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16.3. Die letzten Masken
Zusammenhanges zwischen den handelnden Personen,
aufrückt, leicht entgehen kann. „Verlange die
so sind unter diesen wieder einige, die sich lebhaft
Gürtelschließe, die Dir gestern so gut gefallen hat“,
an unsere Theilnahme wenden; so der Journalist
so rannt die Mutter der Tochter in's Ohr, deren
Dr. Enk, und ein sinniges Mädchen, Johanna, dem
Launenhaftigkeit den reichen Gatten wieder einmal
die Liebe angeflogen kommi, obwohl der Mann
zum Opfern mürbe gemacht, — das allein wirst
ihrer Liebe — Claires Gatte Nummer Eins —
schon alles erforderliche Licht auf die haudelnden
nichts davon weiß. Das Heine'sche „daß ich Dich
Personen. Man riecht förmlich die Sumpf¬
liebe, was geht es Dich an“ geht in dieser kleinen
luft, in die man da gerathen ist.
Träumerin leithaftig über die Bühne.
Das Verlangen nach sinnlichen Genüssen hat die
Grau Franck=Witt war die Claire, wie sie sein
arme Musikersirau Claire Schott und den reichen
mußte. Ein schönes Weib, nach niederem Genusse
Flachkopf Larsen, zusammengeführt und das Ver¬
begehrend, und selber von seichten Genüßlingen
langen nach einer guten Altersversorgung hat
begehrt. Herr Bozenhard als Dr. Enk formte
Claire's Mutter diesem sauberen Bünrnisse allen
aus einem Lehm.lotz wieder einmal einen echten
Vorschub leisten lassen. Im Beginn des Stückes
Menschen. Es ist etwas von der fliegenden Manier!
sind Larsen und Claire von ihrer einjährigen Hochzeus¬
der großen modernen Bildhauer in der Art dieses
reise eben zurückgekehrt. Das witlose Faulihierieben
Künstlers, mit einigen wenigen Fingergriffen, einem
an der Seite ihres zweiten Gatten während dieses
Drucke hier, einer auswischenden Bewegung dort
Jahres, zusammen mit dem Berliner Pflaster weckt
Charakteristica in sonst episodische Gestalten hinein
in Clatre's Brust die Sehnsucht nach einem Erwas
zu tragen, die badurch in den Mittelpunkt des Inte¬
— was sie für die noch unerstorbene Liebe zu ihrem
resses rücken. Die still liebende, sinnige Johanna
ersten Manne hält, wahrend es in Wahrheit nur die
war in den Händen des Fräulein Bré an der
Sehnsucht der Zigennerin nach dem alten Sumpfleben
rechten Stelle. Als sie zum Schlusse des letzten
ist. Sie eigseift die erstbeste Gelegenheit, in diesen
Actes, mit der Lampe in der Hand, die dunkle
Sumpf wenigstens besuchsweise wieder unterzu¬
Stube des zum zweiten Male und unn endgültig
tauchen, wabei Gatte Nummer Zwei sie in der
von seiner Frau geschiedenen, und von ihr in der
von dem Gatten Nummer Eins bewohnten Man¬
Stille geliebten Musikers Schott betrat, sah mon
sarde überrascht. Gatte Nummer Zwei hat
mit ihr ein Stück Zukunft die Scene
indeß die Philosophie des Geldbeutels. Er jaßt die
Situation ohne alle Tragik auf. Er kennt seine betreten, die man dem ungeschlachten und durchaus.
unsympatischen — von Herrn Farecht gespielten —
Frau besser als sein Vorgänger in der Ehe mit
Menschen eigentlich gar nicht gönnie. Menschlich
Claire, der sie zu dauernbem Verbleiben und reuig:
näher als dieser erste, stand uns Herr Hallenstein
in seine Arme zurückgekehrt vermeint. Ga#e
als zweiler Gatte Claire's; er war überzeugend als
Nu# per Zwei erklärt ohne alle Erregung, daß er
Ausdruck jener Philosophie, deren Sitz der Magen
langsam vorausgehen wolle. Wenn er an der
und deren Beweis der Geldfack ist. Frau Bozen¬
unternen Treppenstuse angelangt ist, ernartet er.
harv=Hücker, zu deren Vortheil das neue Stück
daß seine Frau bei ihm. sein werde. Ist sie e#
übethaudt in Scens genz, hatte mit der Rolle der
niat, so hat sie in seinem Hause überhaupt nidts¬
resoimen Mitarbeiterin und nachherigen Frau des
mehr zu suchen, Und in der That kann
Journglisten Dr. Enck eine Rufgabe Abernommen,
Larsen unmöglich bereits an der bezeichneten
die selbst in den paar Auftruten, die sie auf der
untersten Treppenstuse angelangt sein und schon ist
Scene erscheint, immer im Scha#et verbleibt, so
sein Frauchen hinter ihm her. Es wäre zum
daß alles Lob dus ihr gespendet werden kann, ülleu¬
Lachen lnstig, wenn man mit gutem Gewissen sich
alls in den Worten zusammenzun Fen ist, daß sie
sagen könnte, daß derlei nur auf dem Theater
vorkommt. Aber es giebt Einem einen Stich über
sich von allen Versuchen fern gehalten hat, mehr
dem Erkennen, wie gerade in diesem Schluß das
aus ihrer Rolle zu machen als dieser zukam.
