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wie einer seiner Kammerherren scharssinnig an die Stelle dichterischer Wahrheit eine spielerische,
Seeneshen ennen en e en ene enschel
e
erkt — wenn seine Sehnsucht nach Beatrice so frostige Dialektik. Man hört so oft von poetischer
beinahe — August Wilhelm Schlegel.
wäre. Der Herzog hat sich vor seinen ehelichen Gerechtigkeit reden: Schnitzlers Stück beruht geradezu
Im Uebrigen behandelt Schnitzler die Sprache mit
hten seiner stadtväterlichen Pflichten erinnert, hält auf poetischer Ungerechtigkeit. Filippo Loschi verstößt
nicht gewöhnlicher Sorgfalt und klugem Verständniß
gsrath, entdeckt ein Complot seines Statthalters, Beatrice, weil sie „die Dirne ihres Traums“ geworden.
für ihre Wirkungen. Nach der scandirten Prosa des
#ielt einen Anschlag des Borgia und hat, da ihn Die Frage bleibe aus dem Spiele, ob der Renaissance¬
„Paracelsus“ läßt der „Schleier“ eine ansehnliche
Höfling vor der Herzogin warnt, die selbstgewisse Typus wirklich so überempfindsame Züge verträgt,
Steigerung des Formvermögens erkennen. Von Klang¬
wort: Ihr hegt mehr Treu' als Klugheit. Bald ob da nicht am Ende der Literatur=Neurastheniker
mißbräuchen und sprachlichen Instrumentations=Effecten,
er inne, daß sein Höfling mehr klug ist #s
von heute sich Costüme und Geberde jener Kraftzeit
wie sie von ein paar Gymnasiasten der Literatur in
Herzogin treu. Er sucht und untersucht, wittert anmaßt. Genannter Filippo Loschi selbst ist aber sonst
die Mode gebracht wurden, bleibt Schnitzler durch sein
neue Unthat Cäsars, nimmt Eltern und Schwester
recht derber Innenconstitution und gar nicht so delicat.
Talent und seine künstlerische Aufrichtigkeit bewahrt.
Vermißten ins Verhör, jagt seine garden party
Er verläßt nach eigenem Geständniß seine Braut, weil
Ihm ist der Vers nicht die „süße Gewohnheit der
kinander, legt jenem verrätherischen Statthalter den
sie ein Ansinnen zurückweist, welches an Realität
gebundenen Rede“ sondern der sachnothwendige Aus¬
vor die Füße — das alles schafft ihm Beutrice
über die Möglichkeit eines Traumes und ein Abenteuer
druck des dramatischen Thatbestandes. Man muß nur
. Und sie muß er haben; alles Andere, Bologna,
der Seelc erheblich hinausgeht. „Im Zorn versagter
bedauern, daß die Gestaltung der Form nicht mit
drohende Schlacht, Cäsar Borgia ist ihm gleich¬
Lust“ bricht er einem edlen Weibe die Treue, und
jener des Stoffes gleichen Schritt hält. Schnitzler
worden in seiner unsäglichen Verwirrung.
von dem Geschöpfe, das ihm vor der Stadt, bei Spiel
leidet an Arhpthmie des dichterischen Pulses; die¬
ganzes Leben preßt sich zusammen in die eine
und Tanz in den Weg läuft, fordert er Treue bis in
ser setzt völlig aus, wo man seine stärksten Leistungen
den Traum. Beatrice hält sie ihm bis in den Tod.
e: Wo ist Beatrice?
erwartet. So in der Orgie des vierten Auf¬
ndlich! da ist sie. Sie sucht zuerst sich durch¬
Sie will mit ihrem Dichter sterben, weil ihre ganze
zuges. Die Glut, in der die Scene gedacht ist, wird
herauszulügen. Da sieht der Herzog, daß der
mit ein paar dünnen Tupfen von der Makart=Palette
Seele nach ihm ringt. Mit dem Schleier, der zur
ier fehlt. Neue Ausflüchte. Die Lebensfrage: wo Erde gleitet, ist alle Noth und aller Irrthum
bestritten und die Regierorschrift: Alles wirkt wie
Beatrice? wird verdrängt durch die andere: wo
der Erde von ihr genommen. Sie will nur noch ein¬
Schattenbilder, scheint schließlich auf die Dichtung
ser Schleier? Der Herzog will ihn mit ihr holen,
selbst gemünzt.
