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schildern von der Natur versagt war, daß er seine
Menschen nur in Sonntagskleidern und nicht in Werktags¬
kitteln auf die Bühne stellen durfte. Nur ein einziges
Mal hat er sich über sich selbst getäuscht, als er im
Herostrat ein tieferes Problem zu lösen versuchte. Da¬
Ergebnis war, daß sein Stück Fiasco machte, und seit¬
dem ist Fulda zur Besinnung getommen. Er schmiedet
von neuem Reime, süße, glockenhelle Reime, aus denen
Duft von Frühlingsblumen zu wehen scheit, und
Erfolr ist ihm wieder beschieden. Sein Ineuestes
Brausk: Bie Zwillingsschwester“ #st#so ein¬
Reimgewebe aus Frühlingsblumenduft und Lenzsonnen¬
schein, eine liebenswürdige Nichtigkeit, die man am besten
zur Motenzeit in einer blühenden Hollunderlaube liest.
Er erzählt darin die Geschichte einer schönen Frau —
bei Fulda sind alle Frauen schön; das hat er mit Heyse
gemeinsam —, die sich als ihre eigene Zwillingsschwester
ausgiebt, um den kühl gewordenen Gatten von neuem
an sich zu ketten. Natürlich ist so etwas in unserer
Zeit der Aufklärung nicht möglich, und weil der kluge
Poet das weiß, verlegt er seine Handlung in das 16.
Jahrhundert. Das ist probat. Der Leser oder Hörer
wird dadurch weniger kritisch gestimmt, und den Schau¬
spielern giebt eine solche Rückverlegung in frühere Jahr¬
hunderte überdies die Gelegenheit, sich in Sammet und
Seide zu kleiden und mit Grandezza auf der Bühne zu
betgegen. Die Geschichte spielt, wie gesagt, im 16. Jahr¬
hundert, und der Ort der Handlung ist ein köstliches
Landhaus in der Nähe von Padua. Orlando della
Torre, der Besitzer des Landhauses, ist seiner jungen
Frau nach fünfjähriger Ehe bereits überdrüssig, und
weil ein italienischer Edler das Ewig=Weibliche nicht
missen kann, verliebt er sich zunächst einmal in die nied¬
liche Gattin seines Jägermeisters. Die arme Giuditta,
Orlandos Gemahlin, kommt dahinter. In ihrer
Seelennot erinnert sie sich ihrer Zwillingsschwester, die
fern auf Sizilien lebt und ihr ähnlich sieht wie ein Ei
dem andern. Orlando kennt diese Schwester natürlich
nicht, und so reist Giuditta scheinbar ab, um nach
einigen Tagen mit gepudertem Haar und verstellter
Stimme als ihre eigene Schwester zurückzukehren. Der
Plan gelingt vollkommen; denn Orlando's warmes Herz
geht schnell in heißen Flammen auf. Ja, das ist sie,
die rechte, sie, nach der sein Sinnen und Träumen ge¬
gangen ist in den langen Jahren einer „unglücklichen“.
Ehe! Kurz entschlossen gesteht er der Pfeudo=Schwägerin
seine Liebe. Diese weicht scheinbar entrüstet zurück, aber
der brave Schwager und schlechte Ehemann läßt sich
nicht schrecken. Ein Scheidebrief ist schnell geschrieben,
seine eigene Frau nimmt ihn in Empfang, um ihn der
angeblichen Schwester zu senden, und als sie allein ist,
bricht sie unter Weinen und Lachen in die denkwürdigen
Worte aus:
O Schmach! O Glück! O Schändlichkeit! O Wonne!
Verfemt, vergöttert! Mond zugleich und Sonne!
Sturz und Triumpf! Betrogen und begehrt!
O Männer, Männer, unerhörte Sippe,
All miteinander keinen Heller wert
Und alle scheiternd an derselben Klippe!
Du Lächerlicher, Teurer! Narr und Held!
Wie dumm, wie schön, wie spaßhaft ist die Welt!
Das Ende vom Liede kann sich jeder selbst zusammen¬
reimen. Die wirkliche Zwillingsschwester trifft auf dem
Gute ein, Orlando erkennt, daß seine eigene Frau es
war, die er zugleich verstoßen und in heißer Leidenschaft
an sich gerissen, und das eheliche Glück ist repariert.
So wenigstens bestätigt uns Ludwig Fulda, und da die
Dichter immer Recht haben, wird es ja wohl auch so
##
ungleich tiefer und anregender ist die neueste Arbeit
Arthur Schnitzlers, sein vielumstrittenes Drama: Der
Schleier der Beatrice.**) Wollte Fulda sein
Publikum nur belustigen, so hatte Schnitzler die Absicht,
es mit den üppigen Schönheiten der italienischen Renais¬
sance bekannt zu machen, eine alte, hochherrliche Kultur
der heutigen gegenüberzustellen. Fulda erfand eine
Fabel, schnitzte sich Puppen mit hübschen Glasaugen und
kirschroten Lippen, und Schnitzler nahm seinen Machiavell
*) Die Zwillingstochter, Lustspiel in 4 Aufzügen von Lud¬
wig Fulda (Stuttgart, F. G. Cotta).
**) Der Schleier der Beatrice, Schauspielin 5 Akten von
Arthur Schnitzler (Berlin, S. Fischer).
