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14: Der Schleier der Beatrig

Das Alles ist mit großer psychologischer Feinheit conei=, Unberechenbare, rechtfertigt die Situation. Und so durch¬
aus. Ständig muß man die Handlung nachrechnen, um sie
pirt, und die Handlung scheint zunächst der Conception der
zu begreifen, man muß die feingewirkten Fäden in ihrem
Feuilleton.
Charaktere ganz zu entsprechen. Um Loschi willen ist Bea¬
Lauf verfolgen, um das Gewebe überschauen zu können,
trice ihrem Verlobten untreu geworden, er ihretwillen seiner
aber dazu hietet die Bühnenhandlung keine Zeit, die Noth¬
Braut. Da sie ihm aber von einem Traum erzählt, in dem 1
wendigkeit der verstandesmäßigen Nachconstruktion gibt dem
sie sich mit Wohlgefallen als Gemahlin des Herzogs gesehen,
Drama als solchem ein verstandesmäßiges, ein konstruirtes
weist er sie von sich: daß sie ihn nicht wahrhaft liebt, daß
Berliner Theater.
Ansehen. Und das trifft zum Theil auch zu: stellenweise zum
sie gar nicht fähig, zu begreifen, was Lieben wahrhaft heißt,
mindesten ist es Schnitzler nicht gelungen, das fein und klug
tritt ihm mit erschreckender Klarheit ins Bewußtsein. So
Berlin, 8. März.
Ersonnene in überzeugende Gestaltung umzusetzen. Der
abgewiesen, trifft sie mit ihrem Verlobten zusammen und
ches Theater: Arthur Schnitzler „Der Schleier der
Poct in Schnitzler hat nicht überall vermocht, mit dem speku¬
ist bereit, mit ihm vor den Traualtar zu treten. In dem
Beatrice.“
lirenden Psychologen gleichen Schritt zu halten.
Augenblick aber sieht sie der Herzog und ladet sie auf sein
Wologna des angehenden 16. Jahrhunderts thut sich
Frl. Triesch bot als Beatrice eine wundervolle Leist¬
Schloß, die letzte Nacht vor dem entscheidenden Kampfe sein
r Schnitzler's Schauspiel „Der Schleier
ung. Das unbewußt Trügerische und Spielende, die Natur;
Lager mit ihm zu theilen. Um des Herzogs willen wendet
latrice“ auf. Cesare Vorgia hält die Stadt mit
brachte sie zur Darstellung. Auch Herr Bassermann als
sie sich von ihrem Verlobten ab, sie weiß auch den Herzog zu
Uebermacht umschlossen, den nächsten Morgen schon
soldatischer Bruder schuf eine Figur; in Nebenrollen mochten
bestimmen, sie zu seiner Gemahlin zu erheben. Die Trau¬
Entscheidungskampf ausgefochten werden, Niemand,
die Herren Stieler und Meinhardt gefallen. Als
ung findet statt, und kaum ist sie vollzogen, so entweicht
wüßte, daß der Tod seiner harrt. Und angesichts
Ganzes genommen aber war die Aufführung durchaus unzu¬
Beatrice aus dem herzoglichen Schloß zu Loschi den sie
s, ganz wie Renan es in seiner „Aebtissin von
reichend. Die Schauspieker des Deutschen Theaters haben
liebte. Sie will ihm angehören und dann gemeinsam mit
geschildert, glüht das letzte, besinnungslose Liebes¬
es verlernt, Verse zu sprechen, Herr Rittner zumal
ihm sterben. Aber Loschi hat den Glauben an ihre Liebe
kauf. Feste sollen gefeiert werden, der Herzog wird
schwelgte in sinnwidriger Betonung. Doch fehlte es auch sonst
verloren, er stellt sie auf die Probe und spiegelt ihr vor, sie
ste Mädchen von Bologna zu schwelgerischer Liebes¬
E. H.
habe in dem Wein, den sie getrunken, bereits das Gift ge¬
an recht schlechten Darbietungen nicht.
