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14. Der Schleier der Beatrice
Nr. 65 10. Jahrgang.
——
Die „Bonner Zeitung“ er¬
scheint täglich morgens um 7 Uhr,
mit Ausnahme des auf Sonn= und
Feiertage folgenden Tages.
Bezugspreis für Bo.m u. Um¬
gegend vierteljährl. 3 M., monatl.
M.; durch die Post bezogen, frei
ins Haus, vierteljährlich 3.40 M.
Für die Redaktion verantwortlich
Paul Mützel in Bonn.
Redaktion und Geschäftsstelle:
Kaiserplatz 22. * Fernsprecher 94.
S
Eigenium der Aktiengesellschaft
„Neue Bonner Zeitung“.
Die heutige Nummer um¬
faßt 12 Seiten.


Neue Dramen.
Ludwig Fulda: Die Zwillingsschwesten.—
Arthur Schnitzler: Der Schleier der Beatrice.
K. S. Es ist nun schon eine stattliche Zahl von
Jahren vergangen, seitdem unser junges und jüngstes
Deutschland die Sturmfahne der volution in der Lit¬
teratur entfaltet und kurzer Han Uem Bestehenden die
Fehde angesagt hat. Das Schlachtfeld, wo einst Conrad
und Bleibtreu wie die Löwen kämpften und der wackere
Conradi mit der Todeswunde im Herzen zusammenbrach,
ist vom Blute der Kämpen gereinigt, und die Friedens¬
sonne scheint wieder mild über Gerechte und Ungerechte.
Am meisten macht sich der Umschwung von wilder Raserei
zu gemäßigteren Anschauungen im deutschen Drama
geltend. Von dem grellen Naturalismus zu Ende der
80 er und zu Anfang der 90er Jahre ist nur noch wenig
auf der Bühne zu sehen; die Waldschratts und Nickel¬
manns sind mit ihrem Märchenzauber dazwischen ge¬
fahren und haben ihn weggesegt, und heute sucht jeder
der Herren Dichter sich nach eigenem Gutdünken den
Stoff heraus, den er bearbeiten will. Eine eigentliche
Richtung giebt es gar nicht mehr. Hauptmann, der
große Einsame, schafft für sich mutterseelenallein, bald
eine Fuhrmanns=Tragödie und bald ein Traumstück,
Sudermann geht in das biblische Zeitalter zurück und
befruchtet im nächsten Augenblicke seine Phantasie am
Leben seiner nordischen Heimat, und Halbe, der Schöpser
der Jugend, greift mit leerem Griff in das Zeitalter der
Renaissance, um dann wieder ein neuzeitiges Künstler¬
leben im Drama darzustellen. So geht jeder seine
eigenen Wege. Wohin sie führen, weiß niemand, und
der Zukunft bleibt es vorbehalten, den Sieger mit dem
Lorbeer zu schmücken.
Einer der wenigen, die in den Kämpfen und Wirren
der jungdeutschen Lutteratur sich fast immer treu geblieben
sind, ist Ludwig Fulda. Mit klarem Auge hat er er¬
kannt, auf welchem Gebiete seine Begabung liegt und
welche Gegenden er zu meiden hat. Er, der liebens¬
würdige Mensch und hervorragende Reimkünstler,
wußte genau, daß ihm tiefe Leidenschaften zu
schildern von der Natur versagt war, daß er seine
Menschen nur in Sonntagskleidern und nicht in Werktags¬
kitteln auf die Bühne stellen durfte. Nur ein einziges
Mal hat er sich über sich selbst getäuscht, als er im
Herostrat ein tieferes Problem zu lösen versuchte. Das
Ergebnis war, daß sein Stück Fiasco machte, und seit¬
dem ist Fulda zur Besinnung gekommen. Er schmiedet
von neuem Reime, süße, glöckenhelle Reime, aus denen
Duft von Frühlingsblumen zu wehen scheitt, und
Erfolg ist ihm wieder beschieden. Sein#ineurstes
Biun=Die=Zwitlbngeschwester#)kist sonein
Reimgewebe aus Frühlingsblumenduft und Lenzsonnen¬
schein, eine liebenswürdige Nichtigkeit, die man am besten
zur Maienzeit in einer blühenden Hollunderlaube
box 20/3
*
ir
G
7
(Neue Lonner Zeitung)
zur Hand und grub aus den alten vergilbten Blättern
in die Brust. Besser
Menschenschicksale heraus. Das ist der Unterschied
Schmach und Sch
zwischen den beiden Dramen, die zufällig in einem Jahre
Und neben dem Dichte
entstanden sind und Ort und Zeit gemeinsam haben.
zu Boden..
Eine andere Gemeinsamkeit existiert nicht zwischen beiden.
