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14: Der Schleier der Bestrice
Literarisches Burean Clemens Freyer
Aeltestes Zeitungsausschnitt-Bureau Deutschlands
Begründet im Jahre 1885
Berlin-Südende
Telephon: Amt Ip, Nr. 74
Paris - London-Netu-Yonk
Ausschnitt
aus folgender Zeitung bezw. Zeitschrift:
Magdeburgische Zeitung
2. 9. 1903
Satestaesaetrie stnne
B
Vaters, angetraut. Weshalb diese Eile? Nun, rau
Nardi, willen seiner Braut, der Gräfin Teresina
Fantuzzi, die Treue. Er ist innerlich wie um¬
einfach deshalb, weil Bologna eben nur noch für uns
Berliner Theaterbrief.
diese eine Nacht Bologna ist, und dann, weil sich wer
gewandelt und selbst die Not seiner Vaterstadt,
auch der Herzog noch in dieser Nacht mit der t dies
gegen welche der grimme Cesare Borgia mit ge¬
„Der Schleier der Beatrice“
schönsten Bologneser Jungfrau vermählen will!
nich
waltiger Heeresmacht heranzieht, vermag ihn aus
von Arthur=Schnißzler.
Wenn das keine Motive sind, dann giebt es eben wir
seiner Liebesschwelgerei nicht herauszureißen zu
(Nachdruck verboten.)
überhaupt keine. Auf dem Wege zum Altar tritt mach
männlichem Entschluß. Die Welt bedeutet ihm
Mitz
Der Wiener Dichter des Anatol=Cyklus, des
de. Brautpaar der Herzog in den Weg. Er
Beatrice und außer ihr, ohne sie versinkt alles in
Sitt
bleibt wie gebannt von Beatrices Schönheit stehen,
„grünen Kakadu“, der „Liebelei“ hat mit diesem
wesenloses Nichts. Bologna hat nur noch eine
allein nach Verhandlungen mit ihrem Bruder
Krä
Renaissance=Stück, das der theatertechnischen Be¬
Nacht vor sich, so versichern uns alle Personen in
Ir
Francesco, der freiwillig unter die herzoglichen
quemlichkeit halber in Bologna zur Zeit Lionardo
diesem Stücke obwohl wir von einigen vernünftig
roll
gebliebenen Bürgern dieser Stadt die beruhigend¬
Scharen getreten, gibt er Beatrice frei. Allein
Bentivoglios und Cäsare Borgias spielt, ein neues
Gebiet betreten. Bewegte er sich bisher zu aller¬
jetzt bleibt diese wortlos und in Verzücktheit wie
sten Angaben über den Stand der Verteidigungs¬
vorbereitungen, über den ungebrochenen Mut der
Elsa von Brabant vor dem Schwanenritter stehelt
meist unter den Mitgliedern der österreichischen,
speziell wienerischen Lebewelt nebst ihrem weid¬
und erklärt endlich nach minutenlangem Schweigen,
Verteidiger selbst und über den für mindestens
dem Herzoge folgen zu wollen — aber nur als
lichen Zubehör und unserer unmitielbaren Gegen¬
sieben Tage reichenden Mundvorrat erhalten.
seine Gemahlin. Der Herzog willigt ein, und
Indessen diese Voraussetzung von dem unmittelbar
wart, so naht er uns diesmal in Prachtgewändern
binnen einer Stunde soll im Dome von Bologna
der italienischen Frührenaissance. Weshalb er
bevorstehenden gräßlichen Ende der herrlichen
der Ehebund eingesegnet werden. Vittorino er¬
Stadt Bologna — Borgia ist bekanntlich kein
dies tat, können wir natürlich nicht wissen. Hat
er am Ende gleichsam als ein literarischer Egmont
sticht sich. Nach der Feier in der Kirche wird
Lamm als Sieger! — ist für den Dichter Schnitzler
seinem Literatur=Clärchen versprochen, einmal
Hochzeit im Schlosse gefeiert. Filippo erfährt
eine Notwendigkeit, um alle die Tollheiten in
„spanisch“ zu kommen, um die Stickerei und das
durch Zufall von dieser Begebenheit. Plötzlich
seinem Stücke alle die Wahnwitzigkeiten seiner
Passement seiner Gewänder bewundern zu lassen?