wirkliche Leben am eindringlichsten abgeschildert in
In einem, überflüssiger Weise neu aufgechärmten,
in dem ganzen Stücke. Wenn es nicht manchmal
älteren Einacter „Die Versucherin“ erschien neben
Frau Bozenhard=Hücker, die hier mit Nm ganzen
Doppelselbstmorde aus Liebe gäbe, man könnte
Einsatz ihrer angtnehmen Persönlichkeit eine die
Wirklich zweifeln, daß es in unserer Zeit überhaupt
Männer naseführende Wittwe spielle, Fräulein
noch Liebe giebt. Aber freilich, aus Liebesnoth
sterben, ist noch kein Beweis, mit Liebesnoth im
Tetzlaff in der Rtohs einer Neuvermählten.
und
Herzen und — im Magen leben, das ist schon mehr.
Fräulein Tetzlass ist so wenig beschäftigt, daß, so
9—1.
„Der fremde Herr“ ist mehr Studie als Stück
oft sie auftritt, man eigenklich immer aufs Neue
und die Erklärung dieser Frau zweier Männer, die
wieder neugierig gemucht ist, zu erfebren, ob sie
Wohlbrück.
7
hier nicht nur als Gast erscheint — und in
im Grunde doch keines Mannes Weib ist, war
die Aufgabe dieses Stückes, die die Verfasserin
Wirklichkeit ganz wo anders engagirt ist. Daß
Moser.,
trotz dieser Nichtbeschäftigung Fräulein Tetzlaff
uuch gelöst hat. Da ist nichts an dieser
Claire, was unverständlich wäre. Die Gemeinheit
noch immer eine große Ungezwungenheit in Rede
100
und Bewegung auf der Bühne besitzt, ist jedenfalls
uns schleierlos entgegen. Der Auf¬
tritt
alles Mögliche. Denn das Sprichwort „rast ich,
gabe schwierigeren Theil zu lösen, die Fäden
von der wurm¬
mit und ineinander solchermaßen zu verknüpfen,
so rost ich“ gilt nirgend so sehr, wie auf der
fert von einer
Bühne.
daß alles, was geschieht, mit Nothwendigkeit ge¬
Die Evanalur
schehen muß, ist der Verfasserin weniger gelungen,
wenig Verrath,
Wir könnten uns ganz gut fast alle anderen
araus läßt sich
Zum Schlusse ein Wort in eigener Sache. Im
handelnden Personen aus dem Stücke hinweg
weibliche Hand
Gegensatz zu Gustav Freytag, der in dem Jour¬
denken, ohne daß darum die Allgemeinverständlich¬
ie dem männ¬
ualisten den geistigen Adelsmenschen ehrt, gefallen
auenschilderung keit Claires den geringsten Abbruch erlitte. Fehlt
d uie zur Parteijes also an der Herstellung eines inuigen, inneren sich neuere Autoren darin, dort, wo sie Journalisten
in ihren Stücken auftreten lassen, diese mit allen
Aitributen der Schäbigkeit auszustatten. In Ham¬
burg haben wir das neuerdings im Verlaufe von
nur wenigen Tagen gleich zweimal erfahren. In
dem im Thalia=Theater auf geführten Wohlbrück'schen
Stücke lehen wir den Journalisten Dr. Enck seine
Geliebte zum Altare führen, erst, nachdem sie ihn
schon des öfteren zum glücklichen Vater gemacht hat.
und im Schausvielhause — in dem Schnitzler'schen
Ernarter „Lrgte Masken“ — machen wir die
Bekanntschaft eines anderen Journalinen, der mit
der Frau eines befreundeten Collegen die Ehe ge¬
brochen hat. Wenn wit Journalisten auch schon
darauf verzichten müssen, mit unseren amerikanischen
Collegen „commandirenden Generalen“ gleich ge¬
schäßt zu werden, so ist es doch überflussig, daß aus
unstrer eigenen Mitte heraus sittriche Verlumptheit“
als eine Art Merkzeichen des modernen Journa¬
listen proclamirt wird. Bei der Neigung unserer 1
Zeit, Alles zu exemplificiren, und im Zusammen¬
hange mit der bekannten Vorliebe, den Journa¬
listen zum verantwortlichen Sündenbock für alles
zu machen, was den „geehrten Leser“ ärgert, kann
derlei doch unmöglich dazu beitragen, die gesell¬
schaftliche Position des Journalisten zu heben.
H. E. W.