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14. Der Schleien der Beatrice
Drang zum gangenen Vittorino noch blutet, Herzogin von Bologna, am
erbleichen
Altare mit dem kostbaren Schleier umkleidet, den der Herzog aus
illen. Aber
dem Morgenlande mitgebracht hat. So kommt sie, nach neuem
r ist dieser
Leben fiebernd, zum zweiten Male zu Filippo Loschi. Gemein¬
sam, fordert er, wollen sie beide den Giftbecher trinken. Aber
dem ersten
ihr Lebensdrang, der sich an die künftige Stunde klammert,
mmen hat.
ischen Re¬
schrickt vor dem Becher feige zurück. So stirbt der Geliebte
die Hand¬
allein; bei ihm zurück bleibt nur der Schleier, den Beatrice
baren Tode
auf der bebenden Flucht vor dem Tode bei dem Sterbenden
Zum Herzog zurückgekehrt und
vergißt.
re Borgia,
für treulos
erkannt, soll sie sterben, wenn sie den Schleier nicht
lechzt der
wiederschafft. Und sie wagt, abermals aus
ens.
In
Lust zum
ines irren
Leben, aus Furcht vor dem Tode, an der
Seite des
von kind¬
Gemahls zum dritten Male den grausigen Gang. Schleier
ler Tragik.
und Leichnam offenbaren dem Herzog endlich die Lösung ihres
verschleierten Wesens:
ngslosigkeit
Parst du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
ndersamen
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte, —
dekindschen
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel, —
der Wiener
Mit eines Jünglings Herzen, weils dir just
tbrennt zu
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
chnell, wie
Und leiden's nicht, und jeder von uns wollte
en Dichter
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein, mehr!
Kebensglut;
Die ganze Welt. So nannten wir dein Tun
Betrug und Frevel — und du warst ein Kind!...
unbewußte
Von der Hand des Bruders der ein Horatier und Valentin
wendet er
er zurückge¬
in einer Person, stirbt sie. Der poetische Träumer und der
llen. Aber
gutgläubige Narr aus dem Volke gehen an ihr zu Grunde; der
. Schon
adlige Herrenmensch schreitet über sie hinweg, zu neuem Leben,
wie er hofft:
Hand fürs
Das Zeichen tönt, und mächt'ge Neubegier
Bologna,
Wie nie zuvor beflügelt meinen Schritt ...
vorher ge¬
Die frischen Morgenlüfte atm' ich durstig
ren. Nicht
Und preise dieses Leuchten aus den Höhn,
in den
Als wär er mir allein so reich geschenkt.
unter den
Das Leben ist die Fülle, nicht die Zeit,
b fragen!
Und noch der nächste Augenblick ist weit!
denn zwei
Nur wenn es Schnitzler gelungen wäre, ein packendes und
en Tod ge= zwingendes Gemälde der Sinnenwelt der Renaissance, des
box 20/4
„letzten Tages“ von Bologna vor uns hinzuzaubern, wäre diese
schreiend bunte Handlung durch höheren Sinn motiviert. Aber
gerade diese unheimliche Ausnahmestimmung bleibt aus. Es
sind und bleiben, auch beim Aufgebot so vieler Gestalten und
Typen aus Adel und Volk, lauter einzelne Steine und
Steinchen, die sich zu keinem künstlerischen Geschmeide zusammen¬
finden.
Den spielerischen Händen, die in niedlichen
Kostbarkeiten von Gedanken, Bildern und Worten wählen,
fehlte es an der Kraft, den Ernst der Dinge zu fassen.
Psychologie, allzu spitz und behende, um zu überzeugen, tauscht
ihre Rolle jeden Augenblick mit bleubender Taschenspielerei, die
Menschen und Gefühle bunt durcheinander wirbelt. Grill¬
parzers „Jüdin von Toledo“ schwebt durch die Gassen von
Bologna; Beatrice verrät mit ihr, der Herzog mit dem
König oft überraschende Aehnlichkeit. Aber diese Aehnlich¬
keit offenbart nur die Unfähigkeit Schnitzlers, aus schön
erdachten Einzeleinfällen den versonnenen Tiefsinn des Lebens
aufsteigen zu lassen, der uns bei Grillparzer oder bei Hebbel
denn auch er winkt herein — menschlich ergreift. Letzten
Endes ist dieser Mangel an Vermögen bei hohem Wollen eine
Schwäche des Charakters: der träumerisch weichen und weib¬
lichen Sinnlichkeit dieser Wiener Molluskenkunst wird sich das
Heroische immer und ewig versagen.
Die Darstellung des „Deutschen Theaters“ war so mäßig,
wie wir es bei hohen Versdramen hier nun schon gewohnt sind.
Nur Kayßler als Herzog, voll schlichter, herber Kraft gab eine
achtunggebietende Leistung.
F. D.