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16.4. Literatur box 22/3
dichterische Gestaltung. Der eine sucht nach der Definittan“
der Kunst und strengt eine erfolgreiche Scheidungsklage
gegen die Mißehe von Kunst und Dilettantismus an, dabei
die ibsensche Trapödie des Bildhauers Arnold Rubeck,
dem die Liebe des Weibes nur eine segensreiche Episode
in der Aufwärtsentwicklung seiner Künstlerschaft war,
zum harmlosen, lachenden Lustspielscherz abwandelnd.
Mit dem anderen lugen wir hinaus und zurück in die hei¬
tere, sonnige Welt, in der ein Goethe seine neckischen
Schäferspiele und Verslustspiele schrieb. Schnitzler ist kein
lauter Bekenner, kein Forderer der markigen Tat; er
songliert und verzichtet auf eine einseitige Belastung der
Charakterführung im guten, wie im schlechten Sinne.
„Nur nix übertreiben“ spricht Wien nach Hermann Bahr.
Die Menschen werden in dem, was sie sein möchten, vom
Dichter immer wieder in Anführungsstriche gesetzt. Da¬
durch bekommen sie etwas Müdes und Unentschlossenes,
aus dem kein festes Ziel erkennbar wird. Jordans Vers¬
lustspiel ist in der Schürzung des Knotens reichlich kom¬
pliziert und verklausuliert, woran das etwas seltsame
Ausschnitt
Testament des toten Onkels schuld ist, das das lustige
Quartett des Gutsbesitzers Heinrich, des Advokaten Ro¬
Fhemer Tagblatt
vom:
bert und des lieblichen Schwesternpaares Klara und Ma¬
thilde vom fröhlichen Maskenball durch „wunderbare
Fügung“ in den „goldenen Pfau“ zitiert, allwo nach
Ueberwindung drolliger Schwierigkeiten die gewünschten
Schauspielhaus am Ostertor.
Ehebündnisse zustandekommen, nachdem auf dem Balle
hinter der Maske der erste Anflug der Liebe durch den
Schnitzler: „Lteratur“; Wilh. Jordan: „Durchs Ohr“.
Klang der Stimme des lieblichen Mädchens in Heinrichs
Das gestrige Programm kündigte einen Kammer¬
bezaubertem Herzen Platz gegriffen hat. Zum Reiz der
pielabend seiner Lustspielkunst an. Darunter standen
schönen Stimme und Gestalt kommt erst am Schluß und
zwei Namen von gutem Klang, Arthur Schnitzler, der
das mit bewußter Absicht des Dichters der Reiz des schö¬
nen Gesichts. —
Wiener, der unvergessene Dichter der Liebelei" und Wil¬
helm Jordan, der Ostpreuße, der kraftvolle Neuschöpfer
Die Verantwortung für die szenisch wie darstellerisch
der Nibelungensage, der späte Nachfahre aus ehedem nor¬
vorzüglich gelungene Aufführung hatte Tom Farecht:
dischem Geschlecht. Jener mit seiner geistreichen drama¬
so gab es auch in diesem Betracht einen Kammerspielabend
tischen Skizze „Literatur“, dem vierten Teil der Einakter¬
feiner L#stspielkunst. In den Einakter teilten sich Friedl
reihe „Lebendige Stunden“ dieser mit seinem launigen
Münzer (Margarete), Heinz Burkart (Clemens)
preiaktigen Verslustspiel „Durchs Ohr" Lustspiele beide,
und Rob. Vogel (Gilbert) unter Wahrung vornehm
um mehr als dreißig Jahre in ihrer Entstehungszeit von
realistischer Sprechweise. Für den „Lebemann“ Clemens
einander getrennt, in ihren Figuren um den Abstand von
hätte Herr Burkart mehr äußere Eleganz und einen et¬
Generationen voneinander entfernt. Man würde ja nie
was schneidiger geführten Ton aufwenden dürfen. Im
auf den Gedanken kommen, Schnitzler mit Jordan ver¬
zweiten Lustspiel, dem eine sein abgestimmte kostümliche
gleichen zu wollen, aber da sie nun einmal vorübergehend
wie szenische Harmonie das äußere Gepräge verlieh, er¬
auf der Bühne hintereinander hermarschieren, rückt die¬
freute besonders die natürliche Wirkung der Verssprache.
ser Vergleich für die Dauer dieses gemeinsamen Spazier¬
Von Robert Vogels Darstellung des Heinrich ging ein
ganges sozusagen unter die Bedürfnisse des Tages. Aus
starker lyrischer Reiz aus; der Wohlklang einer volltönen¬
Schnitzlers Einakter spricht der an Ibsen herangebildete
den Stimme kam Kläre Grünberg=Plessow in
Künder der „neuen Psychologie", um Hermann Bahrs
ihrer Rolle als Klara besonders gut zu statten. Ihre
Lieblingsausbruck zu gebrauchen, aus Jordans Liebes¬
Schwester Mathilde war Friedl Münzer, die damit zum
tpiel die Lust am ästhetischen Vergnügen, das blanke Verse
zweiten Male bewies, daß sie auch größeren Aufgaben
und reine Herzenslyrik in jedem poesieempfänglichen Ge¬
durchaus gewachsen ist. Den vermittelnden Advokaten
müte hervorrufen. Beim einen geht's um die Liebe als] Robert spielte Herr Burkart mit ebenfalls gutem
Problem, beim anderen um die Liebe als Inhalt für die Gelingen.
Dr. E-K.