Mit und neben
Wenn man Schnitzlers Werk zu Ende gelesen hat, so
andere, die teils zur
ist einem etwa zu Mute, als erwache man aus einem
dienen, teils das Kulti
dumpfen und wüsten Traum. Ein ganzes Zeitalter
der Dichter von dem
voller Pracht und Herrlichkeit, voller Ausschweifung und
giebt. Der Titel, den
Grausamkeit ist an einem vorübergezogen, schattenartig
wählt, ist wohl mehrsi
und blitzschnell, von mächtiger Wirkung und doch auch
denn die Schleier=Gese
wieder ohne dauernden Eindruck. Aehnliche Effekte
Dagegen liegt es auf
bringen vielleicht die Bilder Pilotys oder des älteren
wie ein duftiger Schle
Kaulbach in der Münchener Pinakothek hervor; denn
so erscheint Beatrice um
auch diese sind Fardenkompositionen, großartig entworfen,
und sie ist doch eine
riesig geschickt gemacht, aber doch ohne wirkliche Seele.
Menge; sie möchte nur
Schnitzler greift mit seinem Werke in die Zeit des Cesare 1.Tod; sie möchte rein bi
Borgia; er schildert dessen Belagerung der Stadt Bo¬
Schmutz:
logna und stellt auf diesem Hintergrunde das Leben
Und warum war
am Hofe des Herzogs Lionardo Bentivoglio dar.
So vielen Leid zu
Im Mittelpunkt der gewitterschwülen Handlung steht
Ich wollte
ein 16jähriges Mädchen, Beatrice, die Tochter eines
bolognesischen Waypenschneiders. Sie ist schön und an¬
Gewiß, sie wollte
mutig, und weil Schönheit und Anmut die Dichter von
ihre Schönheit, ihr Ver
jeher begeistert haben, so verliebt sich der Dichter Filippo
Herz. Unerständlich
Loschi in sie. Bei einem Stelldichein in seinem Garten
solches elfenhaftes Wese
erzählt das Kind ihm eine merkwürdige Geschichte. Sie
punkt einer leidenschaft
habe geträumt, der Herzog von Bentivoglio sei selbst zu
Sie repräsentiert nichte
ihr gekommen, habe sie auf die Stirne geküßt und zu
für das Schönheitsempf
seiner Gattin gemacht. Filippo ist entsetzt über das
Aber auch dieses hatte
Gehörte. Er war der Hoffnung gewesen ein reineserscheint uns die Fiaun
Kind zu besitzen, und sieht in ihr nun nichts anderes als
die in fremde G#d#e geb
in den anderen Mädchen, die vorher seinen Weg ge¬
geht. Wus Schnitzler s#
kreuzt. Aber das Seltsamste kommt erst. Der Traum
zumteil fesselnd und be
Beatricens geht wirklich in Erfüllung. Bei einem nächt=„leidigend und — lang
lichen Gang durch die von Borgia hart bedrängte Stadt
Entwurf überstieg seit
gewahrt der Herzog die Schöne, und da sie ihm als
schließlich statt eines R
Geliebte nicht folgen will, macht er sie noch in derselben
bilder, die sich jagen
Stunde zu seiner Gemahlin. Hier setzt das Romaniische Phantasmagorie, von d
und Unwahrscheinliche des Dramas ein. Der Bentivoglio von einem quälenden, d
läßt „alles, was schön ist“, zu seiner Hochzeit laden, und
während Bolognas Frauen und Männer in den herzog¬
lichen Gärten sich bachanalischen Freuden hingeben, ent¬
Die Ermordt
fernt sich Beatrice von der Seite ihres jungen Gatten
(23./2
und eilt zu ihrem einstigen Geliebten, dem Dichter Loschi.
Dr. H-n.-Bonn. Ein un
Sie hat's ihm ja versprochen:
Nacht vom 41./12. (23//24
Fühl' ich, daß ich nicht sein kann ohne Dich,
Wahnsinn, Haß und Rach
Und hab' zu sterben Lust, so komm' ich wieder,
Unkel nur eine Gestalt
Und nehm' Dich mit.
Sohn, der zwar se
Warum die junge Herzogin eigentlich sterben will, er¬
aber doch bei
fährt man nicht; müde sei sie, berichtet sie selbst Aber
Mitet, ihm weniastens 5
Inmitte
Loschi kennt sie besser. Er weiß, daß dieses Kind gar
keinen Begriff vom Tode hat, ebenso wenig wie vom der großei
Leben. Die Probe beweist es auch. Er läßt sie Wein die Schöp
trinken, und redet ihr ein, daß es Gift war, was sie Bau t
getrunken. Entsetzt schreit Veatrice auf. Sie will nichtDraußen
sterberr, neie siegwill nscht sterben so nicht, soerbärmlich Mastinnen
„den Wälle
nächtlich e
Ists wie ein Morden aus dem Hinterhalt,