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Theater, Kunst und Literatur.
Ein literarischer Scandal.
Einer unserer Mitarbeiter hatte heute Vormittags
Gelegenheit, mit Director Schlenther über die Er¬
klärung der jüdischen Kritikerclique anläßlich der Ablehnung
Für 50 des Arthur Schnitzlerschen Machwerkes „Der
100
200 Schleier der Beatrice“ Rücksprache zu pflegen und den
500 Standpunkt des Directors in der Angelegenheit kennen zu
„ 1000 lernen.
Im
Herr Dr. Schlenther wies darauf hin, daß nunmehr das
Abonneme von den Mitgliedern des jüdischen Literaturringes die Auf=ien
Abonnente
fassung verbreitet werde, das Verhalten des Burgtheater¬
Dei directors dem Schnitzlerschen Stück gegenüber sei eigentlich jie
Inhaltsar nichts als das caché eines höheren Befehles. Die in dem n¬
blütte Stück niedergelegten socialen, religiösen oder sittlichen
wodurch
n
Tendenzen hätten nicht den Beifall der obersten Hoftheater= sn
des In¬
werden in behörde gefunden, und so habe denn diese ihres Amtes als
Censurbehörde gewaltet und Herr Director Schlenther habe
„von oben“ einen Wink bekommen, daß die Aufführung des
Stückes an hoher Stelle nicht gewünscht werde und er
daher von einer solchen abzusehen habe.
Wie Dr. Schlenther unseren Mitarbeiter versicherte, ist
an diesen Aeußerungen kein wahres Wort. Der
Director des Burgtheaters sah sich ausschließlich
aus literarischen, künstlerischen und
dramaturgischen Gründen verpflichtet, das
Schnitzlersche Stück nicht zur Aufführung zu bringen, und
iser übernimmt die Verantwortung für die verdiente
Ablehnung ganz allein auf sich; ein Einfluß „von
oben“ ist schon aus dem einfachen Grund ganz und gar
ausgeschlossen, weil dort das Schnitzlersche „Werl“, welches
nur in der eingereichten Handschrift vorhanden ist,
gänzlich unbekannt ist.
Das Mitspielen eines äußeren Motivs
in den literarischen Scandal, welchen die jüdische Keitikerclique
heraufbeschworen hat, bestreitet Director Schlen¬
ther auf das entschiedenste, und er ersuchte
unseren Mitarbeiter ausdrücklich, von dieser seiner persön¬
lichen Stellung in der neuesten „Affaire“ in dem Fall
Gebrauch zu machen, als ein solches von dem Kritikerring
in der Oeffentlichkeit behauptet wird. Schnitzlers „Schleier
der Beatrice“ mußte aus künstlerischen Gründen
zurückgewiesen werden, das klang aus jedem Wort Doctor
Schlenthers deutlich heraus; alle anderen Versionen, welche
in der Judenpresse verbreitet werden und noch verbreitet
Ewerden dürften sind eitel Rüge
London, 14. Septciuber. Dord Mober?
berichtet weiters aus Machadodorp vom Gestrigen:
General Hart nahm am 11. d. Polchefstroom
wieder ein, nachdem er die Buren durch einen
Handstreich überrumpelt hatte. General
Botha ist durch Krankheit gezwungen, das Kom¬
mando an Viljoen abzugeben.
Die Finanzkrise in Brasilien.
London, 14. September. Die „Times“
melden aus Rio de Janeiro vom Gestrigen:
Die Lage des hiesigen Geldmarktes ist unverändert.
[Die Banco Rural Hypothecaria
sund zwei andere nationale Banken
lverlangen ebenfalls einen Zah¬
lungsaufschub von sechzig Tagen,
swie die Banco da Republica.
Der neue englische Botschafter in Wien.
London, 14. September. Wie das „Amts¬
[blatt“ meldet wurde Sir Francis Plunkett
zum Botschafter am Wiener Hofe
ernannt.
Theater, Kunst und Literatur.
Snlie. Selenhe die ie age
Eine der häusigen Differenzen zwischen Theaterdirektor
und dramatischem Autor hat durch den Rang der Bühne,
um dessen Direktor, durch die Bedeutung des Autors, um
dessen Stück es sich handelt, und durch die nicht sehr glückliche
und nicht sehr korrekte Einmischung einiger publizistischer
Sachwalter des gekränkten Dramatikers mehr Lärm in
der Wiener Theaterwelt aufgejagt, als der sachlichen
Prüfung und Beurtheilung der Angelegenheit zuträglich
sist. Arthur Schnitzler, der mit seinem Schau¬
piel „Liebelei“, dem Burgtheater=Repertoire pul¬
sirendstes Wiener Blut zugeführt hat, dessen „Grüner
[Kakadu“ einen Nachhall des Bastillensturmes auf die
Hofbühne brachte und der mit solchen Erfolgen ein bleibendes
Aufführungsrecht im Burgtheater erworben zu haben glauben
machte, ist wegen seines neuesten Stückes „Der Schleierder
[Beatrice“ mit Direktor Schlenther in Konflikt gerathen.
Der Kernpunkt des Streites besteht derin, daß Schnitzler
behauptet und aus brieflichen Aeußerungen des Direktors
den Beweis deduzirt, sein Stück sei in aller Form an¬
genommen und ihm trotzdem vier Monate später zurück¬
gegeben worden, während Direktor Schlenther auf das
Entschiedenste die Auffassung von sich weist, daß die Mit¬
theilungen, welche er an den Dichter habe gelangen lassen,
jemals eine definitive Annahme in sich geschlossen hätten,
sondern im Gegentheil seien die Bedenken des Direktors
gegen das Stück in einer Reihe von Abänderungsvorschlägen
zum Ausdruck gekommen, von denen er die Aufführung ab¬
hängig gemacht habe, Aber auch eine definitive Zurück¬
weisung des Stückes sei gewissermaßen erst vom Autor
selbst provozirt worden; indem er dem Direktor einen
Präklusivtermin für die Aufführung stellte und dessen Ab¬
lehnung als eine Ablehnung des Stückes selbst betrachten zu
müssen erklärte.
Der gereizte Dichter gab seinem Unmuth ungehemmten
Lauf und es organisirte sich um ihn herum eine heftige
Agitation, geleitet von einzelnen Wortführern der Kritik,
welche sich die Kompetenz zuerkannten, eine Art Areopag zu
konstituiren, ein höchstes Tribunal und den angeklagten
Direktor — nicht etwa vor seine Schranken zu zitiren, ihn zu
hören, Anklage und Vertheidigung gegeneinander abzuwägen
und danach den Spruch zu fällen, sondern ihn kurzweg un¬
gehört zu verurtheilen und dem Urtheil auch sofort alle mögliche
Publizität zu geben. Gestern wurden die Wiener Zeitungs¬
leser durch diese Urtheilspublikation überrascht, unterfertigt
von den Richtern aus eigener Machtvollkommenheit, in deren
Namenliste allerdings bedeutsame Lücken sind, da Kollegen
von großer kritischer Autorität und die zu weitesten Leser¬
kreisen sprechen, ihre Theilnahme an der wunderlichen Vehme
abgelehnt hatten. Der Direktor wurde der schwersten Ver¬
letzung des Dichterrechtes schuldig gesprochen, ohne — noch¬
mals sei es wiederholt — gehört worden zu sein und ohne
daß irgend eine Legitimation des improvisirten Richter¬
kollegiums ersichtlich gemacht worden wäre.