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14. Der Schleier der Beatrice
Telephon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt —
„OBSERVEI
Nr.94
I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
Wien, I., Concondiaplatz 4.
Vertretungen in Berlin, Budapest, Chicago, Genf, London, Newyork, Paris, Rom,
Stockholm, Kristiania, St. Petersburg.
Ausschnitt aus: e #merist, Wien
vom: %
(es
KRSATS
Aus Berlill. (Nachdruck verboten.)
Sensation des Tages für Berlin ist der Cake=Walk, ein
amerikanischer Niggertanz, der an Plumpheit und unästhetischer
Wirkung seinesgleichen sucht und nunmehr in den Ballhäusern von
Hetären und Commis voyageurs und in den Tiergartensalons
von moralisch gleichwertigen Kommerzienratsgattinnen und sonte¬
nierten Kavalieren getanzt wird. Cake=Walk ist die Losung der
Gegenwart, Cake=Walk entscheidet über Renommee, Ansehen und
gesellschaftliche Berechtigung. Sollte man es für möglich halten,
daß in einer Stadt, in der Millionen um ihr tägliches Brot ringen
in der Armut und Elend mit geballten Fäusten an den hellerleuch¬
teten Fenstern Schicksalsglücklicherer vorüberschleichen, eine so jeden
Wertes bare Mode derartige Dimensionen annimmt? In Berlin,
woselbst jahrein jahraus ernste Dichterwerke unter dem Rotstift des
universell verbildeten Zensors ihr Leben aushauchen, wo dem politi¬
schen Meinungsaustausch zwischen Presse und Publikum Zaum und
Zügel angelegt werden, so fest wie nirgendwo, feiert der „Kuchen¬
n tanz“ seine Triumphe und keinem vom Staat in Sold genommenen
Moralisten wird es auch nur einfallen, in den scharfen Schenkel¬
konturen der holden Weiblichkeit irgend etwas Anstößiges zu suchen.
Im Gegenteil; das ist Leben, frisches, temperamentvolles Leben, und
es unterdrücken, hieße gegen einen der wesentlichsten Gesetzes¬
paragraphen sündigen.
Hier wäre es seitens unserer Theaterleiter wohl angebracht,
das Cake=Walk=Interesse durch die Aufführung guter, lebensfähiger
Bühnenwerke ein wenig einer besseren Sache zuzulenken. Doch mi
Schaudern sah ich, daß auch unsere Theaterdirektoren in ihrer Art
den „Kuchentanz“ kultivieren, d. h., daß sie in der abgelaufenen
Dekade Stücke aus dem Taufbecken hoben, die in Bezug auf Bonität
und Grazie dieselben Qualitäten boten, wie Amerikas importierter
Niggertanz. Wer mich z. B. zu der neuesten Attraktion des Herrn
v. Hülsen ins Kgl. Schauspielhaus begleitet hat, muß die Richtigkeit
meiner Behauptung in ihrem ganzen Umfange bestätigen. Die
neueste Attraktion Hülsens, benamset „Die Siegesfeier“, ist dem
Maler=Poeten Hermann Katsch zu verdanken, der sich schon einmal
durch die Aufführung seines Schauspiels „Die Kollegin“ unangenehm
bemerkbar gemacht hatte. Der Schauplatz, auf dem Katschens
dramatisch=korumpierte Helden agieren, ist das alte Rom, dieselbe
Stätte, auf welcher schon so viel Dilettantenblut verspritzt worden
ist. Da wird nun ein Langes und Breites von einem gewissen
Herrn Pacuvius erzählt, der Maler und Dichter in einer Person,
gewissermaßen das Spiegelbild seines geistigen Urhebers abgeben
sollte. Leider wurden sowohl Ur= wie Spiegelbild seitens einiger
Beherzter aus dem Publikum weidlich angepfaucht. Trotzdem erschien
Herr Katsch dankend auf der Szene. Ob er wohl den richtigen
Blick dafür hatte, daß die „Siegesfeier“ für ihn nichts weiter als
eine schleunige Retirade bedeuten sollte? Von den bemitleidenswerten
Darstellern seien Hermann Böttcher, Georg Molenar, Arthur
Kraußnec und Nuscha Butze umso lobender hervorgehoben,
als sie ihren wenig dankbaren Rollen eine über das Mittelmaß
hinausgehende Aufmerksamkeit zuwendeten. Ich glaube nicht, daß
der Souffleur das „Siegesfeier"=Buch mehr als dreimal auf sein
Pult legen wird.
Im Gegensatze zu der Hofbühne hat sich das Deutsche Theater

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