Faksimile

Text

14: Der Schleier der Beatrice
sie nimmer los zu lassen. „Schwört mir, daß Ihr
ist ihr alles. Wie ein Kind treibt
So führt
nichts fragt, und haltet meine Hand.
nit dem Erhabensten und Ciedrigsten
sie ihn zu Filippo Loschi. Dort vor seiner Leiche er¬
Sei es Liebe, sei es Tod ..
kennt der Herzog, was ihn so rätselhaft zu Beatrice
ng gibt für ihre Phantasie. Und
durch den Sinu, mit Filippo gemein¬
zog.
Als dieser aber scheinbar
Warst Du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
ihr den Becher einschänkt und dann
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte —
eide den Tod daraus getrunken, da
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Rätsel —
nd bettelt sie in feigster Todesfurcht,
Mit eines Jünglings Herz, weil Dir es just geschenkt ware ...
So nannten wir Dein Tun
er sie davon zum zweiten Male, er¬
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!...
Gistbecher, leert ihn auf einen Zug
mmen. Beatrice aber schleicht zu¬
Und er wendet sich von ihr und gibt sie ihren
zu ihrem Herzog. Im vierten Akt
Eltern wieder ... ihr Bruder Francesco aber stößt
Das Bancchanal hat seinen Höhe¬
ihr den Dolch ins Herz. Damit endet der fünfte Akt.
auch ihre Abwesenheit ist bereits
Der Herzog wird am nächsten Morgen dem Borgia
Man sucht sie überall. Boten werden
entgegenziehen und wird wohl siegen, denn er ist ein
tern, ihre Geschwister werden herbei¬
Mann von Heldenmut und Menschengröße. Beatrice
weiß, wo sie hingeraten ist. Der
aber war ein Weid — ein Kind!
er Sorge, er beherrscht nur mühsam
Wäre sie Herzogin und am Leben geblieben, eine
der sich seine Angst um Beatrices
neue Messalina wäre in ihr erstanden der „Erd¬
der Tumult in seinem Blut mischen,
geist“ aller Zeiten lebte in ihr!
Da tritt sie auf die Szene. Bleich,
Was der Schleier in diesem Stücke verhüllen
em Unschuldslächeln und lügt ihm
oder enthüllen soll, ist nicht recht klar geworden, und
Kirche gewesen, um zu beten.
seine symbolistische Bedeutung blieb unverständlich. Mir
wie Erleuchtung sich herab,
war er der Zauberschleier, mit dem der Dichter seine
Ort, in solchem Augenblick
ebet von höchster Kraft erfüllt.“
Gestalten umwob, die dadurch allerdings an Klarheit
einbüßten, was sie an poetischem Reiz gewannen. Der
og glaubt ihr, während alle übrigen
Wucht des Stoffes zeigte sich Arthur Schnitzler nicht
n Zweifeln lauten Ausdruck geben.
gewachsen, aber aufs neue erwies er sich als ein
zu schweigen. In diesem Augenblick
echter Poet, der viel vermag,wenn er auch vieles schuldig
rder Schleier feylt. Entsetzen erfaßt
ieder ist sie um lügenhafte Aus¬
blieb. Fein, gedankenvoll ist die Diktion seinerDichtung,
Flegen. In der Kirche will sie
edel die Form, reich der Inhalt, dramatisch bewegt
n, dann in der Straße, und als man
die einzelnen Szenen, wenn auch oft das Theatralische
dies nicht wahr sein kann, verweigert
an die Stelle der natürlichen Kraft und innern Wahr¬
#nd, jetzt jede Auskunft. Auch dem
heit tritt. Aber eines Dichters Anhauch fühlte man
s er ihr verspricht, daß er ihr alles
immer, viel stärker noch beim Lesen des Dramas, als
daß sie Herzogin und seine Gemahlin
von der Bühne. Da versagte gestern im Deutschen
immer sie getan; nur dorthin sollte
Theater recht vieles. Und konstruiert schien, was frei
sie den Schleier fallen ließ. Sie
und ergreifend hätte wirken müssen. Stillos war das
.eigensinnig. Nur das nicht!
Ganze, und niemals ist das abstoßender als bei Re¬
Ethin zurück, und erst, als sie zu Tode
naissancestücken, die die höchste Blüte von Stilvollen¬
soll, löst die Angst ihre Zunge: sie
dung veranschaulichen sollen. Nichts geschah, um die
ert und ruft den Herzog zurück und
Stimmung nur einigermaßen festzuhalten, und diese
ihn hinzugeleiten. Aber ihre Hand
nd ihr sein Herzogswort verpfänden, Renaissancemenschen aus der Schumannstraße konnten 1
box 20/4
nur ein mitleidiges Lächeln wecken. Dabei war auf
die Ausstattung viel verwendet, sie war reich und ge¬
schmackvoll, aber der Geist der Zeit fehlte. Das war
auch in der Aufführung allzu ersichtlich. Herr Rittner,
als Filipoo Loschi . .. Die Dichter des Cinquecento
mögen ihm diese Sünde verzeihen und ihn zu keinem
inker#o verurteilen, und Frl. Dumont, als Rosina,
eine Bologneser Schönheit ... das war eine bittere
Ironie. Die Künstlerin wird anfangen müssen, auf
sich zu achten. Sie ist wiederholt in eine provinzielle
Auftragung verfallen, die jedem künstlerischen Maße
Hohn spricht und alle ästhetischen. Gesetze verletzt. Das
ist nicht mehr Temperament,, von dem sie sich hin¬
reißen läßt, sondern aufdringliches Forcieren. Viel
könnte sie in dieser Richtung von Irene Triesch lernen,
die als Beatrice eine durchaus vollendete Leistung bot.
Sie umgab diese vom Dichter offenbar gar nicht deutlich
gesehene Gestalt mit einer Schönheit, mit einer Heiter¬
keit, mit einer Süße, die sie zu dem machte, was er
vielleicht in tiefster Seele empfunden hatte, aber nicht
zu gestalten vermochte. Die nachschaffende Phantasie
der Künstlerin hat dieser Beatrice erst volles Leben
eingehaucht und sie zu ganzer poetischer Wirkung er¬
hoben. Auch Herr Kayßler als Herzog von Bologna
verdient viel Lob. Er gab der Erscheinung Wahrhaf¬
tigkeit und Kraft, wenn ihr auch stellenweise die Würde
und Größe dieses vorehm, nachdenklichen, galan¬
ten Fürsten fehlte. Von den übrigen Mitwirkenden,
die in den vielfachen Episodenfiguren ihr sonderbares
Spiel trieben, zu schweigen, ist diesmal Pflicht. Es
sind Darsteller von Namen und Ruf darunter, denen
wir oft viel Anerkennenswertes danken, tüchtige und
künstlerisch durchdachte, reife Darbietungen; man soll
daher nicht allzuscharf ins Gericht gehen, wenns ein¬
mal anders kam — und wie anders! Das distinguierte
Publikum folgte der Aufführung mit dem Interesse
und der Aufmerksamkeit, die einem Dichter wie Arthur
Schnitzler in jedem Falle gebühren. Mehrere aus¬
wärtige Bühnenleiter wohnten der Vorstellung bei,
unter ihnen Herr v. Berger vom Schauspielhause zu
Hamburg.
Ulrich Frank.