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chn und Prosa der drei Poeten spricht, wohnt der zweitet
neben der Freude, blickt hinter der Maske des das Leben
bejahenden Optimisten, der mit sich selbst zerfallende, mit sich
selbst unzufriedene Nörgler, hervor. Ein Wiener Poet muß ein
pessimistischer Optimist sein. Das war Schnitzler in hohem Grade
und das war auch Hofmannsthal, dessen dramatische Parabel
„Der Tor und der Tod“ so recht geeignet für den ersten
November, den Tag der Toten, ist. Es war im alten Wien
Sitte, an diesem Tage im Theater sich an den Tod erinnern zu
lassen. Man gab das schaurig=gruselige Raupach=Stück „Der
Müller und sein Kind“, das heuer merkwürdigerweise aus
seinem schon fast vergessenen Grabe an manchem Theater wieder
aufersteht; man gab Grillparzers „Ahnfrau“. Aber die schönste
Totenfeier auf der Bühne gibt uns Hofmannsthal. Bei ihm ist
der Ted kein Gerippe, sondern ein dionysischer Jängling, gütig
und weise, der den Lebensvergeuder darüber aufklärt, wie das
Leben genossen werden muß: Der Tod als Lehrmeister des
Lebens. Der Tod als Künder der tiefsten Lebensweisheit. Und
diese Weisheit begleitet das Singen seiner Geige. Es ist keine
schrille Tanzmelodie, wie der Tod auf deutschen Totentänzen sie
geigt, es ist eine süße, in ihrer Traurigkeit bezwingende Melodie,
die Hofmannsthals Totentanz=Poem umrahmt. Dem Zauber
Hofmannsthalscher Gedankenlyrik wurde Walter Firner als
Tod in hohem Maß gerecht. Sein Organ hat die Fülle und
Weichheit, die in Hofmannsthalschen Versen liegt. Seinem
Gegenspieler, dem jungen Edelmann Claudio, fehlte einiger¬
maßen der Schwung, mit dem die Rolle gespielt werden muß.
Denn Claudio ist ein Lebensverschwender aus Temperament.
Der Schwung hätte sich vielleicht eingestellt, wenn das Stückchen
mit mehr Tempo gespielt worden wäre. Es wurde aber allzusehr
gedehnt und zerdehnt, allzu deutlich ins Bühnenlicht gestellt,
ohne die gespenstische Stimmung, die nun einmal zu dieser
dramatischen Todeselegie gehört.
Schnitzler ist sein Leben lang vom Gedanken an den Tod¬
nicht losgekommen. Das Weib, der Tod und das Theater haben
ihn unaufhörlich beschäftigt. Und sein ganzes Werk sind
Variationen über diese drei Themen, die sich verschlingen, sich
kreuzen und dem philosophischen Betrachter immer nue Aus¬
blicke in ihre Beziehungen gewähren. Wenn ich ein Bildhauer
wäre und Schnitzler ein Denkmal setzen müßte, so würde ich den
Tod über die Schulter einer schönen Frau blicken lassen. Und der
Tod ist es auch, der dem Leben die letzten Masken vom Gesicht reißt
oder mindestens, wie im Schauspiel „Die letzten Masken“.
vom Gesicht reißen möchte. Denn der sterbende Rademacher hat
nur die Absicht, vor seinem Tod seinem Freund und Neben¬
buhler Weihgast die Maske vom Gesicht zu reißen und ihm
endlich, endlich brutal die Wahrheit zu sagen. Er tut es nicht
und das ist gut so. Denn wenn er es täte, wäre es eine schlechte
Tat, die uns erbittern müßte. Der Tod, der sich dem Sterbebelt
Rademachers nähert, löscht die Brandfackel des Zornes aus,
denn schon seine Nähe ist Güte und Weisheit. Es ist, als ob der
Tod aus Hofmannsthals Poem hinter der Tür des Zimmers im
Allgemeinen Krankenhaus stünde, in dem sich Schnitzlers Drama
abspielt. Dr. Hock als Regisseur hatte das Stück auf wirkungsvolle
Schlichtheit und Natürlichkeit gestellt und brachte eine ausgezeichnete
Aufführung zustande. Manfred Inger war ein interessanter
Rademacher, dem man den Fanatismus des Hasses ebenso glaubt
wie die Ueberlegenheit, die ihm die letzte Stunde verlieh. Hans
Frank bot als arrlvierter Schriftsteller eine sehr feine Charakter¬
studie, Theodor Danegger war ein brillanter Jackworth, der
sich mit seinen Schauspielerkopien einen Separaterfolg holte.
Friedell war ein gemütsvoller Assistenzarzt und auch Frau
Irene Seidner verdient in der kleinen Rolle der Kranken¬
wärterin alles Lob.
Den Beschluß des Abends machte das Gerichtsstück „In
Ewigkeit Amen“ von Anion Wildgans. Es ist kein Stück vom
Tode, wie die beiden anderen, aber ein Stück von menschlicher
Güte, die auch im kahlen Zimmer des Untersuchungsrichters das
schwere Los eines rückfälligen Sträflings verklärt. In diesem
Stück lernten wir zum erstenmal Direktor Barnay als
Schauspieler kennen. Er gab die eigentümliche Figur des
Richters, diese Mischung von Sadismus und Güte, von mensch¬
lichem Verstehen und bureaukratischer Härte mit eindringlicher
Charakteristik, mit einer Fülle lebensechter Nuancen. Sein
Gegenüber war Ludwig Stössel als der beschuldigte Gschmeidler,
und man weiß, wie Stössel solche zertepschte, vom Leben nieder¬
getrampelte Existenzen zu charakterisieren weiß. In den
anderen Rollen sehr gut Inger als Schriftführer, Lotte Lang
als Zeugin, Pohlmann als Kellner.
Am Tage der Toten gibt es gewiß kein schöneres Gedenk¬
wort als die Mahnung, daß die Güte über alles siegt. Das
könnte das Motto aller drei Stücke sein. In Ewigkeit Amen.