sein Schloß entbieten, im Rausche sei der Becher
schluckt. Todesangst packt sie und erweist sich stärker als ihre
——
Ein letztes Jauchzen im Genuß der köstlichsten
Liebe. Da Loschi vollends in ihrem Beisein wirklich den Gift¬
ter, und dann das Sterben.
becher leert, faßt sie ein Grauen, sie kann den Anblick des
Todten nicht ertragen, sie flüchtet zurück aufs herzogliche
dersam wächst aus diesem Hintergrunde die Gestalt
Schloß. Aber man hatte sie bereits vermißt, auch hat sie ihren
ktrice heraus. Dies untergehende Bologna ge¬
Schleier bei Loschi zurückgelassen. Nun muß sie den Her¬
leichsam in ihr persönliches Dasein. Ganz ein Kind
zog zur Leiche ihr Geliebten führen und findet dort den
nheit und des Leichtsinns, blickt sie auf das Leben
Tod von der Hand ihres Bruders, der „ein Soldat und
underten, verständnißlosen Augen. Das naive Weib¬
brav“.
n lebt in ihr. Sie liebt und spielt doch auch wieder
Erweist schon das kurze Referat, daß die Handlung in
ihrer Liebe, wie sie mit allen Dingen Himmels und
sich recht complicirt ist, so ist es Schnitzler nicht gelungen,
spielt. Sie ist untreu, ohne selbst um ihre Untreue
sie bühnenmäßig in Gang zu bringen. An etwas ganz Aeuße¬
wissen, denn ihre Seele ist noch nicht zu klarem
rem tritt dies zutage: Eingangs jedes Aktes hat man Mühe,
ußtsein aufgewacht. Wie ein Schmetterling flat¬
sich den Zeitverlauf gegen den vorhergehenden klar zu machen;
on einem Mann zum andern, und just in den Armen
Akt 2 und 1, dann wieder 4 und 3 scheinen zum Theil
en sie liebt, muß sie an den denken, der Macht und
gleichzeitig zu spielen. Die wichtige Exposition der Volks¬
zu vergeben hat, und wiederum im Vollbesitz des
stimmung in dem belagerten Bologna bringt erst der zweite
treibt sie ein Heimweh zurück zu stillem Liebeskosen.
Akt. Was aber am schwersten für die Bühnenwirkung ins
ie Eva, die immer sündigt, weil sie noch nicht die
Gewicht fällt: die Handlung entspricht zwar derCharakteristik,
om Baume der Erkenntniß gegessen hat. Und
aber sie dient so wenig, die Charaktere ins rechte Licht zu
es seine Art, nimmt Schnitzler dies naiv=treulose
setzen, daß man vielmehr die Handlung nur begreift, wenn
cht tragisch und noch weniger komisch, er umfängt sie
man die Konsequenzen aus der Charakteristik zieht. Beatrice
er, elegischer Sympathie. Und in schroffem Gegen¬
hatte im zweiten Akte ihre Heirath mit dem Herzog durchge¬
hr gestaltet er den Mann, der sie liebt, Filippo
setzt, sie taucht im dritten plötzlich und unvermuthet in Loschi's
den Dichter. Er lebt sein eigenes Leben, abseits
Wohnung auf, der sie von sich gewiesen; sie erklärt, ihm an¬
Andern. Die Gefahren, die der Stadt drohen, ver¬
gehören und mit ihm sterben zu wollen. Der Zuschauer be¬
tigen sich ihm nicht, die Stimmung, die alle er¬
greift ihre Handlungsweise, da sie immer Verlangen trug,
ist nicht die seine. Er kennt nur die Gebote seines
Recht berzlich liebt er in Beatrice, der Seelen=] das Weib des Herzogs zu werden, zunächst durchaus nicht.
1 Erst die Ueberlegung, daß Beatrice ja die Wankelmüthige,
ce — Seele.