Faksimile

Text

G
14 Der Schlefer der heatrige
box 20/2
die Lüfte nach jenem Sonnenuntergang in der todt=pflicht wäre es freilich gewesen, denn Schnitzler's Drama ist
ten Stadt ...
die Arbeit eines echten Dichters und so überreich an über¬
Ehe wir es aber versuchen, zu erzählen, wäh das Auge wältigenden Schönheiten der Empfindung, des Erkennens
lichters in jener Nacht geschen, da sich Bologna auf und der Sprache, daß es einen geradezu imponirenden
d verbereitete, wollen wir vorausschicken, daß es die Fortschritt gegenüber den früheren Werken des Dichters
uer gestern Abends lange nicht nach Gebühr und ge=bedeutet. Die Vorzüge seiner Art sind hier zu reifer
en kühnen Absichten des Dichters fröstelte. Der samum= und prächtiger Blüthe gelangt, während freilich auch
Gluthauch, der im „Schleier der Beatrice“ von der
jede seiner Schwächen vertreten ist. Er ist in sinnlichen
ausgehen muß, war im Lobe=Theater ein laues
Dingen oft zu absichtlich, forcirt und brutal und, was weit
ngswindchen der gemäßigter. Zone geblieben, und weder
schwerer wiegt, er verkünstelt jedes Problem, jede psychologische
noch Einzelleistungen vermochten Intentionen gerecht Entwicklung, indem er sie zuerst nach allen Seiten dreht und
den, die ungeheuere Konzentrationen forderten und fast wieder zurückwendet und in allen Facetten glitzern, in allen
egs überlebensgroße Intelligenzen voraussetzten. Die
Möglichkeiten beleuchten läßt. Große Dichter sind sonst naiver,
eit der Konzeption durfte weder bewußt, noch durch
nicht so fürchterlich gescheidt, so rastlos klügelnd. Es ist, als
Unzulänglichkeit der Mittel geschwächt werden,
ob Schnitzler bei allem Dichterischen, das er einmal erfaßt hat,
nicht die Wirkung des Kunstwerkes überhaupt sängstlich besorgt wäre, nur ja Keinem nach ihm etwas davon
bedenklich in Frage gestellt werden sollte, und übrig zu lassen. So wird er zum Sklaven seiner Tyrannis
gheit, jede Prüd##ie fälschte das Milieu, das, wie man
über den Stoff.
ie treibende Kraft bildet. Ich glaube jetzt auch den
Ueber Bologna däm mert der dritte Abend, an dem der
r des Wiener Burgtheaters zu verstehen und finde es
große Dichter Filippo Loschi im Garten seines Palastes die
ls begreiflich, wenn er es in seiner Position als viel
schöne Beatrice, des verrückten Wappenschneiders Nardi
ker Direktor einer Ho ihne nicht wagte, das Stück
Töchterlein, erwartet. Vor drei Tagen, bei einem Volksfeste,
uszubringen, wie es eing gebracht werden durfte,
hat er sie zum erstenmale gesehen und sie hat von seiner
shalb lieber ganz darauf verzichtete. Nur scheint er Seele so vollständig Besitz ergriffen, daß bisherige Leiden¬
bei nicht ganz aufrichtig gewesen zu sein und zur
schaften, vorher übernommene Pflichten bis auf die Erinnerung
niß über das Wesen des Stückes viel länger gebraucht
versinken. Was ihn bewegte, ehe er sie gesehen, hat Inhalt
n, als sich der Direktor eines so hervorragenden Kunst¬
und Bedeutung verloren, starrt ihn, wenn er gewaltsam
gestatten darf. Er mußte nach der ersten Lektüre
davor gestellt wird, gleich etwas Fremdem, Unheimlichem an.
