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— Filiale in Budapest: „Figyeló“
Vertretungen in Berlin, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom, Stockholm.
Ausschnitt aus: Der Remerist, Wien
vomzo //7 1400
Breslauer Bühnenbrief.“)
Das Ereignis der verflossenen Dekade war die Erstaufführung
von Arthur Schnitzler's Tragödie „Der Schleier der Beatrice“. Die
Conflicte, die diese Schöpfung schon vor ihrer Bühnengeburt zwischen
dem Dichter und dem Burgtheater=Director Dr. Schleuther herauf¬
beschwor, sind in zu frischer Erinnerung, insbesondere der Wiener,
als daß ich die Angelegenheit nochmals hier zu erörtern brauchte.
Genug, das Burgtheater wollte vom „Schleier der Beatrice“ nichts
wissen und sehr merkwürdigerweise fand sich keine andere große
Bühne, die dem Autor der „Liebelei“ und des „Grünen Kakadu“
F
sperrangelweit die Thüren öffnete. Es gibt dafür eine Entschuldigung:
„ die starken Ansprüche des in gewaltigen Maßen aufgebauten Dramas
g an Zahl und Können der betheiligten Künstler, an scenische Pracht
und vor Allem an die individuell ganz besondere Veranlagung der
Vertreterin der weiblichen Hauptrolle. Director Dr. Löwe, der
459 Herr über die vereinigten Theater Breslaus, setzte sich über alle
Abo
diese Bedenken hinweg und bot sein Lobetheater für die Erst¬
aufführung an. Ich ehre diesen Wagemuth, aber — sein Gegentheil
luh wäre für alle Theile besser gewesen. Herr Dr. Schnitzler mußte
#blisein Angstkind in arger Entstellung in die Welt des schönen Scheines
vol eintreten sehen und Herr Dr. Löwe hörte bei dieser Gelegenheit
ganz besonders schwere Einwände gegen die Qualität seines Per¬
wer
sonals. Und in der That, wenn eine Bühne nicht geeignet war,
das wuchtige Renaissance=Drama Schnitzler's aus der Taufe zu
heben, so war es unser Lobetheater mit seiner kleinen Seene, seinen
wenig zahlreichen ersten und noch weniger zahlreichen „zweiten“!
sguten Kräften. Den Mangel einer für die Beatrice geeignetent
Schauspielerin rechne ich ihm nicht so sehr zur Schuld, obgleich das
Fehlen einer leistungsfähigen Sentimentalen in dem für dreis
Theater berechneten Personale nicht zu Gunsten der Engagements¬
Dispositionen spricht. Frl. Illing, die bei uns Alles machen muß
ist nicht genügend „sechzehnjährig“ für die Beatrice, und sobalds
diese Künstlerin durch solch' äußere Rücksichten ausgeschlossen ist, stehtt
von dem für pikante, harte Charaktere veranlagten Frl. Gabrik
abgesehen — keine einzige Kraft für eine mehr als die landläufige
Technik erfordernde Aufgabe bereit. In dieser Noth riskirten Director
und Dichter das Erperiment, eine bisher wenig erprobte Anfängerin,
Frl. Konrad, mit der Beatrice zu belasten. Das Experiment mi߬
glückte. Frl. Konrad ist eine sympathische Persönlichkeit, aber
keine Schönheit und Beatrice, die dem größten Dichter und dem
fürstlichen Beherrscher ihrer Heimat „auf Anhieb“ die stolzen Köpfe!