mal vereint mit dem Geliebten, Mund an Mund
üsie ihn verlor. Und da sie sich dieses Ganges
In Schnitzlers Geistesart steht dem Mangel an
und Herz an Herzen, den jungen Morgen schauen,
sdernd weigert, erklärt Lionardo sie des herzoa¬
Ursprünglichkeit ein außerordentlich entwickelter Sinn
und im ersten Aufglühen des Tages „soll's gethan
Rangs verlustig und überliefert sie dem Ge¬
sein“. Und was bietet Filippo für die Innigkeit dieses
für die psychologische Enpirie entgegen oder vielleicht
und Urtheil seines Hofes. Der Spruch lautet:
Frühlingsopfers? Eine Kostprobe des Todes. Das ist nicht
zur Seite. Alles, was Beobachtung voraussetzt, bohren¬
durch's Schwert. Zum zweitenmal in dieser Nacht,
bloß unsittlich — die Anklage träfe nur den Helden
des Sicheinfühlen in seelische Zustände und ihre Gleich¬
der Herzog selbst grauenvoll nennt, durchlebt
— das ist auch unwahr, und dieser Vorwurf trift den
gewichtstörungen, gelingt ihm vortrefflich. So möchte
frice das Entsetzen der Sterbestunde. Sie klammert
es zu erklären sein, daß und warum Schnitzler als¬
Dichter. An Schnitzlers Beispiel läßt sich zeigen, daß die
ans Leben: sie will den Schleier bringen, wenn wahre, die künstlerische Wahrheit nicht mit dem Me߬
literarischer Typus Respect einflößt ohne Begeisterung.
erzog mit ihr geht und schwört, dann nach
Er ist ein Mittelbarer. Innerhalb dieser Grenze seiner
apparate des Raisonnements zu erfassen ist und mit
zu fragen. So kommen sie in Filippo's Haus.
der Gescheitheit des Alltags nichts zu schaffen haben Begabung bietet er eine Fülle von Anregung. So ist
grice nimmt den Schleier auf und will gehen. Aber
seine Beatrice als Charakterstudie eine erstclassige
will. Schnitzler ist ein constructives Talent; seine
Herzog hat nur geschworen, keine Frage zu thun, nicht
Probleme sind die eines mathematischen Kopfes, aber
Leistung. Sie verblüfft immer aufs neue durch den
den Ort gleich wieder zu verlassen. Er will hier
gerade in ihrer scheinbaren Exactheit, ihrer posirten Reichthum des Beobachtungs=Materials, durch das reiz¬
Tag erwarten. In Beatrice wächst die Angst.
voll bewegte Detail und durch eine Kenntniß der
Selbstverständlichkeit durchaus unkünstlerisch. Da ist
Bitten den Gemahl nicht überreden, versucht
Frauennatur, wie sie in gleicher Feinheit und Tiefe
Alles zurechtgedacht, arrangirt, das Leben nicht durch
s mit schmeichelnder Verführung: daheim er¬
heute nur noch bei Marcel Prévost zu finden ist.
ein Temperament geschant, sondern durch ein Ver¬
len ihn ihre Küsse. Aber der Herzog hat anders
Beatrice Nardi stammt — und das ist kein schlechter
standesprisma zerlegt. Filteranlage statt Sturzgewässers.
ossen: seine „wunderbare Hochzeit“ soll hier
Schnitzler componirt dramatische Schacufgaben, aber
Pedigree — von Rahel ab, der schönen Jüdin von
,wo Beatrice den Schleier ließ. Er hebt den
Schachbretter sind es nicht, die die Welt bedeuten.
Toledo. Gleich ihr ist sie eine Thörin, die sich zehnmal
ang des Alkoven und erblickt Filippo's regungs¬
Daß dieser Calcul nicht eben immer Wahrscheinlichkeits¬
in jedem Athemzuge widerspricht, gleich ihr ein ver¬
Körper. An ihm, dem Schänder seiner Ehre,
wöhnt, verwildert Mädchen, gleich ihr ein Traum nur
Rechnung ist, erweist sich an einem Angelpunkte der
ler schlafend oder berauscht wähnt, rast er seine
einer Nacht. Auch von ihr gilt das Wort, daß sie alle
Handlung. Soll das Stück überhaupt Fortgang und
aus in fürchterlicher Beschimpfung, bis er
Fehler dieser weiten Erde in sich vereint, und dann
Lösung finden, s) muß Beatrice von ihrem Gemahl
int, daß ein Todter vor ihm liegt. Er wendet
jenes andere, das König Alphons der todten Geliebten,
zu ihrem Geliebten gehen. Es ist nicht anzunehmen,
zu Beatrice: „Du hast's gewußt?“ Sie hat's
nicht einer geliebten Todten — nachruft:
daß Ersterer seine Zeit und seine Rechte so lässig
st.
nützt, um Ausflüge seiner Gattin möglich zu machen,
„Sie war die Wahrheit, ob verzerrt,
All, was sie that, ging aus aus ihrem Selbst,
die es bisher nur dem Namen nach ist. Man denke,
„Warum noch diese letzte Schmach, den Toten
Urplötzlich, unverhofft und ohne Beispiel.“
Mich schmäh'n zu lassen?
was der Herzog von Bologna sich's kosten ließ, in
Beatrice.