Fühl' ich, daß ich nicht sein kann ohne Dich,
Wahnsinn, Haß n
Und hab' zu sterben Lust, so komm' ich wieder,
dunkel nur eine
Und nehm' Dich mit.
ein Sohn, der z
Warum die junge Herzogin eigentlich sterben will, er¬
ft, aber doch
fährt man nicht; müde sei sie, berichtet sie selbst Aber
Bittet, ihm wenig
Loschi kennt sie besser. Er weiß, daß dieses Kind gar
Inmitte
keinen Begriff vom Tode hat, ebenso wenig wie vom der große
Leben. Die Probe beweist es auch. Er läßt sie Wein je'die Schöp
trinken, und redet ihr ein, duß es Gift war, was sie Bau mit
getrunken. Entsetzt schreit Veatrice auf. Sie will nichDraußen
sterben, nein, sichwill nscht sterben, so nicht, sor l Austinnen
den Wälle
So
nächtlich e
Ists wie ein Morden aus dem Hinterhalt,
ewirr z
Nie glaubt ich, daß Du tückisch bist und feig —
Jetzt haß' ich Dich!
Still u
feiten, die
Filippe Loschi aber wendet sich ab von ihr, zum zweiten
Somi
Male, und leert dann seinerseits einen Becher wirklichen
dem
Gifts. Er hat genug vom Leben. Es ekelt ihn an;
bewegte
von allen Seiten ist er betrogen und bethört — was
Soldatée
soll er also noch? Beatrice fleht, sie mitzunehmen in
dem Schl
jenes unbekannte Land; als sie ihn aber sterben sieht,
Tagen ein
weicht sie entsetzt von hinnen.
Was in
Im Schlosse hat man der Herzogin Flucht inzwischen
und wie 1
bemerkt. Der Herzog selbst ist auf der Suche nach ihr
ung der ##
wesen und hat sie nicht gefunden. Da erscheint Beatrice,
sich an de
verstört und bleich. Der kostbare Schleier, den ihr der
Bonapart
Fürst als Brautgeschenk gegeben, ist ihr vom Haupt ge¬
mächtigste
glitten. Wo ist er? Die Herzogin verweigert die Aus¬
Wir u
kunft. Wo ist er? fragt Bentivoglio zum andern Male
(1796—1:
streng, und als sie auch jetzt noch schweigt, erklärt er sie
halb blöd
ihrer Würde als Herzogin verlustig und dem Henker
seinem V.
rücktheit“
preisgegeben. Die Edlen des Hofes von Bologna
atmen auf. War es nicht möglich, daß diese Beatrice,
Drück der
die den Herzog mit einem einzigen Blick gefangen hat, als
Lebzeiten
Verschwörerin im Dienste des Borgia stand? Es wän
baren Ge
ja nicht das erste Mal, daß der Cesare sich solcher¬
Paul I
Mittel bediente! Oder war sie vielleicht gar eine Hau¬
kommen,
berin, eine von jenen, welche die Kirche zu eiviger
setzte. Al
Strafe verdammt? Aber Beatrice weiß noch einmal
und Bew
dem Tod zu entfliehen. Sie will den Schleie# wieder¬
wunderte
bringen und rührt ourch i#;, sanfte Klage das Herz
des neuer
ihres Mannes, daß er mit ihr an jenen furchtbaren Ortz
Thron ge¬
geht, wo der Schleier zu finden ist. Im Dunkeln liegt
Worte pa¬
die Stube des Dichters, nur die Sterne schauen durch
Zwar sch
das offene Fenster. Da gewahrt der Herzog Filippos
und Gese
Leiche auf der Treppe zum Schlafgemach. Er glaubt
werbefleiß
in ihm den Liebhaber seiner Gattin schlafend zu sehen
wie die 2#
und schmäht ihn. Aber Filippo regt sich nicht. Er ver¬
und aufhi¬
höhnt ihn von neuem und nun erst erkennt er, was ge¬
Klarheit,
schehen ist:
Herzog.
Du hast's gewußt?
Beatrice.
Ich hab's gewußt.
Herzog.
Warum noch diese letzte Schmach, den Toten
Mich schmäh'n zu lassen?
Beatrice.
Ja, dies war die letzte.
Während beide noch sprechen, nahen die Getreuen des
worow,
Fürsten, die in Sorge um ihn sind. Auch die Eltern und Ger
Blut in
schwister Beatricens sind gekommen. Bentivoglio erfährt,
vom Fr
daß dieser Tote der Dichter Filippo ist, den er nie
Schnee
sehen, dessen Gedichte ihm aber über alles liebgeworden
blikaner
sind. Und wieder tritt er zu seiner Gattin, die stark
und scheinbar teilnahmslos dastesteht, und fragt sie, wie
Siegers¬
man eine Sphinx etwa fragt:
Staaten
Englans
Der starb um Dich?
#n verrietest Du?
gekämpf
Und mich um ihn? Un nied'rum ihn um mich?
ersten V.
Was bist Du für ein zesen, Beatrice?
In welche Tiefen muß ich untersteigen,
maten,
Die Wurzeln finden, wo sie sich verschlangen?
räle, be
Petersb.
Nach einigem Besinnen findet er aber selbst die Ant¬
Verbank
wort auf seine Frage.
Tundra
Du warst ein Kind,
schäften,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte,
überladt
Mit eines Dichter Seel', weil sie voll Rätsel.
Launen
Dann wendet er si langsam ab von ihr. In der
nachzude
Stadt bedarf man s###er; denn der Borgia rüstet zum
den dies
Sturm. Da tritt der Bruder Beatrieens, Francesco,
Schicksa
vor, und stößt der Schwester den Dolch bis ans Hest I wegen!