gefüllt.
Nenes Wiene Tagbiat, Wien
Husschnitt aus:
ILFER 1974
vom:
Theater, Kunst und Titeratur.
Burgtheater. Der gestrige Novitätenabend
brachte ein bis auf den letzten Platz besetztes Haus.
Zu dem ungemöhnlichen Vorgang, daß auf andern
Wiener Bühnen bereits gespielte und aus ihrem
Repertoire wieder verschwundene Stücke vom
Burgtheater als Neuheiten ausgenommen wurden,
kam die erstmalige Einführung Frank Wede¬
kinds auf der Hofbühne. Mit ihm kamen Georges
Courteline und Arthur Schnitzler zu
Worte, und es erinnerte einigermaßen an Pariser
Theaterbrauch, wenn nach dem Fallen des Vor¬
hanges auf den Beifall des Auditoriums der dienst¬
habende Regisseur — in diesem Falle Devrient
mit dem Namen des Autors antwortete, in
dessen Vertretung er dankte. Wedekind hat mit dem
„Kammersänger“ in der künstlerisch vollendeten
Darstellung, die ihm das Burgtheater bot, sich als
hieher gehörig erwiesen. Reimers spielte die
Titelrolle mit echt menschlicher Wärme, so alle
Schärfen dieser Gestalt mildernd, Frau Kallina die
Helene mit heißer Leidenschaftlichkeit und lohender
Glut. Ein Kabinettstück war der alte Musikus (Pro¬
fessor Dühring) des Herrn Straßni. In Cour¬
telines „Boubouroche“ gab Treßler eine
Charakterzeichnung von erschütternder Wahrhaftig¬
keit, ihm sekundierte die Adele der Frau Albach¬
Retty mit einer Schlagfertigkeit und Frische,
welche die Molièreschen Züge in diesem Dramolet
hell herausleuchten ließen. In Schnitzlers „Literatur“
stand in Treßler, Fräulein Marberg und
Herrn Heine ein unvergleichliches Trio auf den
Brettern. Der beschränkte und dabei feinfühlige
Clemens Treßlers, die lebensgierige, verrottete
Margarete des Fräuleins Marberg, der Bohemien
Gilbert in Heines Darstellung ließen auch nicht
das kleinste Glanzlicht in dem köstlichen Bilde ver¬
missen, das Schnitzler dem Leben nachgedichtet zu
haben scheint. Das Burgtheater ist da um ein neues
Gebiet reicher geworden.
(Ouchenangabe oiille Gewa,
Ausschnitt aus: Jastrieries Wiener Prfrabien
1108 1914
vom:
Theaterzeitung.
Burgtheater. Ein Novitätenabend war
nicht. Die drei Bühnenwerke, die gestern dem
Publikum vorgesetzt wurden, sind aus früheren
Aufführungen in anderen Theatern bekannt. Vom
der
Raimund=Theater und vom Theater in
Josefstadt kamen Wedekinds „Der Kammer¬
sänger" und Courtelines „Boubouroche“
vom Deutschen Volkstheater wurde Schnitzlers
„Literatur" bezogen. Die Tatsache, daß Frank
Wedekind seinen Einzug in das Burgtheater hielt,
gab dem Abend Bedeutung. Es hat lange gedauert,
bis man diesem Dichter die Tore des Hofschauspiel¬
hauses aufgelan hat. Der provisorische Leiter besaß
die Courage, die früheren definitiven Direktoren fehlte.
Im Hochsommer vor vierzehn Jahren mußte eine
Berliner Sezessionsbühne dem Wiener Publikum die
Bekanntschaft mit dem „Kammersänger" vermitteln;
mit dieser Komödie, eigentlich mit einer Studie,
in der Wedekind den Hammer erhebt, um Theater¬
götzenbilder zu zerschlagen. Grimmig lustig, grausam
ironisch wird das Verhältnis des Stars zur Kunst,
zur Menschlichkeit, behandelt. Der Dichter hält öffent¬
liche Abrechnung mit iene haner M
götterten Künstlern, die nur von der Sorge für ihre
Theaterkontrakte erfüllt sind; die über Leichen hinweg¬
schreiten. Reimers war gestern der Träger der
Titelrolle, die vor ihm in Jarno einen gläuzenden
Vertreter gefunden hat. Reimers gab dem vom
Tapezierergehilfen zum Kammersänger emporgestiegenen
Manne die entsprechende Haltung und die pathetischen
Töne; der Philister, der in diesem Komödiauten steckt,
trat nicht voll in die Erscheinung. Eine rührende
Gestalt schuf Straßni als alter, um Anerkennung
ringender Komponist. Frau Kallina trug in die
Episode des lielestollen Weibes ihre schöne Persönlich¬
keit hinein. — Dann erhielt Courteline das Wort:
Boubonroche“ ging in Szeue, die tragische Posse, in
der einst Balajthy, nach ihm Maran eine köstliche
Figur auf die Bübne stellten. Einen ahnungslosen,
gutmütigen Menschen, den eine Dirne betrügt und der
verzeiht. Treßler, in einer famosen Maske, holte
aus der Rolle alle Lustigkeit heraus und
e
Uebergänge von
fand auch
Tragik des betörten Mannes zur Lächerlichkeit
notwendigen Akzente. Die
des Liebhabers die
greuzenlose Güte des Patrons blieb im Dunkeln.
Rosa Retty glitt als reizende Schlange durch das
Stück. — Am Schlusse des Abends stand „Literatur“
von Schnitzler. Von Lilli Marberg, Treßler
und Heine brillant gespielt. übte die geistvolle
Komödie die stärkste Wirkung. In dem Turnier mit
Deutschland und Frankreich blieben Wiens Farben
siegreich, Vielleicht auch deshalb, weil das richtige
Tempo eingehalten wurde. Nach jedem Fallen des
Vorhanges konnte der Regisseur Devrient Dank
für den gespendeten Beifall sagen.