verdreht, muß schön, wieder schön und nochmals schön sein. Fräulein;
Konrad hat ferner einen anmuthig aus Sentimentalität und
Naivetät gemischten Ton, aber das Vermögen, die fortwährend;
wechselnden Seelenstimmungen des kühnsten aller Frauencharaktere,
die seit Jahren auf die Bühne gebracht wurden, glaubhaft wieder¬
zugeben, besitzt sie nicht. Diese Beatrice ist Kind und Weib, dreist
und feig, unberechenbar in ihren Launen und leicht gebannt durch
die Augen eines Mannes, kurz sie ist keine Rolle, sondern ein
bizarrer Mensch. In dem Abstande zwischen Frl. Konrad's
Können und den Forderungen Beatricens lag der erste Stein des
Anstoßes für die Wirkung des Dramas, aber auch an den Auf¬
gaben zweiten Ranges (hier seien die Herren Ziegel, Jokow,
Lehrmann und Al. Delon ausdrücklich ausgenommen) wurde
arg gesündigt. Das Stück verbraucht allein ein halbes Dutzend
Liebhaber, aber abgesehen von Herrn Lettinger, der den Loschit
mit schönem Feuer sprach, genügte kein einziger aus der hier auf¬
gebotenen Schaar auch nur annähernd. Vortrefflich war noch Herr¬
Jessen als stattlicher Fürst und Herzensbezwinger. Seine jugend¬
liche Reckengestalt stand in einer Ungebung, die einem wirklichen
Renaissance=Herzog mehr als ein erstanntes Lächeln abgenöthigt
hätte über die seltsamen, vergangenen und — kommenden Jahr¬
hunderten angehörige Kleidung seiner Kumpane.
Ueber den künstlerischen Wert des „Schleiers der Beatrice“
der mich trotz mancher Einwände gegen die Handlung, gegen der
*) Für Nr. 35 verspätet eingelangt.
beschließt, denn, wohlgemerkt, alle Ereignisse des fünfactigen Stückes
folgen sich in der Hast einer Nacht, der letzten vor dem Ver¬
zweiflungskampfe Bolognas gegen den beutegierigen Cesare Borgia.
Zwischen Brauthaus und Kirche trifft Beatrice den Helden ihrer
schuldigen Träume, den Herzog von Vologna und unter seinen be¬
wundernden Blicken steht sie starr. Aber als er sie auf's Schloß
fordert zur Liebesnacht, wird sie wieder munter und flüstert hold:
Ich möchte schon, aber als Dirne nicht, nur als Herzogin. Herr
Bentivoglio schließt auf der Stelle die Mesalliance, während sich
der arme Pittorino hinter der Scene ersticht. Gleich nach der
Trauung eilt die kleine Herzogin zu Loschi. Der aber stößt die ge¬
fürstete Geliebte zum zweitenmale von sich und nimmt Gist.
Beatrice flieht schreiend und läßt den Schleier, des Herzogs Braut¬
geschenk,der Leiche zurück. Vom Gatten hochnothpeinlich nach
dem Verbied des kostbaren Gewebes befragt, führt sie den Herzog
in düsterer Nacht zu Loschi, rafft den Schleier und will fort. Der
Herzog schöpft Verdacht, wartet den Morgen ab und sieht nun den
in den Falten des Vorhangs versteckten Leichnam. Holde Worte
spricht der fürstliche Mäcen dem todten Dichter. Derweil erdolcht
Bruder Francesco die hübsche Sünderin. Das ist der „Schleier der
Beatrice“.
Vom äußeren Erfolge sei berichtet, daß die ersten drei Acte
stärksten Beifall fanden. Dann aber fühlte sich das Publicum mehr
und mehr von den Schwächen der Darstellung verletzt und zischte,
trotzdem der Dichter auf der Scene erschien.
Es bleibt mir leider kein Raum, ausführlich einer prachtvollen
„Lohengrin“=Aufführung im Stadttheater zu gedenken, die von
unserem tapferen Kapellmeister Hertz von vielen Strichen (Ensemble
des zweiten Actes!) gesäubert und wirklich neu einstudirt, wie eine
Novität wirkte. Verblüffend gut waren die Chöre, früher der wundeste
Punkt unserer „Lohengrin“=Abende. Unter den Solisten standen in
erster Reihe Slezak (Lohengrin), Pewny (Elsa), Weiner (die
zum 75. Male ohne Ablösung hier die Ortrud sang) und Wald¬
mann (König Heinrich), Herr Marsano war ein leidenschaft¬
licher Telramund, Herr Geißler ein tüchtiger Heerrufer.
Dr. Erich Freund.