Faksimile

Text

box 20/3
14. Der Schleier der Beatrice
168
Notizen und Besprechungen.
erfüllt; aber da sie vernahmen, daß vielleicht schon morgen unsere geliebte
.. u. s. w.
Stadt an allen vier Ecken in Flammen aufgehen wird“
Oder eine andere Stelle, an der ein gewisser Capponi, seines Zeichens
Gewürzhändler, spricht: „Was fällt Euch ein! Daß ich seufze, ist eine
Angewohnheit, eine üble Angewohnheit, wenn Ihr wollt, oder auch eine
philosophische Angewohnheit. Aber, um auf das Rosenwasser zurückzu¬
kommen, so könnte es immerhin auch das persische gewesen sein.“ Kann
man Shakespeare's Ausdrucksweise treuer kopiren? Auch der Herzog er¬
innert an Shakespeare, wenn er zu Beatrice spricht:
„Ich bin bereit, so gänzlich zu verzeih'n,
Daß Du als Herzogin rückkehrst in's Schloß,
Wär's auch von einem höchst verruchten Ort.“
Man beachte das „höchst verruchten Ort“
Der Schluß des ganzen Dramas ist vollkommen im Stile Shakespeare's
gehalten. Wie bei dem englischen Dichter dem todten Helden gewöhnlich
ein ehrender Nachruf von dem überlebenden zu Theil wird, so läßt auch
Schnitzler den Herzog an Filippo's Bahre also sprechen:
Euch aber, denen diese Stadt vertraut ist,
Bis And're kommen, nicht mehr ich und die,
Trag' ich die Sorge auf, im ersten Glüh'n
Der Morgensonne, die zum Abschied grüßt,
Den Leichnam dieses sehr geliebtes Dichters
Im Grab des Bentivoglio zu bestatten.
Und diese“) hier wie ihn! Die Spanne Zeit,
Die sie um's Licht des Lebens noch geflattert,
Bedeutet jetzt nichts mehr, sie starb mit ihm.
Er liebte sie, er starb, weil er sie liebte,
So ist sie hochgeehrt vor allen Frau'n!
Dem Wiener Dichter wäre ein in hohem Maße Shakespeare'sches
Werk gelungen, wenn seinen Figuren nicht gerade das fehlte, was die
Gestalten des Briten an Uebermaß besitzen: Blut und Leben. —
In dem Roman „Frau Bertha Garlan“ hat Schnitzler ein seiner
würdiges, in seiner Art vollendetes, feines und vornehmes Kunstwerk ge¬
schaffen. Die Objektivität und Plastik der Darstellung kann kaum über¬
troffen werden. Frau Bertha Garlan ist eine Dame, die ohne Liebe
geheirathet und sehr früh ohne übergroßen Gram Wittwe geworden ist.
So hat sie wohl einen kleinen, lieben Sohn, kennt aber die Liebe nicht.
Es liegt etwas Rührendes und Komisches zugleich über dieser Frauengestalt,
die mit großer Treue erfaßt und dargestellt ist. Bewunderswerth ist die
Komposition des Romans. Frau Vertha Garlan steht in der Mitte. Sie
lernen wir zuerst kennen, bis in's Innerste. Um sie gruppiren sich alle
*) Die todte, von ihrem Bruder erstochene Beatrice nämlich.
an
Roma
steht, glaube ich nicht. M
Zola's Romanen. Der so
Kunstwerk noch die Herze
aber ist sein Gegenwartsn
nicht allein, vielleicht nicht
Mehr als der Kunstfreun
Kunstgattung nehmen. De
schaftliche volkswirthschaftlich
genaue Darstellung der V
wie Dinge und Menschen
aber auch die Menschen in
Roman vermag über diese
Messchen mit Leib und S
deutlich vor Augen zu stell
geschichte. Der Sozialpolih
Behandlung, Wohnung, Häu
Die Klarstellung aller d
deutlichen Eindruck doch
hinaus. Zu innerem Verst
er an Stelle des abstrakt
Schicksal des Dienstmädche
hier aus einem Hause ins
ihren Gegenstand mit leh
Verständniß, großer Objekt
kraft behandelt zu haben.