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kennt ihn nicht mehr. Und traurig kehrt er zu seiner
Dichters zurückzuholen. Den Dichter, den er an jenem
Frau zurück. Es ist die alte Geschichte, von der schon das
Abend endlich persönlich kennen zu lernen gehofft hatte,
Volkslied warnend sagt, wie es nicht gut thue, wenn ein
findet er neben dem Schleier tot; er hat Gift getrunken,
Jüngling zwei Mädchen liebe. Sie ist aber im ganzen
da er innerlich mit seinem Leben fertig war. Beatrice
vortrefflich erzählt und erschließt manchen Blick in die
wird von einem über ihre untreue Natur ergrimmten
Tiefen der Menschennatur. Nur der Schluß ist ein wenig
Bruder erdolcht. In dem Augenslick, da die Morgenröte
ungeschickt gemacht. Wie hier Basedow ohne vorherige
anbricht, rüstet der Feind sich zum Sturm auf die Stadt.
Anmeldung beim Direktor der Anstalt gleich ins Zimmer
Der Herzog eilt auf den Wall zum Todeskampfe mit dem
der Kranken gelangt, das ist in hohem Grade unwahr¬
Valentino, womit das Schauspiel schließt. Was in diese
scheinlich. Und noch eines ist zu sagen: so wie die Sache
Haupthandlung für Nebenhandlungen eingeflochten sind
nun einmal lag, mußte Basedow entweder Kitty oder
und welche Nebenpersonen, unter denen namentlich zwei
Eugenia unglücklich machen. Und eigentlich durfte er in
Florentiner Courtisanen sich hervorthun, die das roman¬
diesem schlimmen Dilemma erwarten, die geistig höher
tische Stück reich beleben, kann hier nicht erzählt werden.
Stehende, die Siudentin der Mathematik, werde eher
Auf Loschi und Beatrice kommt alles an, sie sind die
über eine solche Enttäuschung hinwegkommen, als das
wichtigen Gestalten. Beide stehen sie jenseits des sitt¬
schlichte Bürgermädchen, dem er zu Hause die Ehe ver¬
lichen Verantwortlichkeitsgefühls. Loschi ist zwar bereit,
sprochen hatte. Insofern muß man seine Handlungsweise,
sich ohne Widerspruch vom Grafen Andrea, dem Bruder
abgesehen von dem Unrecht der ersten Untreue, das
der verlassenen Braut, nieberstoßen zu lassen, aber nur,
er begieng, — als relativ korrekt billigen, eine Er¬
weil er Mannes genug und stolz genug ist, den äußer¬
wägung, durch welche das Interesse an Eugenias Schick¬
lichen Konsequenzen seiner Handlungsweise nicht auszu¬
sal einigermaßen abgeschwächt wird.
weichen. Vor seinem eigenen Selbst nimmt er als Dichter
das Herrenrecht eines Bevorzugten in Anspruch, der von
Boubouroche. Tragische Possen von Georges
seiner Phantasie allein bestimmt wird, sich in seinem von
Courteline. Deutsch von Sigfried Trebitzsch. (Wiener
der Phantasie abhängigen Liebesleben volle Wahrheit
Verlag. 1901.)
schuldet. Beatrice handelt ebenso unbedenklich wie die
Drei der Dialoge aus dem Pariser Leben, die das
antike Helena. Wie diese ist sie die Verkörperung des
kleine Buch umschließt, haben doch wohl nur für Pariser
aphrodisischen Lebenszweckes und in den Wechsellaunen
Sinn und Reiz; Gepflogenheiten und Typen der Pariser
ihres Herzens so unschuldig wie die Amsel im Frühlings¬
Polizei und der Post und sonstigen Beamtenwelt sind
walde. Dem Vorwurfe, den ethische Beurteiler dem
Gegenstand der kleinen satirischen Karikaturen. „Bou¬
Schauspieldichter daraus machen könnten, daß er solche
bouroche“ aber, ein Dialog in zwei Scenen, wird — ob¬
Naturen in die schöne, verführerische Beleuchtung der
schon ebenfalls sehr pariserisch — überall Spaß machen.
Daß darin die ungeheure Ueberlegenheit des frechen
Kunst gerückt habe, begegnet er badurch, daß er sie tragisch
Weibes über den von ihm betrogenen gutmütigen Mann
zu Grunde gehen läßt; sie zahlen ihre Eigenart mit ihrem
geschildert werde, kann man nicht ohne weiteres sagen;
Leben.