daß Schnitzler's „Der Schleier der Beatrice“
Aber auch die Gegenwart lebt ihm nur in Beatrieen
von ihm geleiteten Bühne nicht in der Gestalt
und den Beziehungen der Dinge zu ihr, sofern sie
erscheinen dürfen, die dem Werke eigen und von ihm
der Gegenstand seiner Liebe ist; nicht um Haaresbreite
bar ist. Er mußte also auch rasch entschlossen
weiter. Ihn erfüllt der großzügige Egoismus des
Ehrenpflicht seiner Aufführung verzichten. Eine Ehren= (Genies, das seinen Antheil an der übrigen Menschheit
21110
bleibt standhaft. Nun reicht er ihr Wein zum Abschieds=rafft sie das Gewebe auf und sucht den Herzog wieder
trunk, und da sie ihn genossen hat, erweckt er in mit sich zu ziehen; er aber will bleiben, hier die Braut¬
ihr die Angst, daß schon der Tod durch ihre Adern nacht feiern. Lieber soll er sie tödten, schreit sie. Sein
rinne. Nun schüttelt sie Todessurcht; so wollte sie es nicht, Fuß stößt auf den Körper eines Mannes, den er für
sterben wohl, aber nicht so ums Leben betrogen werden, so
trunken hält, und so beschimpft er ihn, speit ihm ins
ist es häßlich und verdorben. „Nie glaubte ich, daß Du tückisch] Gesicht. Diese entsetzliche Szene macht auch Beatrice inner¬
bist und seig — jetzt hafs' ich Dich!“ Kalt sagt er ihr die lich reif zum Sterben. Durch sein Gefolge, das ihm
Wahrheit. Die letzte Prüfung war's, sie hat sie nicht
heimlich gefolgt ist, erfährt der Herzog, daß der Körper, den er
bestanden. „Nun kehr' zurück, eh' sie mit Fackeln
entehrte, die Hülle Filippo Loschi's war, des Dichters, nach
suchen! Du willst das Leben. Geh' da draußen wartet's und
dessen Freundschaft er sich gesehnt. Und diesen verrieth
nimmt Dich gierig auf als sein Besitz.“ Vergebens fleht sie ihn an,
Beatrice? Und ihn um jenen und jenen wiederum um ihn?
sie bei ihm zu lassen. Er leert den Giftbecher bis zur Neige, nicht
Er faßt es nicht. So groß dünkt ihm das Räthsel, daß es ihn
einen Tropfen läßt er ihr. Sie aber flieht vor dem kalten
milde macht. Beatrice aber löst es: das Fürchten war's, das
Grausen, das ihr der Leichnam einflößt, mit dem Aufschrei
Grauen, so dazuliegen wie Filippo. Jetzt aber ist sie unendlich
„Leben!“ hinaus, zurück ins Schloß.
müde geworden, daß nichts mehr in ihr ist, als Sehnsucht „sol
Dort hat das Fest indes mit jener bacchantischen Lustl dazuliegen und fertig sein". Sie bittet um den erlösenden
einer letzten Lebensnacht seinen Fortgang genommen. Spät Dolchstoß. Der Herzog weigert ihr ihn, aber der Bruder stößt
entdeckt der Herzog das Fehlen seiner jungen Gattin, und sie ihr den Stahl ins Herz. Und dann ziehen sie alle hinaus in
erscheint gerade wieder, da er ihre Eltern und Geschwister
die Schlacht, um zu sterben ...
verdächtigt, um ihre Flucht zu wissen. Er muß sie wieder
So wie eine dürftige Schilderung des Gerüstes der
haben. „Mein ganzes Leben ist zusammengepreßt in dieses
Handlung kein Bild von der gewaltigen Pracht und Fülle
Eine: „Wo ist Beatrice?“ Nun ist sie da. Sie lügt, sie komme
dieser Dichtung geben kann, fast ebensowenig vermochte es
aus der Kirche, wie es ihr Filippo gerathen. Aber der die Darstellung unseres Lobe=Theaters. Wir haben damit wenig
Betrug wird rasch entdeckt, denn die Kirche ist versperrt. Da Ehre vor den fremden kritischen Gästen aufgehoben und
bemerkt der Herzog, daß Beatrice den kostbaren Schleier
dem Dichter keinen guten Dienst geleistet. Seine Schwächen
nicht mehr besitzt, den er ihr als Brautschleier
erschienen wie unter dem Vergrößerungsglas, seine Vor¬
geschenkt; sie hat ihn bei Filippo verloren. So ungeheuer
züge wurden verschleiert. Die Regie traf das Milieu nicht,
ihre Schuld sich zeige, Alles soll vergeben sein,
und von den Einzeldarstellern könnte höchstens Herr
ausgelöscht bis auf die Erinnerung, wenn sie ihn dorthin[ Lettinger (Filipvo) bescheidenen Ansprüchen ge¬
führt, wo sie den Schleier verlor. Das kann sie nicht, nügen und von Herrn Jessen (Herzog) darf man rühmen,
Das geht über ihre Kräfte. Da er aber rasches Gericht über
daß er Manches nicht verdarb. Ganz ungenügend war jedoch
sie halten läßt und sie zum Tode geführt werden soll, reicht
Fräulein Konradin der einigermaßen wichtigen Rolle der
sie dem Herzog die Hand hin — sie wird ihn führen. Und Beatrice. „Der Schleier der Beatrice“ hätte mehr als einen
sie führt ihn zu der Stelle, wo ihr Schleier zu Boden fiel,
Achtungserfolg verdient.
in das Gemach, in dem die Leiche Filippo's liegt. Hastig
L. Sch.