erscheint Andrea, der Bruder jener Texesina
Personen gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Wir
Auch das wissen wir nicht. Aber die Vermutung
Fantuzzi, die vom Gram über den Treubruch
sehen wirklich Tollgewordene, aber freilich nicht
Filippos wahnsinnig geworden, um Rechenschaft
liegt nicht so fern, daß Hugo v. Hofmannsthal, ein
in einem richtigen Tollhause, sondern in einer auf
Vertreter der neuesten Wiener dramatischen
von dem Verräter zu fordern. Bei einem Haar,
des Dichters Befehl toll gewordenen Stadt. Hat
Stimmungsmalerei, es Herrn Schnitzler mit
der bereits begonnene Zweikampf — ohne Zeugen
aber ein Dichter dazu ein Recht, eine ganze Ein¬
natürlich! — hätte ein blutiges Ende genommen,
seinem Vers=Haschisch angetan hat, auf daß er
wohnerschaft einerStadt mit einem Male für un¬
Da hört Filippo seinen Namen von einer Frauen¬
dessen Dichtungsspuren folge. Es ist nämlich ge¬
zurechnungsfähig zu erklären, weil er, der Dichter,
radezu unfaßbar, über welch einen unversieglichen
stimme ausrufen; er fleht Andrea fußfällig ab,
seine Geschöpfe Handlungen begehen lassen will,
Quell von berauschenden Worten Schnitzler
ihn zu verlassen. Es geschieht und Beatrice er¬
die auf völlige Unzurechnungsfähigkeit der Han¬
scheint. Im Hochzeitsgewande und noch mit dem
verfügt. Der Hörer wird geradezu in eine Art
deinden mit Notwendigkeit hinweisen? Hierauf
von Narkose versetzt, so vielen Duft von üppigen
müssen wir trotz aller Anerkennung einer gewissen
„Schleier“ angetan, den ihr der Herzoggemahl
geschenkt, tritt sie in das Haus Filippos. Sieer¬
Worten muß er während mehr als drei Stunden
dichterischen Begabung an Arthur Schnitzler
in sich aufnehmen. Aber immer wieder mußte
zählt alles, was sich inzwischen begeben, und
mit einem runden „Nein!“ antworten: Also:
man es erfahren, daß ein unaufhörlich auf uns
Filippo ist noch von einem größeren Widerwillen
Filippo und Beatrice leben in dem holdseligsten
herniederprasselnder Wortregen ebenso wenig zu
gegen sie erfüllt. Aber sie wollen noch in dieser
Vereine, ihre Liebe ist ungetrübt. Beide sind ent¬
einen Nacht selig sein und dann sterben. Sie
einer dramatisch wirkenden Sprache wird, wie
schlossen, die wenigen Stunden zu benutzen, um
trinken aus einem Becher, der mit angeblich ver¬
Renaissancegewänder Renaissancemenschen machen.
den Mauern Bolognas, die sich ja schon morgen
giftetem Wein gefüllt ist. Beatrice beginnt
Arthur Schnitzler hat sich eine phantastische
dem fürchterlichen Borgia öffnen werden, zu ent¬
ängstlich zu werden. Filippo blickt eiskalt. Bald
Welt erträumt, die er mit phantastischen Ge¬
fliehen. Battista hat um zweihundert Goldstücke
ist alles aus. Allein der Wein war gar nicht ver¬
schöpfen bevölkert. Dies ist sein unbestreitbares
die erforderlichen Pferde gekauft. Da erzählt
giftet. Die Lebenslust erwacht von neuem.
Beatrice eine Traumgeschichte, in welcher sie vom
Dichterrecht. Und wenn er seine phantastischen
Gestalten in die Zeit der Borgias versetzt, so kann
Aber Filippo hatt die Geschichte satt. Ein Becher
Herzoge entführt wird, und das bringt Filippo in
ihm dies gleichfalls kein Mensch verwehren. Allein,
gefüllt mit jenem Saft, der wirklich eilig trunken
solch eine Raserei, daß er sein angebetetes Wesen
wenn er die Geschöpfe seiner Einbildungskraft
mit den Worten „Du Dirne des Traumes“ von
macht, aber für immer, steht noch im Zimmer,
sinnlos walten läßt, dann hat der Hörer wie der
den ergreift Filippo und den trinkt er bis auf den
sich stößt und davonjagt. Man kann allenfalls
Kritiker das Recht, an Schnitzler die Frage
letzten Tropfen aus. Beatrice versichert einmal
diesen Zug eines überreizten Gemütes in einer!
über dem andern: „ich will's ja tun"; allein der
zu stellen: „Wie kommst Du dazu, Dein gutes
Märchenhandlung gelten lassen. Was geschiehl
Dichterrecht derartig zu mißbrauchen, daß sich da¬
Neidung hat ihr keinen Tropsen übrig gelassen.
nun aber weiter? Veatrice, in ihr Elterahaus
raus völlige Ungereimtheiten ergeben?" Ein
zurückgekehrt, wird Hals über Kopf ihrem eigem= Filippo sinkt entfeelt zu Boden. Beatrice aber
bologneser Edler und ein Dichter Filippo Loschi lichen Verlobten Vittorino Monaldi, einem tuch= wird vom Herzog — begnadigt!
bricht um eines Bürgermädchens, eben jener Beatriceltigen Stempelschneider in der Werkstatt ihres! Diele Ausgeburten einer in einem Haschisch=1