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14. Der Schleier der Beatrice
se od so eller, äpiger Gedanten von sich, aber der
K W
Traum wird Wahrheit. Sie hat die Gabe, Andere zu
hypnotisiren und selber der Suggestion zu unterliegen.
Warfe une-gaifor Kunst
Der Herzog lockt sie durch die Macht seiner Persönlich¬
„(Wisgesschafff2) #undLirferatur)
keit und das Versprechen, ihr einen kostbaren, wunder¬
vollen Schleier zu schenken, aus den Armen ihrer Eltern,
MN
ihres Bruders, ihres Verlobten an sich. Halb sinkend,
Deutsches Theater.
halb widerstrebend, weiß sie doch noch im Unterliegen
** Zum ersten Mal: „Der Schleier der
über ihn zu triumphiren. Nur als sein angetrautes
Beatrice“ Schauspiel in 5 Akten von Arthur
Weib will sie ihm angehören, und der stolze, herrische
Schnitzler. Ein litterarisches Ereignis, ein
Herzog, der Sieger über unzählige Frauenherzen,
großenteils litterarischer Zuschauerkreis! Litterarische
wird unter ihrem bezwingenden Blick schwach und
und kommunale Bedeutung vereinen sich im
weich. Sie wird Herzogin, um von diesem
Bürgermeister Dr. Reicke, der dicht vor mir
Augenblick ab dem größten Teil ihrer Mitbürger als
sitzt. Aus einer Loge blickt Max Harden mit
Hexe, als Bundesgenossin des Teufels zu erscheinen.
olympische Erhabenheit auf die „Gründlinge des
Beatrice vermag aber nur Andere zu besiegen, nicht
Parterre“ herab. Wie wird er sein Richtschwert
sich selber zu beherrschen. Sie ist ein ganz abnortes,
führen? Wird er den armen Delinquenten, genannt
krankhaft veranlagtes Wesen, wie ein Rohr vom Hauch
Autor, bloß leicht ritzen oder wird er ihn morden?
ihrer Eingebungen bewegt. Sie gehört dem Herzog
Seine Züge sind unbeweglich und lassen das Urteil
an, aber vermag vom Dichter nicht zu lassen. Der
nicht ahnen. An Dramatikern, die von der Kritik mit
Herrscher hat ihren Willen gebändigt, aber
oder ohne das Prädikat „Herr“ genannt werden,
den Sänger gehört ihr Herz. Hier setzt eine
ist kein Mangel. Vom Schlusse des zweiten
düstere Tragik ein, die tief ergreifen würde, wenn sie
Aktes setzt der Beifall ein und der Dichter, ein schöner,
glaubwürdiger durchgeführt wäre. Der arme Dichter
stattlicher Mann mit Vollbart und einer Art männ¬
fällt als Opfer ihres Wankelmuts und Beatrice selber
lichem Cléo de Mérode=Scheitel, erscheint vor dem
wird von ihrem eigenen Bruder erstochen. Irene
Vorhang, um sich mit Anmut und Würde zu verneigen.
Triesch verfügt in vollem Maße über das Nixen¬
Der Erfolg steigert sich von Akt zu Alt. Wenn einer
hafte, Rätselvolle, Suggestive, durch das allein die
unserer jüngeren Dramatiker ein Renaissancestück schreibt,
Gestalt
der Beatrice verständlich gemacht werden
so hat er den Vorteil, seine Gestalten in bunte,
kann. Vielleicht war sie etwas zu zart,
um
glänzende Kostüme zu kleiden. Vom Geist der
die ungeheure Kraft zu veranschaulichen, mit
Renaissance ist sehr wenig in dem Stück, dagegen
der dieses bestrickende Weib die Mannes¬
viel von moderner Hysterie Die Worte sind
herzen unterwirft. In Sprache und Spiel hervor¬
klang= und stimmungsvoll, aber arm an packender
ragend war Friedrich Kayßler als Herzog. Diese
Gedankenwucht. Der Schleier der Beatrice ist eine
Gestalt kann nicht größer aufgefaßt und leidenschaft¬
Art Maja=Schleier, ein Werkzeug der Täuschung und
licher verkörpert werden. Rudolf Rittner, der
der Verführung. Ein wunderbarer, geheimnisvoller
Alleskönner, war als Dichter nicht an seinem
Zauber geht von dieser Bürgerstochter Bolognas aus,
Platz. Der Meister realistischer Darstellung ver¬
sie ist ein Stück Hellseherin, halb Mignon, halb Circe.
mag sich nicht vom Schwung der Verse in ein phan¬
Im Traum sieht sie sich als Gattin des Herzogs
tastisches Taumeln fortreißen zu lassen. Schon seine
von Bologna, und der ihr in Liebe und Freund¬
Sprache ist nicht ausreichend dafür geschult. Der
schaft zugethane Dichter Filippo Loschi stößt ] Diphtong ei muß in gebundener Rede unbedingt wie
ai ausgesprochen werden, der Tonfall darf nichts Ge¬
hacktes, er muß etwas Gleitendes, Schwebendes haben.
Prachtvoll war Luise Dumont als ältere Schwester
der Beatrice, der ausgezeichnete Bassermann konnte
dagegen dem jugendlichen Ungestüm des Bruders nicht
gerecht werden.
E. K.