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14: Der Schleier der Beatrice
Der Schleier der Beatrice.
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anderem Kaliber als unsere sind. Die lassen sich nicht von charakterlosen Leuten
führen, deren ganzes Sehnen ein Titel oder Orden ist. Unter solcher Führung
ist eine wirksame Politik unmöglich. Nur an das Schicksal des Handelsvertrags¬
vereins braucht man zu denken, um zu erkennen, daß schon die unbedeutendsten
Interessengegensätze bei uns jede kaufmännische Aktion lähmen. Die Sucht jedes
Standes, Vertreter seiner engen Interessen ins Parlament zu senden, kann uns
allmählich in das Dunkel ständischer Verfassung zurückführen. Die Sozialdemo¬
kratie soll, sagt man, zuerst den Weg solcher Standesinteressenpolitik betreten haben.
Erstens aber vertritt sie die an Zahl größte Klasse, Alle, die im Dienst fremden
Kapitals Frohnarbeit leisten, und zweitens erstrebt sie eine Umwälzung der
Wirthschaftordnung, eine gänzlich veränderte Art der Produktion, die uns von
Klassen und Klassengegensätzen überhaupt befreien würde. Den Kampf einer
solchen Partei, die noch dazu alle vom Liberalismus aufgegebenen Ideale über¬
nommen hat, darf man nicht den Zänkereien und Pfennigfuchsereien kleiner
oder größerer Gruppen vergleichen. Immer wieder muß daran erinnert werden,
daß die deutsche Arbeiterschaft die ständische Politik der britischen Trade=Unions,
die besondere Kandidaten der Schneider, Töpfer, Schuster, Bergarbeiter u. s. w.
ins Parlament senden, stets schroff und energisch von sich gewiesen hat. An
den Arbeitern sollten sich die Kaufleute ein Beispiel nehmen. Wenn sie nütz¬
liche Politik treiben wollen, müssen sie sich zunächst einmal von den Elementen
befreien, die nach Gnaden streben. Politische Kaufleute können nur ein lohnendes
Ziel vor sich sehen: soziale Reformarbeit größten Stiles muß auf dem heimischen
Markt eine Konsumentenmenge schaffen, die Alles, was die deutsche Industrie
innerhalb der weitesten Produktionmöglichkeiten herstellt, aufzunehmen, zu be¬
zahlen vermag. Die schlimmsten Feinde des Händlerstandes sind: soziale Kurz¬
sicht und weltpolitischer Dünkel.
Plutus.
*
Der Schleier der Beatrice.
FJurch Schloß und Garten des Herzogs von Bologna rast trunkene Gier.
Lüste suchen, Lüste finden, umschlingen einander und auf der Wiese,
die sich hinter Terrasse und Garten dehnt, vermählt das Gestöhn der lechzen¬
den und der satten Paare sich zu einem langen, pausenlosen Brunstseufzen,
dessen Anhauch die Fackeln zusammenzucken und wieder aufflackern läßt, als
leuchtelen sie unruhvoll dem Phallusfest, möchten in Scham verglühen und
keinen Akt des Wollustschauspiels doch missen. Was sonst verboten, ist heute
erlaubt. Buhlerinnen, fremde und am Reno heimische, wittern umher und
birschen nach dem fettesten Kapitalwildpret, das in Bologna la grassa
erwuchs. Mannbare Jugend lockt mit schlauer Voglerkunst verängstete, lockt
verlangende Jungfern ins Garn. Alte spähen nach rüftigen Schätzchen, aus,
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