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14. Der Schleier der Beatrice
Dela
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flüssigere Technik: Keiner hat einen so sicheren Geschmack und die Fähigkeit, mit
Farbe und Form alles auszudrücken, was in ihm lebt. Seine Bilder dürfen nicht
neben den Werken zweier Zeitgenossen hängen: Böcklins pathetische Wucht erdrückt
ihn und das rembrandtsche Raffinement Degas' giebt ihm eine Nuance, die leise
an Paul Thumann erinnert. Das ist die Gefahr jeder Lyrik, die Grenze zwischen
feinster, zartester Empfindung und Süßlichkeit zu verfehlen. Neben allen Anderen
kann er bestehen. Das bedeutet für einen Maler, der sich jedes Ausdrucksmittel
selbst geschaffen hat, unendlich viel.
Die Form des romantischen Hellenismus, die er verkörpert, ist alt. Es ist
die zwiespaltige Sehnsucht aller Romantik, nach der Madonna und nach Aphroditen
zugleich. Das christliche Element wird heidnisch aufgeheitert, das heidnische leicht
christlich gedämpft. In den weiten Kreis dieser Empfindungsweise gehören die
Lieder Schumanns, die Gedichte Hölderlins. Hofmann zeichnet sich vor Allen
aus durch die Konsequenz des ganz modernen formalen Empfindens, das auf
den Grundlagen steht, die die Malerei des neunzehnten Jahrhunderts geschaffen
hat. Und so wird es nötig, um alles zu sagen, mit einer Frage zu schließen:
Hofmanns Farbensinn ist optisch verwandt mit dem der französischen Im¬
pressionisten und Koloristen. Das ist unzweifelhaft. Und der Geist seiner Arabesken
ist verwandt mit dem praktischen Ornament der neuen Nutzkunst, mit der Ornamentik
von de Veldes, Eckmanns und Anderer. Das kann nicht Zufall sein. Die Welt¬
anschauungen, die der sozialen und der romantischen Kunst zu Grunde liegen, sind
unvereinbar; die Kunstmittel sind hier und da ähnlich. Nun besteht zwischen for¬
malem Mittel und poetischer Absicht eine tiefe Verbindung, die in der verborgenen
Werkstatt der Kunstempfindung geschlossen wird. Die Frage ist: deutet diese Ein¬
heit der formalen Empfindung auf eine endliche Einigung der kämpfenden Welt¬
anschnuungen hin, giebt es hier eine Andeutung, daß sich der sociale Geist mit dem
aristokratischen, der christliche mit dem hellenischen verschmelzen kann zu einer ein¬
zigen, großen Weltanschauung, die im Stande ist, jede alte und neue Sehnsucht
unseres Herzens zu beantworten? Oder, wie ist die Erscheinung sonst zu verstehen?
Von dieser Frage wird die Ruhe noch mancher Generation abhängen.
Neue Deutsche Rundschau (XII).