Als Theaterbichtung ist Schnitzlers „Schleier de Jea¬
man muß wenigstens hinzusetzen: über den Mann, der
vorher fünfzehn Glas Bier getrenken hat. Bonbouroche,
trice“ ein für den Regisseur ungemein dankbares Stück,
den auf dem Umschlag des Buches ein lustiges Bild von
indem es Gelegenheit giebt, alle Künste moderner Aus¬
F. Barrère porträtgetreu darstellt, ist doch kaum mehr ein
stattung und Pracht der Inscenierung zu entfalten. Ebenso
Mann, sondern ein Schwamm. Daher kann man es nicht
stellt es den Mimen große Aufgaben und bietet Ueber¬
tragisch nehmen, wenn seine Geliebte ihm schließlich ver¬
raschung auf Ueberraschung, da immer wieder etwas an¬
zeiht, daß sie ihn acht Jahre lang mit einem jungen
deres geschieht, als man erwarten konnte, und dieses
Menschen betrogen hat, den er eines Tages im Wand¬
andere, wie sprunghaft es manchmal einsetze, doch psycho¬
logisch gerechtfertigt wird. Und ebenso ist der poetisch¬
schrank ziemlich komfortabel eingemietet entdeckte. Nicht
nur die Völker haben die Regierungen, die Männer auch
litterarische Wert der gedankenvollen Dichtung unbestreit¬
bar, obschon der Dialog in den versifizierten Seenen öfter
die Frauen oder Maitressen, die sie verdienen.
Franz, Roman von Adolf Wilbrandt. (Stutt¬
etwas schwülstig und schwerfällig ist und hie und da an
ein mühseliges Schreiten in langen Prachtgewändern ge¬
gart. J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger. 1901.)
452 S. Preis geheftet 3 M. 50.
mahnt.
Wilbrandt ist thätig; in der „N. Zürch. Ztg.“ erscheint
Die Studentin. Eine Novelle von J. E. Po¬
von ihm ein Roman Ein Mecklenburger“. „Franz“ ver¬
ritzky. (Berlin, Hermann Walther 1901.)
dient Käufer und Leser. Die Leser werden sich gefesselt
Man muß aus dem Titel dieser tragisch verlaufenden
fühlen, ob aber immer und zuletzt befriedigt, ist eine
Liebesgeschichte nicht etwa den Schluß ziehen, die beson¬
andere Frage. Franz ist ein so vollkommener Muste¬¬
dere modeene Erscheinung der Studentin im socialen Le¬
mann, er wird von seinen Bekannten und Freunden der¬
ben der Gegenwart sei Gegenstand der Novelle. Daß
maßen angestaunt und vergöttert, daß man fast nicht an¬
Eugenie Madjanska in Berlin Studentin ist und als
ders kann, als rebellisch oder neidisch werden. Sein
solche den Studenten Basedow kennen lernt, ist mehr ein
vielsagendes Lächeln wird zu oft hervorgehoben. Daß der
zufälliger Umstand als ein entscheidendes Merkmal der
Roman geistreich ist, versteht sich; man darf hehaupten,
Handlung. Um ihretwillen vergißt Basedow seine Kitty,
er habe sittliche Haltung, zeige sogar manchmal religiöse
die er als Verlobte im Heimatstädtchen zurückgelassen hat.
Weihe; um so mehr befremdet es, daß Franz, während seine
Als dann ein Brief dieser Kitty der edeln Eugenia in
Frau in der Irrenanstalt weilt, ohne Scheidung sich in
die Hände fällt, verläßt sie sofort Basedow, kann aber
ein ernsthaftes Liebesverhältnis einläßt.
die schreckliche Enttäuschung ihrer ersten und reinen Liebe
Seine Selbstopferung erweckt bei allem Edeln doch
nicht verwinden. Sie verfällt in Trübsinn und wird end¬
Widerspruch. War es wirklich Pflicht, daß er den an
lich wahnsinnig. Inzwischen war Basedow in seine Hei¬
Flecklyphus todkrank darnieder liegenden Freund küßte
mat gereist, hatte — nicht ohne geheime Selbstvorwürfe
und zwar auf den Mund küßte und sich damit selber töd¬
Kitty, die er wieder sehr reizend fand, zu seiner Frau
lich ansteckte, während der Kranke in seinem Fiebertaumel
gemacht und sich leidlich in das kleine Philisterdasein des
kaum wußte, was ihm geschah? Standen nicht andere,
Provinzstädtchens gefunden. Ein Jahr später aber führt
wohl höhere Pflichten entgegen, z. B. die Rücksicht auf
ihn sein Weg wieder nach Berlin und nun erst erfährt
seine Frau, eben jenes, unterdessen nach dem Tode seiner
er, daß Eugenia als unheilbar wahnsinnig in einer Pri¬
vatirrenanstalt untergebracht ist Dort besucht er sie: sie ersten Gattin geheiratete Mädchen?
Druck und Verlag von Jent & Co. in Bern.