So deutet auch Filippo das Wesen Beatricens:
den Besitz des Weibes zu gelangen, das ihn ent¬
„Ja, dies war die letzte.“
daß mit jedem Pulsschlag durch ihre Adern andere
zückt wie kein Weib zuvor. Er ahnt, daß diese
Wahrheit rinnt. Rahel wird einmal ein „albern
#em Herzog sind zwei seiner Vertrauten gefolgt;
Nacht die letzte ist, die Borgia ihm läßt, und viel¬
spielend, thörichtweises Kind“ genannt. Und der Herzog
lihnen kommt die Familie Nardi. Francesco und
leicht hat eben diese Ahnung ihn vermocht, eine
Lionardo sagt zu Beatrice und von ihr:
a toben wider die Schwester, freilich aus ver¬
Sinnenlaune um so hohen Preis zu befriedigen.
denen Gründen. Mutter Nardi will, daß Beatrice
„So nannten wir dein Thun
Daß er gerade den Augenblick, der ihm Erfüllung
Betrug und Frevel — und du warst ein Kind.“
Herzog um Gnade für ihr Leben anflehe. Aber
seines Einnachts=Begehrens verheißt, den Staats¬
hat Beatrice genug vom Leben. Sie ist müde,
Am Ende sind Rahel und Beatrice doch wieder
geschäften widmet, einen Verräther zum Tode ver¬
üde wie nie auf Erden jemand war, so müde,
Triebe gleichen Erdreichs: die Eine so wenig von
dammt, da ihn selbst das Leben mit seinen
gnichts mehr in ihr ist als Sehnsucht, wie Filippo
Toledo als die Andere von Bologna. Wenn Beatricens
mächtigsten Lauten ruft, ist eine — sagen wir —
gen und fertig sein. Sie bittet den Herzog um
Schleier fällt, erscheint das wohlbekannte süße Mädel.
Gefälligkeit; vielleicht weniger für Filippo Loschi als
Tod: „Ein Stich und Allen ward nach Willen.“
Decoration und Costüm thut nichts zur Sache. Ueber
für Arthur Schnitzler. Dieser braucht Beatricens
da ihr der Herzog diese Gnade weigert, stürzt
das Bologna Schnitzlers streicht ein leiser, kühler
Besuch. Wie er ihn herbeiführt, ist typisch für seine
cesco hervor und ersticht sie als Soldat und
Hauch vom Wienerwald.
dramatische Technik, deren Schwächen der Schleier
Der Fürst hält dem todten Dichter und seiner
Das Stück zwingt zum Nachdenken, nicht so um
der Beatrice mehr verräth als verhüllt. Dazu kommt
bten eine würdige Leichenrede. Beide sollen im
seiner selbst als um des Schicksals seiner Gattung
ein oft erstaunlicher Mangel an dramaturgischem Augen¬
egräbniß der Bentivogli ihre Ruhestatt finden.
willen. Dieses österreichische Renaissance=Drama weckt
maß. Mit dem Herzog ist Graf Andrea Fantuzzi
„Er liebte sie, er starb, weil er sie liebte,
die ernste Frage: ob für Oesterreich eine Renaissance
heimgekehrt. Er findet Verwüstung in seinem Hause:
So ist sie hochgeehrt vor allen Frau'n!“
des Dramas zu hoffen ist. Wilhelm Scherer hat
die Mutter hat ihm der Tod geraubt, die Schwester
kon den Thürmen lünden die Glocken, daß der
einmal unserem Grillparzer den geschichtlichen Platz
das Leben. Die Untreue ihres Bräutigams Filippo
um Bologna beginnt. Der Morgen ist da,
angewiesen in der fortgesetzten geraden Linie, die
hat ihren Geist verwirrt. Befund: Aphasie, „fürchter¬
von Gottsched über Lessing zu Schillers „Wallenstein“
Borgia ist da. Vorhang.
liche Stummheit". Sprach= und theilnahmslos läßt sie
as ist die Fabel in ihren wesentlichen Zügen.
Dinge und Menschen an sich vorüberziehen; unter führt. Auf österreichischem Boden hat dieser Ent¬
ng und Rundung, Neben= und Zwischenvorgänge
Anderem auch eine Standrede, die ihr Andrea hält, wicklungszug des „classischen" Dramas mit Grillparzer