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16.4. Literatur
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Wien, Sonntag
Seite 12
Zweites Bild: Bei Adele. Ein fescher junger Mann sitzt be¬
haglich auf dem Diwan und summt Boubouroches Lieblinds¬
lied: „Im Frieden nur schwingt meine Hand den Hammer...
Der junge Mann ist hier sichtlich daheim. Er spricht mit Adele
höhnisch von Herrn Boubouroche, der diese Wohnung bezahlt.
Es klingelt. Gemütlich betritt der junge Mann einen großen
Reiderschrank, geräumig, mit elektrischem Lichte versehen, eine
bequeme Bank, Erfrischungen, Lektüre bergend= sozusagen ein
mnöbliertes Zimmer in einem Zimmermöbel. Hier kann der
junge Mann ganz gemütlich ein paar Stunden zubringen, wäh¬
rend draußen Boubouroche mit Adelen kost. Wenn es nicht
Boubouroche war, der klingelte, wenn nur jemand an der Tür
fragte oder dergleichen, so kommt Adele ins Zimmer zurück,
klopft an den Schrank und der junge Mann steigt gelassen wie¬
der aus seinem Kasten heraus. Eben läutete es zweimal auf
belanglose Art. Doch nun, beim dritten Male, Sturmgeläute!
Das ist Boubouroche. Wutschnaubend stürzt er herein. Unter dem
Tisch, unter dem Diwan sucht er, hat er doch von der Straße
aus zwei Schatten am Vorhange gesehen! Adele heuchelt Ver¬
letztsein über seinen Argwohn, ja, sie wird böse mit ihm, bis er
kirre wird und zugibt, er könne sich geirrt haben, bis er sie nach¬
gerade um Verzeihung bittet wegen seines schmählichen, un¬
begründeten Verdachtes —— da löscht unversehens die Lampe
aus, das Zimmer liegt stockfinster, nur aus dem Schrank dringt
durch das Schlüsselloch verräterisches Licht. Boubouroche reißt
den Schrank auf und ohne Erregung steigt der junge Mann her¬
vor. Boubouroche rast und kann sich nur mühsam verlockender
Handgreiflichkeiten enthalten. Kaum aber ist der junge Mann
draußen, beginnt Adele, rasch gesaßt, eine neue Komödie. Gut,
der Schein spreche gegen sie. In Wahrheit aber liege hier ein
düsteres Familiengeheimnis vor. Wenn Boubouroche es von
ihr fordere, so werde sie es enthüllen. — Nein, Boubouroche ist
ein Gentleman. Er glaubt ihr. Er bittet sie wieder um Ver¬
zeihung und ist unglücklich, da sie von getäuschtem Vertrauen und
Abschiednehmenmüssen spricht. So verzeiht sie ihm denn endlich
und macht ihn so glücklich, daß er sich, um noch eine kleine Rache
an einem benachbarten Vemeumder abzutragen, den verräte¬
#rischen alien Nachbar im Schlafkostüm herüberholt, um ihm
einen Fußtritt versetzen zu können.
Dies ist die Geschichte von der Arglist der Weiber und der
Dummheit der Männer. Sie ist tölpelhaft und eigentlich sogar
für ein besseres Kino zu schlecht. Vielleicht auch riskiert es das
Apollotheater, diese Posse, rubriziert unter der neuen Kunst¬
marke „Steich mit dem ehemaligen Burgtheaterschauspieler
Korff in der Titelrolle aufzuführen. Der Lichtstrahl durch das
Schlüsselloch würde dort außerordentlich wirken und es gäbe
13 Lachsalven in der Stunde.
— Allein sehenswert ist, wie Herr Treßler den Boubouroche
spielt. Das ist kein schlechthin dummer, leichigläubiger Mann.
Das ist ein tragischer Dulder der Dummheit. Wahrhaftig, mit¬
len aus albernen Spässen läßt dieser Künstler etwas wie ein
tragisches Motiv aufblitzen. Auf eigene Art gut ist Herr Gimnig
als alter Herr und Frau Albach=Retty als Adele bringt siegreich
die nötige Unverschämtheit auf.
Und, damit wir die Ereignisse dieses Abends zu Ende er¬
zuhlen: Eine geschiedene Frau hat sich in den Münchner Künft¬
terspelunken herumgetrieben und aurüchige Abenteuer gehabt.
Die erotischen Gedichte, mit denen sie diese Abenteuer verherr¬
licht, gehören sicher ebensowenig in die Literatur, als das Lust¬
spiel, welches Artur Schnitzler aus diesem Stoffe ge¬
macht hat und welches „Literatur“ heißt, in die Literatur
gehört. Ein junger Aristokrat, Klemens, hat Margarete einmal
#in solch einer Spelunke gesehen, hat sich von ihrer Schönheit be¬
aubern lassen und hat sie zu seiner Geliebten gemacht. Nun
hat er sie zu sich nach Wien genommen und will sie gar hei¬
##aten. Zwan ist sie dumm und sogar ein wenig ordinär. Doch das
wäre das Geringste. Aerger ist, daß sie auf ihre Literatur stolz
# und ihren Bräutigam, der von Rennpferden viel, von Ge¬
dichten recht wenig versteht, verachtet. Da waren ihre Münchner
Freunde andere Kerle! Maler, Dichter... Heute eben, ein paar
Tage vor der Hochzeit, macht sie ihrem Bräutigam die höchst un¬
liebsame Eröffnung, daß sie das Dichten eigentlich noch immer
nicht aufgegeben habe. Vielmehr soll gerade in diesen Tagen
ein Roman „aus ihrer Feder“ erscheinen. Der Bräutigam ist
enisetzt. Welch ein Skandal! (Nebenbei: Ein ganz sympathischer
junger Mensch. Er haßt die Literaturweiber, Zndem er fort¬
stürmt, um womöglich die Ausgabe des Romanes noch zu ver¬
hindern, gibt er einem alten Münchner Bekannten seiner Braut,
dem Dichten Gilbert, Gelegenheit, auszutauchen. Gilbert ist auf
der Durchreise ir. Wien und möchte nur so beiläufig Erinne¬
rungen an eine Münchner Dachkammer und an Liebesnächte
auffrischen. Vielleicht auch möchte er wieder mit Margareten
anbandeln. Nein, das geht nicht. Sie will nichts mehr von ihm
wissen. Sie ist zwar eine durchaus unverstandene Frau, denn
weder ihr erster Gatte, ein Baumwollwarenfabeikant, noch ihr
angehender zweiter Gatte vermögen ihrem komplizierten Seelen¬
leben zu folgen. Aber sie hat nun ihre n Gefühlen in jenem
n Abschied seinen
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