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„Der Schleier der beatrike.“
*
(Zur Berliner Aufführung.)
sj Berlin, im März.
Lang genug haben die Freunde von Arthur
Schnitzler darauf warten müssen, seinen „Schleier
der Beatrice“ auf der Bühne zu sehen. Freilich
nicht so lang, wie sie auf das Erscheinen dieses
Dramas haben warten müssen. Schnitzler schien
zu den Sonntagskindern zu gehören, denen eine
Anzahl von Gaben in die Wiege gezaubert sind —
ein scharfer Verstand, ein unbestechlicher Blick, eine
weiche Grazie und kosende Anmut, kokette Ironie
und eine leise Lyrik — und die im Besitze solcher
Mittel und Fähigkeiten große Kunstaufgaber
glauben verschmähen zu können, weil sie die
kleinen zu adeln vermögen. Mit dem „Schleie
der Beatrice“ hat er die Besorgniß zunichte ge
macht, er werde den großen Wurf nicht wagen
Er hat ihn gewagt, und es fragt sich nur, ob ur
inwieweit er ihm gelungen ist.
Schnitzler hat die Tragödje des Lebens gebe
wollen. Er hat das Leben, das ewig verschleier:
und ewig lockende Leben, in die Gestalt de
Beatrice Nardi gebaunt, die frei und klug nac
Prillparzer's Rahel gedacht ist. Um die Erfor
chung dieses Lebensrätsels mühen sich bei ihn
wei ewige Typen adeliger Menschheit, der Sän
zer und der Held. Dieser siegt und jener unter
iegt, wie immer das Leben den Traum narrei
ind der Thatkraft sich ergeben wird... Diese
Idee, diesen Conflict hätten Einfachheit und
Bröße zu Shakespeare'scher oder doch zu Grill¬
parzer'scher Höhe heben können. Schnitzler aber
vollte es mit einer verwickelten Handlung und
kleinen aufgesetzten Lichtern zwingen. Einfachheit
ist vielleicht das sichersie unter den neugswonnenen
Kunstprincipien der jüngsten Literaturbewegung.
Menschen dürfen im Drama so zahlreich auftreten
und so individuell charakterisirt sein, wie der
Dichter nur will und kann; aber in festen, ein¬
fachen Linien müssen die Gegenstände verständ¬
lich gezeichnet sein. Da ist nun nicht aus der
Welt zu schaffen, daß Schnitzler's Grundgedanke
von den meisten Zuhörern nicht ganz erfaßt wor¬
den ist, und es ist nicht zu leugnen, daß den beiden Männer gar leiden an einem inneren
Dichter ein Theil der Schuld trifft. Schnitzler
Bruch. Filippo Soschi ist nicht der Dichter gewor¬
besitzt noch nicht die Energie der großen Kunst, die den, der er werden sollte. Keinem echten Künstler
ein Ideal deutlich und klar vor sich sieht, un¬
würde es wie ihm das Leben kosten, eine Beatrice
entwegt das Steuer darauf zuhält, in der Viel¬
zu begreifen — er hatte selbst zu viel von ihr in
heit die Einheit, den Punkt der Harmonie, in
sich. Statt seiner wird Bentivoglio, als Gegensatz
dem alles zusammenfließt, zu finden weiß.
zu ihm, als energischer Thatenmensch gedacht, am
Wir sind im Bologna des Cinquecento. Die
Ende fast zum Künstler. So verschieben sich wert¬
sechzehnjährige Beatrice, die der Dichter Filippo
volle Intentionen. Der Entschädigungen für so.
Soschi liebt, wird von diesem verstoßen, weil sie
organische Mängel sind freilich viele. Die wild
sich im Traum in den Armen des Herzogs
gesteigerte Lebenslust, die ein Volk am Vorabend
Bentivoglio erblickt hat. Derselbe Abend noch
seines letzten Tages ergeift, ist in üppigen Farben
soll ihr die Erfüllung ihres Traumes bringen.
überzeugend gemalt. Der sinnentrunkene Geist
Bentivoglio, der am nächsten Tage im Kampf
der Renaissance steigt auf. Zu lebhaften Seenen
gegen Cesare Borgia fallen kann, will in der
ist die Handlung vielfach zugespitzt, Gegensätze
letzten Nacht das schönste Weib Bolognas sein
im kleinen entfalten sich wirksam und in gestei¬
eigen nennen. Beatrice wird Herzogin im Nu.
gerter Rede und Widerrede werden sichere Wir¬
Vom Hochzeitsmahl stiehlt sie sich unbemerkt zu
kungen erzielt. Der Grundton des Werkes, dies
Filippo, den sie noch immer liebt. Er will mit
berauschte Hingegebensein an die Schönheit des
ihr gemeinsam aus dem Leben gehen. Wie sie
Lebens erklingt klar und voll aus der Ueberfülle
in banger Furcht davor erschrickt, tödtet er sich
der Bilder und Gestalten, die der Dichter mit
allein. Beatrice stürzt ins Schloß zurück. Dort
seinem Temperament und seiner Phantasie be¬
vermißt der Gemahl den Schleier, den er ihr
schenkt hat.
schenkte, und nur wieder die blasse Todesangst
Wenn dennoch der Bühnenerfolg sich nicht ein¬
treibt sie, den Herzog zu Filippos Leiche en füh¬
stellen wollte, so liegt es einmal, wie gesagt,
ren, wo sie den Schleier vergaß. Jetzt klärt sich
daran, daß die Haupttriebfedern des Dramas zu
alles. Beatrice begehrt zu sterben, und der Tod
fein, zu schwach und zu undeutlich arbeiten, zum
wird ihr von Bruderhand.
andernmal an der völlig unzureichenden Dar¬
Diese knappe Inhaltsstizze gibt keine Vor¬
stellung des Deutschen Theaters. Sie hätte hohes
stellung davon, wie zerklüftet das Drama ist, wie
Versgefühl besitzen müssen, um theils die lyri¬
die Haupthandlung von Nebenhandlungen um¬
schen Partien zur Geltung zu bringen, theils die
wuchert wird, die schädlich sind, weil sie über¬
Ecken, Kanten und Sprödigkeiten, von denen
flüssig sind. Für die Theaterwirtung ist das
Schnitzler's Verse nicht frei sind, abzuschleisen,
Ganze nicht fest genug aufgebaut und nicht sauber
und sie hätte von phantastischer Schönheit glän¬
genug ausgeglichen. Aber dies und anderes wöge
##en müssen. Aber weder das überschätzke Fräulein
nicht allzuschwer, wenn dem Dichter nur in der
Triesch (Beatrice), noch Herr Kayßler (Benti¬
Charakteristik alle Absichten gelungen wären.
voglio), noch gar Rudolf Rittner (Filippo)
Beatrice steht noch am rundesten da. Sie, die
zeigten sich den Ansprüchen gewachsen, die
ohne zu wollen Ursache spontanster Willensacte
Schnitzler's verheißungsreiches Werk an sie ge¬
wird, die ohne zu hassen tödtet, ohne zu lieben
stellt hat.
beseligt, verkörpert die erbarmungslose Dämonie
des Lebens, hat den berauschenden, gefährlichen
Hauch des Lebens, der rätselhaft und ängstigend
ist. Aber Schnitzler muß sie doch erst und noch mit
directen, blanken und baren Worten erklären. Die