Faksimile

Text


g
Mit diesem Werke ist Schnitzler aus dem gewohnten Kreise seiner
Dichtungen herausgetreten. Er bemüht sich hier nicht mehr um die
Darstellung von Gefühlen, die nur im Lichte des nämlichen Tages,
der sie gebracht, groß erscheinen und späterhin doch nur eine leise iro¬
nisch=wehe Erinnerungsstimmung erzeugen. Es handelt sich hier auch
nicht mehr um Menschen, die nur für die Zeit ihrer Gefühle und
durch diese besonderen Werth erhalten und, ist das Minuten= oder“
bestenfalls Monateschicksal ausgelebt, wie Wachskerzchen verlöschen. Im
„Schleier der Beatrice“ sind große Schicksale an innerlich bedeutenden
Menschen vorgezeigt, während in den meisten der früheren Werke Schnitzler's
große Schicksale kleine Menschen überkamen; nun mag diese Gegeneinander¬
e
stellung leicht äußerlich und doktrinär klingen, wie ja auch selbstverständlich
keine Werthung zwischen Dichtungen nach der Größe ihrer Helden oder deren ir
Schicksalen beabsichtigt ist. Allein gerade für Schnitzler bedeutet der „Schleier zus.
der Beatrice“ einen großen Schritt ins Freie hinaus. Das dichterische
Problem, das alle seine Stücke enthalten, ist hier nun einmal losgelöst das
vom kleinen Beiwerk wienerischer Art, am Menschen gezeigt, die edel den
Abo
4b6 Geschicke tragen. Dieses Problem aber scheint nür dies zu sen: In
jedem Menschen lebt die Sehnsucht, sein Schicksal zu erleben, und die
daran, wie er es erlebt, und was mit ihm geschieht, wenn es vollstreckton¬
Inl ist, mag man erkennen, wie viel Großes und Persönliches in ihm war. no“)
1Am dramatischen Dichter ist es non, den Charakter der Menschen zu eben
wot zeigen in den Stunden, wo ihn das Schicksal überkommt. Das ist der ngen
Sinn der „Liebelei", des „Vermächtniß", vieler der kleinen, innigen
Novellen Schnitzler's. Noch nie ist jedoch das Dramatische in diesem
Problem so rein ausgeprägt gewesen wie im „Schleier der Beatrice.“
Das Stück spielt zu Bologna, im 16. Jahrhundert. Der
Herzog von Bentivoglio hat einen entscheidenden Kampf mit Borgia zu
fechten. Es ist die letzte Nacht. Filippo Loschi, ein Dichter, erlebt das
Geschick seines Lebens. Er hat Teresina geliebt, eine vornehme
Dame; allein die Liebe ist verklungen. Er weiß nichts mehr
von der Zeit, da diese Leidenschaft ihn füllte: er liebt eine
andere, Beatrice, ein sechzehnjähriges Kind. Drei Tage kennt er
sie, drei Tage gehört sie ihm. „Im Herbste fallen Blätter, im Früh¬
jahr sprießen andere!“ sagt er, als Einer ihn treulos nennt. In
jener letzten Nachi aber vor dem Morgen, da um Bologna gekämpft
werden soll, kommt Beatrice und weiß von einem Traum der letzten
Nacht zu erzählen. Der Herzog selbst sei im Traume ihr Gemahl ge¬
wesen. Da weist Filippo die Geliebte von sich. „So wenig warst Du
mein, daß, schlossest Du die Augen, Deine Seele auf Abenteuer aus¬
fliegen konnte und ich war Dir nur von Tausend Einer .. .“ Beatrice
geht, der Traum wird Wahrheit. Der Herzog nimmt Beatrice zum
Weibe, vom Hochzeitsfeste aber schleicht sie hinweg zu Filippo. Sie
will mit ihm sterben. Dann aber, als sie glaubt, das todtbringende
Gift getrunken zu haben, erfaßt sie die Lebenssehnsucht wieder: Sie will
nicht sterben, bevor sie ihr Schicksal vollendet, ihr Leben ausgetrunken hat.

Filippo, ein zweites Mal durch sie enttäuscht, tödtet sich, und Beatrice verläßt
ihn, kehrt zum Hof zurück. Doch sie hat den Schleier, den ihr der Herzog
gab, beim Todten zurückgelassen und den muß sie dann von der Leiche holen,
vom Gemahl begleitet. Das war die einzige Mögkichkeit, ihr Leben zu
retten; denn ihre Fluchr war entdeckt worden. Als sie nun mit dem
Gemahl an Filippo's Leiche steht, da löst sich alles in ihr, die Lebens¬
sehnsucht und die Todesfurcht. Der Eine starb um sie. Sie hatte ihn
um eines Anderen willen verrathen, und den wieder um ihn ... Der
Herzog sagt es ihr:
„Warst Du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte,
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Räthsel, —
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und jeder von uns wollte¬
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein, mehr!
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Thun,
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind.“
Die Todesfurcht aber ist für Beatrice vorbei. Was soll sie noch
erleben wollen? An einem Tage ist ihr das Sterben zweimal schon
nahe gewesen, da hatte sie den Tod von sich gewiesen. Denn das
Schicksal war ja noch nicht geschehen. Jetzt aber kann sie nichts mehr
ersehnen, der Dolch des Bruders, der sie um Filippo's Willen tödten
will, findet freien Weg zu ihr. Zwei Lebenswege sind zu Ende ge¬
schritten worden: „Er liebte sie, er starb, weil er sie liebte.
Die
Spanne Zeit, die sie ums Licht des Lebens noch geflattert, be¬
deutet jetzt nichts mehr. — Sie starb mit ihm. So ist sie hoch geehrt
vor allen Frauen.“ Der Morgen aber ist da, bringt den Kampf.
Das Leben geht weiter, ernent Schicksale und Leiden. Nur zwei
Menschen sind geschieden, da ihr Geschick vollstreckt war, und wie sie
sich in der Stunde ihrer letzten Lebenswende erwiesen haben —, große
Menschen, das zeigt die Dichtung.
Diese Notiz kann weder dem reichen Inhalt, noch der Anmuth
des Tons gerecht werden. Doch muß gerechter Weise gesagt werden, daß
dieses Schauspiel zum menschlich Echtesten gehört, was unserer Zeit an
Dichtungen hervorzubringen geschenkt war.
Wien.
W. Fred